Der Wiesbadener Musiker Ralph Valenteano blickt auf eine ereignisreiche und spannende Karriere zurück. Er spielte in mehreren Bands, kooperierte mit bekannten Künstlern wie dem Gitarristen Dominic Miller und gewann Preise. Seine Diskographie weist zahlreiche Titel auf. Valenteano ist aber nicht nur ein fleißiger und kreativer Musiker, sondern auch ein unangepasster und zeitkritischer.
In der außerparlamentarischen Opposition wurde er bekannt, nachdem er 2021 den allerersten NuoVision Songcontest gewonnen hatte. Sein Lied «Viel zu esoterisch» traf den Nerv der Zeit, es berührte die Herzen und versprühte Energie. Das lag an dem ironischen Text und dem funky Sound, an der kritischen wie bestimmten Haltung, den gängigen Narrativen entgegenzuwirken.
Spiel mit den Genres
Valenteano ruhte sich auf diesem Erfolg nicht aus, sondern produzierte munter weiter. In den letzten Jahren sind gleich mehrere Alben erschienen, die zwischen verschiedenen Genres changieren. Für den Wiesbadener Künstler ist die Musik ein Mittel, die eigenen Gefühle je nach Stimmung jeweils anders auszudrücken. So produziert er beispielsweise Pop-Songs, wenn er sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gemäßigt und reflektiert auseinandersetzen will. Die Verarbeitung der Ereignisse erfolgt quasi kontemplativ.
Wenn Valenteano sie hingegen ironisch oder sarkastisch kommentieren will, verwendet er eher Funk-Elemente. Wächst das Maß der Empörung an, entsteht in seinem Studio rockige und energische Musik. Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, warum Valenteanos letztes Album «Dunkle Saite» diesem Genre zuzuordnen ist. Schon der Titel spielt darauf an, dass hier die unschönen Affekte in einen angemessenen Sound umgewandelt werden, in einen, der die aufgestaute Empörung widerhallen lässt.
Gerade die Kriegspropaganda der letzten Jahre, der Ruf nach Aufrüstung und die Diffamierung von Friedensaktivisten ließen Gefühle hochsteigen, die der Musiker sublimieren musste. Auf dem Album tut er es so kunstvoll, dass ein mit Metaphern durchsetzter Klangteppich entsteht. Die Sprachbilder beziehen sich auf ein Kollektiv, das Valenteano in den insgesamt 14 Songs mit «ihr» anspricht. Das dahinterstehende Personal verteilt sich auf verschiedene Gesellschaftsgruppen: Politiker und Medienschaffende, Konzerne und Wissenschaftler, woke Ideologen und rückgratlose Mitläufer aus dem Bürgertum.
Aufwertung des Begriffs «Lumpenpazifist»
Sie alle konfrontiert Valenteano mit zahlreichen moralischen Verfehlungen, allen voran in dem Song «Lumpenpazifist». Thematisiert wird darin der despektierliche Umgang mit allen, die sich in der Zeit zunehmender Kriege für Frieden und Diplomatie aussprechen. Valenteano greift den medial verbreiteten Diffamierungsbegriff des Lumpenpazifisten auf und wertet ihn auf als einen Ausdruck für Menschen mit Herz am rechten Fleck. Seine Botschaft lautet so:
Ich bin Lumpenpazifist
Lumpenpazifist
Mir egal, wen ihr disst
Wessen Flagge ihr hisst
Diese Welt braucht Liebe, nur damit ihr’s wisst
Ich bin Lumpenpazifist
In einer anderen Zeile kritisiert Valenteano den Doppelstandard der Kriegstreiber, indem er ihre vollmundigen Sprüche mit ihrer Feigheit konfrontiert. «Anzetteln, so bequem / Euch wird man nie an Fronten sehen», heißt es darin. Trägt man die in den Songs breitgestreuten Zuschreibungen zusammen, lässt sich das kollektive Ihr als arrogant und verantwortungslos charakterisieren, als kaltblütig und bevormundend, als beleidigend und prinzipienlos. Das Album ist ein musikalisches Sittengemälde, eine rockige Allegorie auf eine Gesellschaft, die im Zivilisationsprozess zurückschreitet.
Allerdings gebraucht Valenteano keine derben Worte, sondern wählt schöne Umschreibungen, um seine Kritik kundzutun. Das kollektive Ihr wird bisweilen als «Nikotin» bezeichnet, an dem er nicht ziehen will. Und es sei auch kein «Whisky», sondern «Fusel». Derartige Vergleiche treten immer wieder hervor, am ausgeprägtesten in dem Song «Kaffee». Der Unterschied zwischen dem und «eurer Meinung», singt Valenteano:
Kaffee hätt’ ich gewollt
Und der Unterschied zwischen Kaffee und eurer Meinung
Kaffee hätt’ ich geteilt
Ihr braucht nicht mal Laktose, um intolerant zu sein
Kesselt uns ein
Grenzt uns aus, Brautwurstverein
Eine weniger metaphorische Sprache wählt der Wiesbadener Musiker in dem zunächst sperrig klingenden Song «BTWWTF». Wer die ersten Zeilen hört, kann den Titel sofort dechiffrieren. Es sind die jeweils ersten Buchstaben der englischen Redewendungen «by the way» und «what the fuck». Valenteano spricht sie nach jedem Vers aus, sodass in der Wiederholung erneut seine Empörung über dieses Ihr zum Vorschein kommt. Den Grund dafür liefert er in kurzen aber prägnanten Zeilen: «ihr kauft euch Villen, während wir bluten», singt Valenteano und schiebt nach seiner Empörungsäußerung in Englisch nach: «Tut trotzdem so, als seid ihr die Guten – by the way, what the fuck».
Glauben an Gerechtigkeit
Der Song thematisiert die Macht der Hochfinanz, die überall mitverdient, wo Leid entsteht. Valenteanos Wut ist groß, so viel lässt sich in seinen Songs erkennen. Dennoch baut er immer und immer wieder Textzeilen ein, aus denen Hoffnung und der Glauben an Gerechtigkeit sprechen. «Wo nix mehr geht, da geh ich mit», singt er etwa in «Shyce». «Hab keine Angst vor nächstem Schritt / Ich kann in Dunkelheit gut sehen / Der Mensch kann vieles überstehen.»
Musikalisch ist Valenteano von Künstlern der 1980er-Jahre inspiriert. Künstler wie Peter Gabriel, Prince oder Tears for Fears hatten einen enormen Einfluss auf ihn. Auf «Dunkle Saite» ist dieser deutlich spürbar. Aufpeitschende Gitarren mischen sich mit Country-Klängen und Mundharmonika. Hinzu kommt ein krächzende Funk-Stimme, die jede Zeile glättet.
Die Rock-Stücke rufen Bilder hervor. Man kann förmlich die langgezogenen US-Landstraßen sehen, die direkt in das Auge der sengenden Sonne führt, während an beiden Seiten der staubige Sand glänzt. Valenteano hat zweifellos die Gabe, eingängige Songs zu produzieren, ironische und nachdenkliche, laute und gesellschaftskritische. Sein neues Album ist ein weiterer Beweis dafür.