Die Staaten Europas haben ihre Militärausgaben im vergangenen Jahr stärker gesteigert als jeder andere Kontinent. Damit waren sie treibende Kraft beim Anstieg der Aufwendungen für die Streitkräfte weltweit auf rund 2,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung: 2,24 Billionen US-Dollar. Der Anstieg in Europa erreichte gut 13 Prozent (inflationsbereinigt), während etwa Afrika, Lateinamerika und Südostasien Rückgänge bei ihren Militärausgaben verzeichneten.
Das geht aus einer gestern publizierten Studie des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Das Papier belegt zudem, dass der Anstieg zwar durch den Ukraine-Krieg beschleunigt, aber nicht durch ihn verursacht wurde; vielmehr vollzieht er sich bereits seit geraumer Zeit und lässt sich mit den eskalierenden Machtkämpfen des Westens gegen Russland und gegen China in Verbindung bringen.
Dabei bestätigt die aktuelle Studie eine frühere, die SIPRI schon im März veröffentlicht hat; diese zeigt, dass einem starken Rückgang der Grosswaffenimporte etwa in Afrika oder Südamerika ein massiver Anstieg in Europa gegenüberstand. Die Ukraine fordert noch mehr und dringt auf Waffenlieferungen im Wert von einer halben Billion Euro. (...)
Die weltweiten Militärausgaben sind im vergangenen Jahr inflationsbereinigt um 3,4 Prozent auf 2,24 Billionen US-Dollar gestiegen. (...) Laut SIPRI entspricht der Betrag 2,2 Prozent der global erzielten Wirtschaftsleistung. Stärkster Treiber des Anstiegs war die Aufrüstung in Europa, wo die Militärausgaben – massiv beschleunigt durch den Ukraine-Krieg – um gut 13 Prozent in die Höhe schnellten (ebenfalls inflationsbereinigt).
Einen starken, allerdings noch unter dem europäischen Durchschnitt liegenden Anstieg verzeichnete Russland, das die Ausgaben für seine Streitkräfte um 9,2 Prozent auf 86,4 Milliarden US-Dollar steigerte. Das sind 4,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts.
Die Ukraine erhöhte ihre Aufwendungen für das Militär um 640 Prozent auf 44 Milliarden US-Dollar. Das sind 34 Prozent ihres katastrophal eingebrochenen Bruttoinlandsprodukts. Allein die Staaten West- und Zentraleuropas steckten im vergangenen Jahr 345 Milliarden US-Dollar in ihre Streitkräfte; das ist inflationsbereinigt zum ersten Male mehr als im Jahr 1989, dem letzten Jahr des Kalten Kriegs. (…)
Lag beim Anstieg der globalen Militärausgaben im vergangenen Jahr Europa klar vorn, so liegen bei der Summe der 2022 getätigten Ausgaben die Vereinigten Staaten unverändert mit erheblichem Abstand auf Platz eins. Ihre Aufwendungen für ihre Streitkräfte beziffert das Stockholmer Institut mit 877 Milliarden US-Dollar; das sind 39 Prozent aller Militärausgaben weltweit.
Die NATO – das Militärbündnis, das im Fall eines Krieges an der Seite der USA kämpfen würde – verzeichnete laut SIPRI im vergangenen Jahr entsprechende Budgetposten ihrer Mitgliedstaaten in Höhe von 1,23 Billionen US-Dollar; das sind rund 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit.
China, das Land, das im Westen von Politik und Medien häufig als zentraler Rüstungstreiber charakterisiert wird, gab SIPRI zufolge im vergangenen Jahr 292 Milliarden US-Dollar für seine Streitkräfte aus – lediglich ein Drittel des US-Betrags. Zwar trifft es zu, dass die Volksrepublik ihre Rüstungsgüter vielfach im eigenen Land einkauft und damit in der Regel deutlich niedrigere Preise zahlt; Experten gehen davon aus, dass Chinas Rüstungsausgaben nach Kaufkraftparität etwa die Hälfte der US-Ausgaben erreichen. (…)
Weltweit nahmen (…) die Aufwendungen für die Streitkräfte von 2013 bis 2022 um 19 Prozent zu. Während das Wachstum in Nordamerika mit 3,7 Prozent recht moderat ausfiel – bedingt dadurch, dass die Vereinigten Staaten seit je gewaltige Summen für das Militär bereitstellen –, lag es in Europa bei bemerkenswerten 38 Prozent; diese waren seit 2014 vor allem Resultat einer systematischen Aufrüstung gegen Russland. Höhere Steigerungsraten erzielten von 2013 bis 2022 insbesondere asiatische Staaten, so etwa Indien (47 Prozent) und China (63 Prozent).
Eine starke Zunahme gab es auch bei den engsten Verbündeten der westlichen Staaten in der Asien-Pazifik-Region, so etwa in Japan (18 Prozent), Südkorea (37 Prozent) und Australien (47 Prozent), die sich alle drei an der Seite des Westens gegen China positionieren. Die Tatsache, dass die Aufrüstung langfristig erfolgt, zeigt, dass sie nicht einfach dem Ukraine-Krieg geschuldet, sondern Teil des grossen Machtkampfs der westlichen Staaten gegen Russland und vor allem gegen China ist.
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