Seit mehreren Jahren durchdringt die Forderung nach einer politisch korrekten Sprache alle Institutionen. Sie wird immer radikaler formuliert und von oben herangetragen, mit einem moralischen Gestus, der Deutungsmacht suggeriert. Dieser Impetus basiert auf der Annahme, dass Sprache die Welt verändert. Und politisch korrekte Sprache, so die Schlussfolgerung, führt demnach zu einer besseren Welt.
Ist das wirklich so? Die beiden Linguisten Cordula Simon und Stefan Auer haben da ihre Zweifel. In ihrem gemeinsamen Buch «Politische Korrektheit, Wunschdenken und Wissenschaft» erklären sie, warum. Mehr noch: Sie entlarven den theoretischen Unterbau der vermeintlich «gerechten Sprache» als mythisches Konstrukt und werfen den Universitäten Versagen vor.
Obwohl die Autoren mit den «Sprachnormierern» und ihren theoretischen Ziehvätern hart ins Gericht gehen, ist der Duktus des Buches größtenteils neutral. Das oberste Anliegen sei nicht die Moral oder die politische Position gewesen, schreiben sie gleich zu Beginn, sondern die Argumente, mit denen die Forderung nach einer politisch korrekten Sprache üblicherweise begründet wird.
Simon und Auer weisen also auf Grenzen hin, an denen Wissen und Wissenschaft enden und Weltanschauung beginnt. Die Autoren tun dies, indem sie selbst auf jegliche Ideologie verzichten. Damit demonstrieren sie zugleich, wie eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen aussehen sollte. Es zählt das Argument, nicht der Glaube – und schon gar nicht die Moral.
Linguistisches Grundwissen
Aus diesem Grund ist das Werk auch nicht so leicht zu lesen. Wer noch nicht so viele wissenschaftliche Texte in der Hand gehalten hat, muss sich erst an diese Sprache gewöhnen, muss viel Geduld und Hingabe mitbringen, um den Inhalt zu verdauen. Dabei handelt es sich um einen bereits abgespeckten Text. Simon und Auer verzichten größtenteils auf Fachterminologie und versuchen, den Sachverhalt so verständlich wie möglich zu präsentieren, müssen aber aufgrund des Anliegens zumindest das linguistische Fundament legen. Wer dafür empfänglich ist, wird reich belohnt.
Man erfährt, wie dieser Wissenschaftszweig entstanden ist, lernt den theoretischen Impulsgeber Ferdinand de Saussure kennen und wird damit vertraut, worin das Wesen sprachlicher Zeichen besteht. Simon und Auer ermöglichen damit einen relativ einfachen Einstieg in die Linguistik und statten die Leser mit einem Basiswissen aus, auf dem sich aufbauen lässt.
Besonders interessant wird es dort, wo die Autoren sich Theoretikern widmen, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Werken und Aussagen die Generation der «Sprachnormierer» von heute geprägt haben. Es fallen Namen wie Michel Foucault, Roland Barthes oder Jacques Derrida. Diese sogenannten Poststrukturalisten, so die These des Buchs, wurden entweder falsch verstanden oder haben selbst wissenschaftliche Standards verletzt.
Plumpe Übernahme von Fehlannahmen und Fehlschlüssen
Viele ihrer Aussagen halten einer akribischen Überprüfung nicht stand. Das Versagen der Universitäten äußert sich darin, dass die heutigen Gelehrten und Professoren im Umkreis der Gender- und Kulturwissenschaften die Theorien der Poststrukturalisten lediglich übernommen haben, ohne wirklich zu prüfen, ob sie überhaupt Substanz haben. Anders ausgedrückt: Die Fakten werden so lange gebogen, bis sie in die eigene Weltsicht passen.
In den heutigen Gender- und Kulturwissenschaften, schreiben Simon und Auer, werden «Fehlannahmen und Fehlschlüsse plump und wieder und wieder auf höchsten akademischen Ebenen übernommen». Gleiches gilt für die Annahme, dass Sprachveränderungen Wirklichkeiten gestalten und verändern. Diese These werde lediglich «reproduziert, aber nicht argumentativ begründet».
