Über Medien wie die Bild-Zeitung kursieren Witze, die auf den nicht gerade immer korrekten Wahrheitsgehalt abheben. Zum Beispiel:
«Was haben die Bild-Zeitung und Prinz Andrew gemeinsam? Beide behaupten, sie seien unschuldig, lügen aber wie gedruckt!»
Wie heißt es jedoch: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und so schrieb die Bild Ende 2024: «Honig ist nicht nur süß und lecker, sondern auch sehr gesund. Das natürliche süß-klebrige Lebensmittel hat eine leicht entzündungshemmende und auch antibakterielle Wirkung. Verantwortlich dafür sind die darin enthaltenen Polyphenole und Flavone.»
Dass Honig gesund ist – mit dieser Aussage könnte das Boulevardblatt durchaus richtig liegen. So heißt es in einer 2023 erschienenen Übersichtsarbeit mit dem Titel «Eine umfassende Überprüfung der Auswirkungen von Honig auf die menschliche Gesundheit»:
«Es wurden positive Effekte des Honigkonsums beobachtet, insbesondere wenn sein Konsum die Einnahme anderer Süßstoffe ersetzt. Außerdem könnte Honig ein sicheres Adjuvans sein, das begleitend zu Medikamenten zur Behandlung bestimmter Krankheiten verabreicht werden kann.»
Rohhonig erinnert an eine längst vergessene Harmonie
Sayer Ji, unter anderem Gründer von Greenmedinfo, hat dem Honig aktuell gar einen ganzen Substack-Beitrag gewidmet. Titel: «Wie Rohhonig Ihr Mikrobiom retten (und einer Reise in die Vergangenheit gleichkommen) könnte». Ji:
«Was wäre, wenn jeder Löffel Rohhonig, den Sie essen, nicht nur ein natürlicher Süßstoff wäre, sondern eine Zeitkapsel? Was wäre, wenn darin uralte Mikroben und biologische Botschaften eingebettet wären, die direkt zu Ihren Zellen sprechen und sie an eine längst vergessene Harmonie erinnern?
Das mag phantastisch klingen, aber die Wahrheit ist: In ihnen wohnen Milliarden Jahre biologisches Gedächtnis. Ob diese Codes der Vorfahren schlummern oder erwachen, hängt weitgehend davon ab, was Sie konsumieren – und was Sie [an Nahrung] vermeiden.»
Ji zitiert in diesem Zusammenhang den vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh (1926 bis 2022) mit folgenden Worten:
«Wenn Sie tief in Ihre Handfläche schauen, sehen Sie Ihre Eltern und alle Generationen Ihrer Vorfahren (…) Sie alle leben in diesem Moment.»
Auf biologischer Ebene sei diese Aussage erstaunlich wörtlich zu nehmen. Jede unserer Zellen – wie auch die Zellen aller anderen lebenden Organismen auf der Erde – lasse sich auf einen letzten universellen gemeinsamen Vorfahren («last universal common ancestor», kurz LUCA) zurückführen, der wahrscheinlich vor 3,5 bis 3,8 Milliarden Jahren in den Urmeeren gelebt habe. Sogar Charles Darwin habe, so Ji, auf diese Abstammung abgehoben, indem er schrieb:
«Wahrscheinlich stammen alle organischen Lebewesen, die jemals auf dieser Erde gelebt haben, von einer einzigen Urform ab, der zuerst Leben eingehaucht wurde.»
Unsere Keimbahnzellen – Spermien und Eizellen – würden diesen ununterbrochenen Faden der Kontinuität in sich tragen, so Ji. Diese quasi-unsterblichen Zellen hätten Milliarden von Jahren der Replikation durchlebt und dabei Aussterbeereignisse, genetische Engpässe und Umweltveränderungen überlebt. «Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes biologisch unsterbliche Zeitreisende – und das sind Sie auch», ist Ji überzeugt. Und weiter:
«Um zu verstehen, wie Honig diese verlorene Kontinuität wiederherstellen kann, müssen wir uns zunächst ansehen, was uns ausmacht. Die moderne Wissenschaft zeigt, dass wir nicht rein menschlich sind. Wir sind ein Metaorganismus, ein Hybridwesen, das aus zehnmal mehr mikrobiellen Zellen – Bakterien, Pilzen, Viren – als menschlichen Zellen besteht. Noch erstaunlicher ist, dass 99 Prozent unseres genetischen Materials mikrobiellen Ursprungs sind.
