Wer die Politik Israels beziehungsweise das Vorgehen von dessen Regierung gegen die Palästinenser kritisiert, wird vom Polit- und Medienbetrieb gerne mir nichts dir nichts in die rechte oder gar rechtsextreme Ecke gestellt.
Dies musste etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, der Kabarettist Dieter Hallervorden erfahren, nachdem er sich in seinem «Gaza-Gedicht» auf die Seite der im Gazastreifen bombardierten Menschen gestellt hat. Die Frankfurter Rundschau etwa brachte dazu die Schlagzeile «Gaza-Gedicht von Dieter Hallervorden: Antisemitismus-Vorwürfe werden laut».
Dabei ist Hallervorden eigentlich völlig unverdächtig, antisemitisches Gedankengut zu hegen. Bezeichnenderweise bekam er auch unglaublich viel Zuspruch, darunter von Jean Ziegler, von 2000 bis 2008 UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.
Vor diesem Hintergrund brachte die FAZ einen bemerkenswerten Artikel. Bemerkenswert deswegen, weil hier ein etabliertes beziehungsweise Mainstreammedium einschneidende Kritik transportiert an der sich ausweitenden Besiedlung palästinensicher Gebiete und den dahinter stehenden einflussreichen Personen.
Die Siedlungspolitik gilt wohlgemerkt als «einer der größten Streitpunkte zwischen Israel und den Palästinensern – und erschwert die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung», wie etwa der Deutschlandfunk schreibt. Kritiker dieser Siedlungspolitik, so die FAZ, würden diese nicht mehr nur mit dem Begriff «de facto Apartheid», sondern gar mit «de iure Apartheid» belegen.
Im Mittelpunkt des FAZ-Beitrags steht Daniella Weiss, die, wie die FAZ schreibt, mit heute 78 Jahren die «Galionsfigur und Ikone der Siedlerbewegung» ist. Viele Jüngere seien von ihr inspiriert worden – «etwa Bezalel Smotrich. Über den Finanzminister und gegenwärtig wohl einflussreichsten Siedleraktivisten sagt Weiss, während sie an ihrem Wohnzimmertisch sitzt: ‹Er wurde an diesem Tisch aufgezogen, seit er 16 Jahre alt war.›»
Der strategisch denkende Smotrich habe der Bewegung ungeahnte Erfolge beschert, so die FAZ weiter. In der Regierung von Benjamin Netanjahu habe er sich als «weiterer Minister im Verteidigungsministerium» die Zuständigkeit für die Siedlungen im Westjordanland gesichert. Dort forciere er den Ausbau der Siedlungen. Und weiter:
«In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Siedler im Westjordanland um 15 Prozent gestiegen, sie liegt jetzt bei mehr als einer halben Million. Zugleich hat die Regierung seit Januar schon mehr als 23 Quadratkilometer palästinensischen Landes zu Staatsland erklärt, sodass es leichter für den Siedlungsbau genutzt werden kann.
Das ist die größte derartige Landenteignung seit den Oslo-Abkommen vor 30 Jahren. Erleichtert werden diese Entscheidungen durch administrative Weichenstellungen, die Smotrich weitgehend geräuschlos im Hintergrund trifft.
Kritiker der Besatzung sprechen schon davon sprechen, dass im Westjordanland nicht mehr nur de facto Apartheid herrscht, sondern inzwischen auch de iure.»
Aus Sicht der Siedler laufe es gerade so gut, dass Orit Strock, die Ministerin für Siedlungen und Nationale Missionen von der Partei «Jüdische Stärke» gar von einer «Zeit der Wunder» sprach. Die radikalen Siedler würden ihre Aktivitäten, so Strock, als eine «heilige Aufgabe» betrachten.
Daniella Weiss sehe sich derweil «noch lange nicht am Ende ihres Weges. Gegenwärtig wirbt sie für die jüdische Besiedlung des Gazastreifens.»
Wie die FAZ dazu noch schreibt, sei Anfang des Jahres auf einer Konferenz für die Wiederbesiedlung des Gazastreifens geworben worden (Transition News berichtete). Elf Minister der derzeitigen Regierung seien dort anwesend gewesen, mehr als ein Dutzend Parlamentsabgeordnete – und auch Daniella Weiss, die Ende 2023 getönt hatte: «Gaza muss ausradiert werden, damit die Siedler das Meer sehen können» (Transition News berichtete).
