Der schwedische Premierminister Ulf Kristersson sieht sich schwerwiegenden Vorwürfen ausgesetzt, die seine Zeit als Vorsitzender der Adoptionsagentur «Adoptionscentrum» zwischen 2003 und 2005 betreffen. Laut einer Strafanzeige der Kriminologin Jenny Rogneby soll Kristersson indirekt an illegalen internationalen Adoptionen beteiligt gewesen sein, die heute als Formen des Menschenhandels und damit juristisch als Kindesmissbrauch gewertet werden. Rogneby selbst kam in Äthiopien zur Welt und wurde als Säugling in Schweden adoptiert.
Im Zentrum der Ermittlungen steht ein umfangreicher staatlicher Bericht vom Juni 2025, der über 800 Seiten systematische Missstände im schwedischen Adoptionssystem dokumentiert. Demnach sollen über Jahrzehnte hinweg Kinder aus Ländern wie China, Chile und Äthiopien unter zweifelhaften Umständen adoptiert worden sein – teils mit gefälschten Papieren, ohne Zustimmung der Eltern oder unter Angabe falscher Todesursachen (siehe auch hier und hier).
Während Kristersson in seiner Funktion beim Adoptionscentrum amtierte, stieg die Zahl der Adoptionen aus China auffällig stark an. Hinweise auf konkrete persönliche Verantwortlichkeit oder sexuelle Gewalt durch Kristersson gibt es bislang nicht. Dennoch laufen Ermittlungen unter anderem wegen möglicher Urkundenfälschung und Beihilfe zum Kinderhandel.
Kristersson selbst hat sich zu den jüngsten Vorwürfen bisher nicht öffentlich geäußert. Zwar bekannte er sich im Juni zu einer staatlichen Entschuldigung gegenüber betroffenen Adoptivkindern, eine persönliche Verantwortung wies er jedoch zurück.
Die juristische Lage ist eindeutig: Nach schwedischem Recht, ähnlich dem deutschen § 236 StGB, gelten kommerzielle oder gesetzeswidrige Adoptionen als Straftat. Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnten dem Premierminister strafrechtliche Konsequenzen drohen.
Die Affäre hat auch eine politische Dimension. Beobachter stellen Verbindungen zwischen möglicher Erpressbarkeit und außenpolitischen Entscheidungen her – etwa dem NATO-Beitritt Schwedens im Jahr 2022, der unter Kristerssons Führung ohne Volksbefragung vollzogen wurde. Entsprechende Vermutungen bleiben jedoch spekulativ und sind bislang nicht belegt.
Fest steht: Der Fall Kristersson wirft ein Schlaglicht auf jahrzehntelange Versäumnisse im schwedischen Adoptionswesen. Die laufenden Ermittlungen werden zeigen müssen, inwieweit politische Verantwortung daraus erwächst.