Unsere für die Energieproduktion wichtigen Mitochondrien sind Überreste urzeitlicher Bakterien, die vor etwa 1,5 Milliarden Jahren mit unseren Zellen verschmolzen. 10 Prozent des menschlichen Genoms sind retroviralen Ursprungs – eingebettete Echos vergangener Infektionen, die uns geprägt haben.»
Ji macht auch darauf aufmerksam, dass unsere Haut, unser Darm und sogar unser Atem in ständiger Interaktion mit der mikrobiellen Welt stünden. «Wir sind nicht von der Natur getrennt – wir sind Natur», fasst Ji zusammen.
Diese Sichtweise verändere auf radikale Weise, wie wir uns selbst und für uns Gesundheit definieren. Gemäß der hologenomen Evolutionstheorie seien wir Holobionten – Superorganismen, die sich gemeinsam mit unseren mikrobiellen Begleitern entwickeln und von ihnen abhängig sind.
Was wir essen, prägt uns
Ernährung sei nicht nur Energie oder struktureller Input – sie sei epigenetischer Code. Nahrung ernährt den Körper nicht nur; sie informiert ihn. Das Wort Information selbst bedeute «in Form bringen», und jeder Bissen enthalte subtile biochemische Anweisungen, die beeinflussten, wie sich unsere Gene ausdrücken, wie unser Mikrobiom gedeiht und wie sich unser Körper entwickelt. Ji:
«Unsere mikrobiellen Begleiter – jene uralten Verbündeten, die zahlreicher sind als unsere eigenen Zellen – werden stark davon geprägt, was wir essen, wo wir leben und welche kulturellen und angestammten Ernährungsgewohnheiten wir übernehmen oder aufgeben.»
Nahrung sei ein Bote. Sie trage mikrobielle Signaturen, molekulare Erinnerungen und verschlüsselte Beziehungen in sich, die über traditionelle, oft heilige Traditionen weitergegeben würden. Wenn wir vollwertige, wilde und unverfälschte Lebensmittel zu uns nehmen, so würden wir mehr als nur Nährstoffe erhalten – wir würden dadurch den Kontakt zu einer tieferen Intelligenz wiederherstellen.
Das goldene Geheimnis des Honigs
Und dies bringe uns zum goldenen Geheimnis des Rohhonigs – ein Nahrungsmittel, das sowohl eine Übertragungsfunktion als auch ein Genuss sein könne. Laut der Anthropologin Alyssa Crittenden konsumieren Jäger- und Sammlergruppen wie die Hadza in Tansania nicht nur regelmäßig Honig – er ist ihr wichtigstes Nahrungsmittel. Tatsächlich heißt es in einer 2014 veröffentlichten Studie:
«Sowohl Hadza-Männer als auch Hadza-Frauen nennen Honig als ihr Lieblingsessen. Die Hadza sammeln sieben Arten von Honig. Hadza-Frauen sammeln in der Regel Honig in Bodennähe, während Männer oft auf hohe Affenbrotbäume klettern, um die größten Bienenstöcke mit stechenden Bienen zu plündern.
Honig macht einen beträchtlichen Teil der Kilokalorien in der Ernährung der Hadza aus, insbesondere bei den Hadza-Männern.»
Beim Honig gehe es derweil nicht nur um die kalorische Belohnung – Honig enthalte auch mikrobielle Intelligenz. So wimmele roher, nicht pasteurisierter Honig von Laktobazillen und anderen nützlichen Mikroben, die von Bienen und den von ihnen bestäubten Pflanzen übertragen würden. «Diese Mikroorganismen unterstützen die menschliche Darmgesundheit und könnten das menschliche Mikrobiom mit ursprünglichen Bakterienstämmen neu besiedeln», ist Ji überzeugt. Ji:
«In einer Welt, in der Kaiserschnitte, Säuglingsnahrung, verarbeitete Lebensmittel, Antibiotika und Umweltgifte unsere uralten mikrobiellen Ketten durchtrennt haben, könnte Honig als ‹techno-heilige› Brücke zu unserem vergessenen biologischen Erbe dienen.»
