Im September hatte der Schweizer Parlamentarier Jean-Luc Addor von der Schweizerischen Volkspartei beim Bundesrat eine Motion eingereicht, die «Amnestie für die Opfer der Covid-Justiz» fordert. Der Politiker beauftragte darin die Regierung, «alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um sämtliche in Anwendung der Covid-19-Gesetzgebung verhängten strafrechtlichen Sanktionen aufzuheben und in diesem Zusammenhang angefallene Geldstrafen und Gerichtskosten zurückzuerstatten».
Abgesehen von der gesundheitlichen Dimension sei «die Covid-Krise eine Krise der Regierungsführung und vor allem eine Krise der Freiheiten» gewesen, so Addor. Er erläutert:
«Während zweier langer Jahre wurde die Schweizer Bevölkerung in ihren Grundrechten schwer beschränkt, teilweise in einem noch nie dagewesenen Ausmaß (man denke an die Verletzungen der Religionsfreiheit): Solche Beschränkungen waren unter anderem Zwangsmaßnahmen wie der Impfzwang, die Zertifikats- oder auch die Maskenpflicht (vor allem für Schülerinnen und Schüler), die Quarantäne, das Kontaktverbot oder die Schliessung von Schulen und sogar von Kirchen.
Diese düstere Periode in der Geschichte unserer Freiheiten hat beträchtliche Spuren hinterlassen: unter anderem eine gespaltene Gesellschaft und gespaltene Familien, ruinierte Unternehmen, unrechtmässige Entlassungen, die Kriminalisierung impfunwilliger Bürgerinnen und Bürger oder psychische Störungen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung, auch wenn er bei den verschiedenen Volksabstimmungen im Zusammenhang mit der Krise stets in der Minderheit war, hat das Vertrauen in den Staat und in die Demokratie verloren oder droht es zu verlieren.
Um eine Form des sozialen Friedens wiederherzustellen, ist es daher an der Zeit, mit einer Generalamnestie das Geschehene hinter sich zu lassen.»
Addor macht geltend, dass andere Länder wie die Slowakei oder auch US-Bundesstaaten diesen Weg bereits gegangen seien und damit gute Erfahrungen gemacht hätten.
Letzte Woche lehnte der Bundesrat nun die Motion ab. In seiner Stellungnahme räumt er ein, er sei sich «der Tragweite der Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus bewusst». Der Entscheid über diese Maßnahmen sei nicht nur auf Basis der epidemiologischen Lage erfolgt, sondern man habe dabei auch «die Auswirkungen der Massnahmen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft» berücksichtigt. Und unter anderem habe die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen bestätigt. Die Landesregierung schließt:
«Die Einführung einer spezialgesetzlichen Amnestie aufgrund strafbarer Widerhandlungen gegen Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ist nach Auffassung des Bundesrates daher nicht angezeigt. Sie wäre auch kein geeignetes Mittel zur Aufarbeitung der vielfältigen gesellschaftlichen Folgen dieser Pandemie und der getroffenen staatlichen Massnahmen. Schliesslich würde sie zu einer nach Auffassung des Bundesrates kaum zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gegenüber Personen führen, die in anderen Lebensbereichen von Strafurteilen betroffen waren.
Kommt hinzu, dass betroffene Personen die Rechtmässigkeit der sie betreffenden Urteile mittels den üblichen Rechtsmittelverfahren überprüfen lassen konnten bzw. können. Es sind somit keinerlei Gründe ersichtlich, gestützt auf die Covid-19-Strafbestimmungen ergangene Strafurteile im Nachhinein besonders zu behandeln.»
Der Verein WIR beanstandet den Entscheid und kündigt ein Webinar für eine «ehrliche Aufarbeitung» an. Es werde Zeit, «die Geschichte nicht länger von denen schreiben zu lassen, die sie uns seit Jahren diktieren wollen».
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