Wenn die beiden Autoren die Galionsfiguren der heutigen «Sprachnormierer» entlarven, streuen sie hier und da ironische Bemerkungen ein. Das lockert nicht nur die Lektüre auf, sondern verleitet bisweilen zum Schmunzeln, etwa dort, wo Foucaults Aussage wiedergegeben wird, dass in Frankreich ein bestimmter Prozentsatz theoretischer Texte unverständlich bleiben muss, damit er auf die Leser tiefsinnig wirkt.
Beispiele aus dem Russischen
Die Ausführungen von Simon und Auer zeichnen sich hingegen durch Klarheit aus. Sie zeigt sich beispielsweise in Passagen, die das Augenmerk auf Sprachen außerhalb des Deutschen werfen, um das Argument zu entkräften, sprachliche Maßnahmen wie das Gendersternchen würden Frauen mehr Gerechtigkeit zukommen lassen.
So veranschaulichen sie etwa am Beispiel des Russischen, «dass sich die männliche Form von Frauen vereinnahmen lässt und in der Bevölkerung (…) die Ärztin ein Arzt sein kann und dass die sprachliche Ausformung, beziehungsweise ob sie negativ wahrgenommen wird oder nicht, nichts mit dem biologischen Geschlecht, dem Sexus, zu tun haben muss, sondern mit der jeweiligen erreichten Position – das heißt, dass es auch Frauen möglich ist, dieses generische Maskulinum zu besetzen».
Mangelhafte Studien
Mit neuen sprachlichen Ausdrücken lässt sich ohnehin keine politische Korrektheit erreichen, schreiben Simon und Auer: Das Konnotat, also die Nebenbedeutung, werde einfach fröhlich auf die nächste Form aufspringen, die den Platz im Kontext einnimmt, in dem es Verwendung finde wie das vorhergehende. In diesem Sinne lassen sich mit neuen Sprachausdrücken keine Veränderungen in der Welt bewirken. Und dennoch wird das auch an Universitäten ständig behauptet, ja sogar als bewiesener Fakt dargestellt.
Dass die vermeintlichen Forscher dabei der eigenen Ideologie folgen und gerne mal wissenschaftliche Standards unterschlagen, belegen Simon und Auer im weiteren Verlauf anhand vorliegender Studien. Diese «konnten nicht erfolgreich wiederholt werden», heißt es, «oder warten mit gar mageren Teilnehmerzahlen bzw. schwachen Ergebnissen auf». Oftmals bekomme man auch nicht die Studie, sondern nur eine Zusammenfassung zu Gesicht. Es mangele also an Transparenz, «genauso wie in der statistischen Aufarbeitung und an Fragestellungen, die nicht einfach geändert werden sollten».
Die Autoren beschreiben an diesen Stellen den Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Vorherrschend ist mittlerweile das konstruktivistische Verständnis von Wissen. Der Grundsatz lautet:
«Die Welt, die wir verstehen und über die wir etwas wissen wollen, ist nicht das, was sie unabhängig von uns und unserem sozialen Kontext ist; vielmehr sind alle Fakten sozial konstruiert, und zwar in einer Weise, die unsere kontingenten Bedürfnisse und Interessen widerspiegelt.»
Darin besteht der Unterschied zum klassischen Verständnis von Wissen.
Um die Wissenschaft tobt ein Krieg, schreiben die beiden Autoren. Um sprachliche Normen ebenfalls, muss man hinzufügen. In der Gesellschaft sind nicht alle damit einverstanden, dass das Gendern von oben aufgezwungen wird. Wer sich dagegen ausspricht, findet in dem Buch probate Argumente für Diskussionen im Alltag. Das 320-seitige Werk ist intellektuell anspruchsvoll, augenöffnend und bisweilen erheiternd. Dass Sprache einen Einfluss auf das Denken hat, halten auch die Autoren für plausibel. Aber, und das ist ein großes Aber: Diese Leistung von Sprache scheine «nicht in ihren Formen, sondern in ihren Inhalten zu liegen».