«Schweizer Forschende finden Ursache von Long Covid», titelte der Tages-Anzeiger letzte Woche. Dabei geht es um eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Zürich (UZH) und des Universitätsspitals Zürich. Mitverantwortlich für «Long Covid» soll demnach das Komplementsystem sein, ein Teil unseres angeborenen Immunsystems. Dieses würde nicht mehr in den Ruhezustand zurückkehren und somit auch gesunde Körperzellen schädigen, wie der Mitautor Onur Boyman von der UZH in einer Mitteilung bestätigte.
«Long Covid» ist allerdings nicht eindeutig definiert, denn es gibt keine spezifischen Symptome für diese angeblich neue Krankheit. Sie reichen von Haarausfall bis Halluzinationen. Der einzige gemeinsame Faktor ist ein positives SARS-CoV-2-Testresultat, auf dessen Grundlage zuerst «Covid» und dann «Long Covid» diagnostiziert wurde. Auf diesen problematischen Umstand machten schon mehrere Studien aufmerksam.
So zeigte eine Arbeit vom Mai 2023, dass es sich bei «Long Covid» nicht nur um ein einziges Leiden handelt, und dass Forscher «Long Covid» weiterhin nicht definieren können. Und im September 2023 veröffentlichte das British Medical Journal (BMJ) eine Arbeit, laut der die Long-Covid-Definitionen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) «fehlerhaft» sind. Der Begriff «sollte vermieden werden», raten die Forscher.
Sie bemängeln, dass die unzulängliche Begriffsverwendung etwa mehr gesellschaftliche Ängste und mehr Ausgaben im Gesundheitswesen verursacht hat. Zudem hätten aufgrund der falschen Long-Covid-Diagnose andere behandelbare Krankheiten nicht diagnostiziert werden können.
Ein konkretes Beispiel ist der Fall von Grant Churnin-Ritchie aus England. Bei dem Mann wurde im Juli 2021 «Covid» diagnostiziert, dann «Long Covid». Später zeigte sich, dass Churnin-Ritchie an einem Hirntumor litt, der durch die Fehldiagnose erst im Januar 2023 entfernt werden konnte.
Trotzdem beschäftigen sich viele Wissenschaftler mit dem Thema, denn Forschungsgelder, Ruhm und Ehre winken bei «Durchbrüchen» in der «Covid»- und «Long Covid»-Forschung. So wurde auch in der neuen Arbeit aus Zürich die «fehlerhafte» Long-Covid-Definition der WHO benutzt. Dies spiegelt sich denn auch in den vielfältigen Symptomen der Patienten wider, darunter: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Husten, Atemnot, Schmerzen in der Brust, gastrointestinale Beschwerden, Angstzustände oder Depressionen.
Den Daten zufolge hatten zudem die Patienten, die angeblich «Long Covid» entwickelten, wesentlich häufiger Vorerkrankungen als die restlichen Teilnehmer. Dies traf zu bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus, zerebrovaskulären Erkrankungen, Lungenerkrankungen, Asthma bronchiale, bösartigen Tumoren, Autoimmunerkrankungen und systemischer Immunsuppression.
Weiter ist festzustellen, dass die «Long Covid»-Patienten im Vergleich häufiger Medikamente gegen «Covid» erhalten hatten: Hydroxychloroquin, Remdesivir, Tocilizumab und Corticosteroide. 30 Prozent der «Long Covid»-Teilnehmer wurden ausserdem auf der Intensivstation gegen «Covid» behandelt. Aus der Arbeit geht das nicht hervor, doch es ist anzunehmen, dass die meisten von ihnen durch Intubation künstlich beatmet wurden, was schwere Folgen haben kann. Von den Patienten ohne «Long Covid» wurden lediglich 4,1 Prozent auf die Intensivstation verlegt.
Was die Injektionen gegen «Covid» betrifft, stellen die Autoren fest, dass der Covid-19-Impfstatus keinen Einfluss auf das Komplementsystem zeigte. Bei den Erkrankten gab es allerdings einen kleinen Unterschied: So waren 12,5 Prozent der «Long Covid»-Patienten «geimpft», im Gegensatz zu 9,6 Prozent derjenigen, bei denen kein «Long Covid» diagnostiziert wurde. Die niedrige Impfquote ist darauf zurückzuführen, dass die Studie zwischen April 2020 und April 2021 durchgeführt wurde.
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