Ji zitiert auch eine 2012 in PLoS ONE veröffentlichte Studie mit dem Titel «Symbionts as Major Modulators of Insect Health» (Symbionten als wichtige Modulatoren der Insektengesundheit). Diese zeigt auf, dass Honigbienen Milchsäurebakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien beherbergen, die sich wahrscheinlich im Laufe von 80 Millionen Jahren gemeinsam mit ihnen entwickelt hätten.
Dies deute darauf hin, dass wir Menschen, als wir begannen, nach Honig zu suchen, nicht nur dessen Süße geerbt, sondern auch sein mikrobielles Erbe in uns aufgenommen haben. Diese uralten Bakterien könnten im Laufe der Evolution für die Entwicklung des Immunsystems sowohl der Bienen als auch des Menschen von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Ji:
«Der Verzehr von rohem Honig könnte daher als biologische Brücke dienen, die den modernen Menschen wieder mit den mikrobiellen Gemeinschaften unserer Vorfahren verbindet und das erleichtert, was man als Paläo-Restaurierung unserer Mikrobiome bezeichnen kann.»
Honig sollte vor allem auch für die Bienen da sein
Ji verweist unterdessen auch darauf, dass das Honigsammeln in Felsmalereien des Jungpaläolithikums, also aus der Zeit vor rund 45.000 Jahren bis vor 11.700 Jahren, auftaucht. Diese Malereien zeigten, wie Menschen Bäume erklimmen und Bienenstöcke ausräuchern, um an den goldenen Nektar zu gelangen. Das wiederum verweist auf Kritik, die im Zusammenhang mit Honig angeführt wird. So lehnen Veganerinnen und Veganer jegliche Form der Tierausbeutung ab, sei es in der Lebensmittelproduktion oder anderweitig. Daher verzichten sie nicht nur auf tierische Produkte wie Milch, Käse und Eier, sondern auch auf Honig, um ein Zeichen gegen die Ausbeutung von Tieren zu setzen.
So weit muss man vielleicht nicht gleich gehen. Doch hier sollte jedenfalls nicht vergessen werden, dass es heute sehr, sehr viel mehr Menschen gibt als in der Zeit des Jungpaläolithikums. Zugleich hat sich die Zahl der Bienen deutlich verringert. Hauptgrund ist die heutige Chemielandwirtschaft sowie der Flächenverlust durch Bebauung und Versiegelung. «Auch ‹aufgeräumte› und häufig gemähte Parks, Grünflächen und private Gärten halten kaum Lebensräume bereit», wie es auf deutschland-summt.de heißt. Der NABU wiederum schreibt:
«In Europa gibt es etwa zehn Prozent weniger Bienen als noch vor einigen Jahren, in den USA ist ein Rückgang von 30 Prozent zu Verzeichnen – im Nahen Osten sind es sogar 85 Prozent.»
Im Übrigen weist Ji selbst darauf hin, dass die sich im (rohen) Honig tummelnden nützlichen Mikroben wie Laktobazillen «die Immunität und das Verhalten des Bienenstocks unterstützen». Honig ist also für die Bienen selbst äußerst wertvoll.
All dies sollte uns Menschen zumindest dazu veranlassen, das Thema Honig mit sehr viel Bedacht anzugehen. Die «Produktion» von Honig über die Zucht von Bienen trägt sicherlich dazu bei, dem Bienensterben entgegenzuwirken. Besonders wichtig wäre es aber vor allem auch, einer Landwirtschaft und einem Gärtnern den Garaus zu machen, die auf Monikulturen, Pestizide und «aufgeräumte» Zonen setzen, und damit aufzuhören, alles zuzubetonieren.
Derweil dürfte nicht nur roher Honig eine «Zeitkapsel» darstellen, auch sollte dies für viele andere ursprüngliche Lebensmittel gelten, die sich in einem Zustand befinden wie aus der Zeit der Steinzeit und davor, also aus der Zeit, bevor sich Ackerbau und Viehzucht entwickelten.
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