Mit ihren Ansichten gebe Weiss wertvolle Einblicke in die Weltsicht radikaler religiös-zionistischer Juden, so die FAZ. Das sei auch insofern von Bedeutung, als diese Bewegung in Israel längst keine Randgruppe mehr darstelle.
Bei der Parlamentswahl 2022 hätten ihre Parteien mehr als ein Zehntel der Knesset-Sitze errungen. Auch sei «die religiös-zionistische Ideologie innerhalb der Armee auf dem Vormarsch ist. Die Schnittmenge zwischen Soldaten und Siedlern wird immer größer. Weiss sieht sich selbst als ‹zivile Soldatin›.»
Laut Weiss gehe es darum, einen unabhängigen Staat für die Juden zu errichten und sich dafür einzusetzen, dass er für immer besteht.
«Wenn ich hier sitze und wenn ich in meiner Küche koche, betrachte ich mich als Soldatin», zitiert die FAZ Weiss. Der Zeitung zufolge ist diese Mischung aus Pionierethos und militaristischem Denken bei den radikalen Siedlern weit verbreitet. Und weiter:
«Viele von ihnen scheuen daher auch die Konfrontation mit Palästinensern nicht – im Gegenteil: Manche sehnen sie regelrecht herbei. Sollte Smotrich Erfolg haben mit seinen Versuchen, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in den Ruin zu treiben, würden das im Westjordanland vermutlich zu Chaos und Gewalt führen. Kritiker halten das für sein eigentliches Ziel.»
So habe der Oppositionsführer Benny Gantz, nachdem im Februar 2023 Hunderte Siedler eine palästinensische Stadt überfallen und Häuser und Autos in Brand gesteckt hatten, gesagt, Smotrich wolle eine neue «Nakba» – eine massenhafte gewaltsame Vertreibung der Palästinenser – verursachen. «Für ihn ist Eskalation eine wünschenswerte Sache», so Gantz.
Smotrich selbst habe in einem Strategieplan für Israels Zukunft, den er 2017 veröffentlichte, die Zweistaatenlösung für unmöglich erklärt. Eine der beiden Seiten müsse aufgeben und auf ihre nationalen Ansprüche verzichten, schrieb er – «freiwillig oder gewaltsam».
Die Formel von Weiss: «Araber raus – Juden rein.» Nur so könne eine «künftige Katastrophe» verhindert werden, also eine Wiederholung des 7. Oktobers. Weiss sei sich sicher, dass noch zu ihrer «Lebenszeit» der Gazastreifen wieder in jüdischer Hand sein werde.
Andere würden sogar noch einen Schritt weiterdenken. So werben Aktivisten seit einigen Monaten dafür, auch im Süden Libanons wieder jüdische Siedlungen zu errichten. Andere fordern, dass Israel die ägyptische Sinai-Halbinsel wiederbesetze – und langfristig auch Jordanien.
Die FAZ zitiert die israelische Historikerin Idith Zertal. Sie sage über diese «Messianisten»:
«Sie feiern den Krieg und wollen nicht, dass er aufhört. Er ist der Beginn von ‹Groß-Israel›, nicht nur vom Mittelmeer bis zum Jordan, sondern darüber hinaus. [Es handelt sich um] Kriminelle, die Palästinenser töten, Felder abbrennen und Olivenbäume zerstören.
Solche Angriffe werden immer wieder von Palästinensern dokumentiert, sie haben seit dem 7. Oktober massiv zugenommen.»
Weiss widerspreche vehement, schreibt die FAZ. All das sei «ein Haufen Lügen», versichere sie. «Kein Siedler denkt jemals daran, einen Araber anzugreifen.» Es sei genau andersherum: Palästinenser provozierten Woche für Woche zusammen mit «europäischen und jüdischen Anarchisten» – sie meine damit Besatzungsgegner – die friedlichen Siedler.
Ihre eigene Tochter sei mit 22 Jahren Witwe mit einem zwei Jahre alten Kind geworden, nachdem ihr Mann von einem Palästinenser getötet worden sei. Dass erst die USA und dann auch andere Länder Sanktionen gegen gewalttätige Siedler verhängt haben, nenne sie «eine Schande».
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