In der Schweiz ruhten die Coronamassnahmen auf drei Pfeilern: Einerseits dem Epidemiegesetz von 1970 in der Form von 2016, andererseits dem Covid-Gesetz, das per Dringlichkeit in Kraft gesetzt und mehrmals verlängert wurde, und drittens notrechtlichen Bestimmungen.
Als im letzten Jahr der Bundesrat das Covid-Gesetz ein weiteres Mal verlängern wollte, stand die Frage im Raum, warum der Bundesrat weiterhin die Kompetenz haben soll, in Eigenregie Zwangsmassnahmen wie die Zertifikatspflicht zu ergreifen.
Immerhin sagte selbst dieses Gremium, dass sich eine erneute Anwendung dieser Massnahmen nicht aufdrängen würde. Von massnahmenkritischer Seite wurde diese Verlängerung als Zwängerei empfunden. Deshalb wurde von dieser Seite das Referendum ergriffen, mit dem eine Volksabstimmung ausgelöst wurde – die dann zuungunsten der Massnahmenkritiker ausfiel.
Nun sind die Gründe klar. Der Bundesrat schlägt eine Revision des Epidemiegesetzes vor, was dazu führen würde, dass er auf Dauer die Kompetenz erhielte, sämtliche während der Pandemie ergriffenen Massnahmen zu verhängen und wieder aufzuheben. Die Liste der möglichen Eingriffe ist lang und reicht von Kontaktverboten bis zur Impfpflicht für medizinisches Personal. Der Bundesrat könnte:
- Massnahmen gegenüber einzelnen Personen oder gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen ergreifen (sprich: Zertifikats- oder Maskenpflichten)
- Medizinalpersonen dazu verpflichten, Impfungen durchzuführen
- Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, besonders exponierten Personen und Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären
- Das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete, bestimmte Aktivitäten an definierten Orten sowie Menschenansammlungen im öffentlichen Raum verbieten oder einschränken (sprich: Lockdowns verhängen)
- Kontaktdaten erheben
- Anordnen, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtungen von zu Hause aus erfüllen
- Ein Durchimpfungsmonitoring betreiben (es ist unklar, ob, wie heute, der Impfstatus noch zu den schützenswerten Daten gehören würde und die Durchimpfungsrate weiterhin in anonymisierter Form erhoben würde)
- Ein Contact-Tracing mit Auskunftspflicht der betroffenen Personen anordnen (auch hier ist unklar, ob das Schweizer System weiterhin so funktionieren würde, dass eine Standortortung nicht möglich ist)
- Massnahmen im öffentlichen Verkehr und im internationalen Personenverkehr anordnen (das kann auch eine Zertifikatspflicht für den ÖV sein, was man in der Coronazeit immer vermieden hat).
Mit dieser Gesetzesrevision würde der Bundesrat die Kompetenz erhalten, alle Massnahmen, die der Schweizer Bevölkerung bei den diversen Volksabstimmung zum Covid-Gesetz als befristet «verkauft» wurden, in eigener Kompetenz zu ergreifen – praktisch wann immer es ihm beliebt, zum Beispiel auf Empfehlung der Weltgesundheitsorgansation (WHO).
Es würde dann auch schwierig werden, gegen solche scharfe Eingriffe in die individuelle Freiheit gerichtlich vorzugehen. In der Coronazeit hat das Schweizer Bundesgericht argumentiert, dass die Regierung in Pandemiezeiten über einen erweiterten Ermessensspielraum verfüge und dass, solange deren Entscheide im Rahmen der WHO-Empfehlungen liegen, diese gerichtlich nicht zu beanstanden seien.
Damit ist nicht garantiert, dass der Kern der Grundrechte auch in Notzeiten respektiert wird. Grundrechte können im Notfall angetastet werden. Das setzt aber eine gesetzliche Grundlage voraus, die Verhältnismässigkeit muss gewahrt sein und der Kern der Grundrechte muss jederzeit gewahrt werden.
Mit diesem de facto «Blankoscheck», den der Bundesrat mit dem revidierten Epidemiegesetz möchte, ist dies nicht gewährleistet. Auch wenn Rechtsgrundsätze wie die Verhältnismässigkeit im Gesetz noch erwähnt sind, wird es in der Praxis schwierig werden, diese einzuklagen.
Auch die Gewaltentrennung wird durch diesen Reformvorschlag ernsthaft gefährdet; nicht nur aufgrund der in der Praxis fehlenden Einklagbarkeit. Beim Erlass von Verordnungen, die auf diesem Gesetz beruhen, wird der Bundesrat in praxi Gesetzgeber. Diese Funktion ist aber eigentlich dem Parlament vorbehalten.
Der Revisionsvorschlag des Schweizer Epidemiegesetzes befindet sich bis am 22. März in der Vernehmlassung. Somit können interessierte Bürgerinnen und Bürger dazu Stellung nehmen. Mehr dazu hier.
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