Regierung, Polizei, Justiz und Medien sind die realen Gewalten in diesem Land. Sie besitzen nahezu alle Macht: Gesetzgebung, Gewaltmonopol, öffentliche Definitionsmacht – alles liegt in ihren Händen.
Seit Monaten schon versuchen die Kritiker sich gegen diesen Machtblock zu behaupten. …
Nun lassen sich Spielfeld und Regeln (wie behördliche Vorgaben oder die Gebote der politisch-medialen Aufmerksamkeitsökonomie) durch die Demonstranten kaum bis gar nicht ändern. … Die Querdenker sollen sich auch weiterhin an alle geschriebenen Regeln halten. Aber eben nicht mehr an die ungeschriebenen Regeln. …
Es muss sich etwas ändern, sonst werden die Querdenker genauso zersetzt wie frühere Protestbewegungen.
Die Schwachpunkte der bisherigen Demos: Das Perfide daran ist, dass ausgerechnet die Eigenschaften, die aus Sicht der Veranstalter die Stärken der Protestbewegung sind, vom Gegner größtenteils als Schwächen beurteilt und ausgenutzt werden. Einzig die Friedfertigkeit der Proteste fällt nicht unter dieses Urteil. Die strikte Gewaltlosigkeit muss beibehalten werden, sie kann nicht gegen die Demonstranten verwendet werden.
Sind Demonstrationen bunt, greift sich der Gegner ganz einfach die hässlichste Farbe heraus und zerrt sie dauerhaft ins Rampenlicht. Im Falle der Proteste gegen die politischen Corona-Maßnahmen war das die Farbe braun.
Wenn Demos unabhängig sind, also frei von den Ressourcen und Einflüssen etablierter Akteure, dann sind die Demo-Organisatoren nicht nur frei in ihren Entscheidungen, sondern eben auch von ihrer Position her nicht einzuordnen. …Sie wollen weder rechts noch links sein? Na gut, dann werden sie eben von Politik und Medien eingeordnet.
Ist eine Demo fröhlich und musikalisch, sorgt das für gute Stimmung unter den Protestierenden. Aber es erlaubt dem Gegner auch zu sagen: „Guck mal, die wollen ja nur feiern. Dann kann es ja so schlimm nicht sein mit der angeblichen Unterdrückung in Deutschland.“
Legen Veranstalter vor Gericht Klage gegen Demo-Beschränkungen ein, dann haben sie offensichtlich Vertrauen in den Rechtsstaat. Erhalten sie dann auch noch recht, ist das doch nur ein Zeichen dafür, dass der Rechtsstaat funktioniert und die Kritik Unsinn ist.
Sind Kundgebungen informativ und offen, dann bieten sie dem Gegner eben auch die Möglichkeit, sich die schwächsten Argumente und Reden herauszupicken. Und genau das tut er: Emotionale Ausbrüche, unklare Formulierungen, sarkastische Sprüche, schillernde Paradiesvögel, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate.
Es liegt nicht in der Macht der Querdenker, diese Logik zu durchbrechen. Sie können sie aber in ihrem Sinne nutzen. Dazu muss man sich klarmachen, wie Medien und „soziale Medien“ funktionieren. Es braucht keine fröhlichen Veranstaltungen und keine tiefschürfenden Argumente, um dort prominent aufzutauchen. Es braucht beeindruckende Bilder und plakative Botschaften. Über Bilder, Symbole und Botschaften müssen die Querdenker die Kontrolle gewinnen. Besser spät als nie. Und zwar indem sie diese selbst anbieten. Aber nicht viele verschiedene, sondern genau ein Bild, ein Symbol, eine Botschaft.
Hier kommen die schwarzen Wahrheiten ins Spiel.
Die schwarze Wahrheit ist ein philosophisches Konzept, das als Mittel äußerst wirksam in Rhetorik, Aktionskunst, aber auch in politischen Auseinandersetzungen angewandt werden kann. …
Bei schwarzen Wahrheiten handelt es sich um Aussagen, die unter den gegebenen Voraussetzungen zwar richtig und vernünftig sind, die aber zu extrem, ja geradezu skandalös sind, als dass man sie tatsächlich so meinen könnte.
Was bedeutet das für die aktuellen Demos gegen den Corona-Ausnahmezustand? Um in der großen Breite wirksam zu werden, dürfen die Proteste nicht die Maßnahmen kritisieren – das ist es, was alle erwarten –, sondern sie müssen die Maßnahmen ekstatisch bejahen.
Die grundsätzliche Logik lautet: Die Polizei fordert Masken? Okay, können sie haben! Alle Demonstranten tragen schwarze Masken. Nicht nur im Laufen, nein auch im Sitzen. Die ganze Zeit. Wenn wir vor Gericht dagegen klagen, dann weil die Auflagen der Polizei viel zu lasch sind. Wir klagen für härtere Auflagen. Wir sind noch viel extremer als die Gegenseite und spiegeln damit ihren Extremismus. Die Regierung fordert Masken beim Einkaufen? Wir fordern Masken beim Essen! Sie fordern Masken an der frischen Luft? Lächerlich! Wir fordern Masken auch im Bett!
Schwarze Wahrheiten sind als philosophisches Mittel verwandt mit dem schwarzen Humor. Nur sind sie nicht lustig. Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sind eben nicht lustig. Es geht hier gegen eine Horrorversion der nahen Zukunft, gegen eine echte Dystopie.