In den letzten Jahren hat sich die Schweiz als sicherer Hafen für Unternehmen positioniert, die auf Datenschutz und Verschlüsselung setzen. Doch nun sieht sich die Branche mit einer bedrohlichen Herausforderung konfrontiert.
Der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, plant, die Überwachungsmöglichkeiten für Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste erheblich auszuweiten, wie am Dienstag bekannt wurde. Dies betrifft nicht nur die großen Telekommunikationsanbieter wie Swisscom, sondern auch eine Reihe von kleineren Technologieunternehmen, die ihre Dienste in der Schweiz anbieten und weltweit für ihre hohen Datenschutzstandards bekannt sind – darunter Threema, Proton und Tresorit.
Im Zentrum der Diskussion steht der Dienst «Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr» (ÜPF), der bereits 2023 mehr als 9400 Überwachungsmaßnahmen durchführte. Der Bundesrat möchte diesem Dienst nun erweiterte Befugnisse verleihen, um unter anderem eine rückwirkende Überwachung von Internetverbindungen und eine Echtzeitüberwachung von sogenannten Randdaten zu ermöglichen.
Randdaten umfassen Informationen wie die Häufigkeit, Dauer und den Standort von Kommunikationsvorgängen, auch bei Apps wie Threema und Protonmail, die als besonders sicher gelten. Ein zentrales Element der geplanten Reform ist die Erweiterung der Überwachungspflichten auf sogenannte «abgeleitete Kommunikationsdienste». Dies würde Messenger-Dienste wie Threema und Proton beinhalten, die bislang durch ein Bundesgerichtsurteil von umfangreichen Überwachungspflichten befreit wurden.
Die Reaktion der betroffenen Unternehmen ließ nicht lange auf sich warten. Threema, einer der führenden sicheren Messenger-Dienste der Schweiz, spricht von «Überwachung durch die Hintertür» und lehnt die neuen Bestimmungen entschieden ab. Laut Threema-Chef Robin Simon würde die geplante Datenspeicherung und die Echtzeitüberwachung die Privatsphäre der Nutzer massiv gefährden.
Simon betont, dass sein Unternehmen keine Kundendaten speichere und dass eine Vorratsdatenspeicherung mit erheblichen Risiken verbunden sei. Die geplante Änderung würde nicht nur die Integrität des Geschäftsmodells gefährden, sondern auch die Attraktivität der Schweiz als Standort für Tech-Start-ups beeinträchtigen. In einem Schritt, der die Schärfe der Auseinandersetzung verdeutlicht, kündigte Simon an, gegebenenfalls eine Volksinitiative zu starten, um den Ausbau des Überwachungsstaates zu verhindern.
Auch Proton, ein Anbieter von verschlüsselten E-Mail- und VPN-Diensten, meldete sich zu Wort. CEO Andy Yen äußerte scharfe Kritik und bezeichnete die Pläne als einen «aggressiven Ausbau des Überwachungsstaats». Proton, das vor allem durch seine VPN-Dienste als Alternative zu den großen, datenschutzkritischen Unternehmen wie Google bekannt wurde, droht mit der Abwanderung aus der Schweiz, sollte das Gesetz verabschiedet werden. «Unter keinen Umständen können wir dieses Gesetz erfüllen», erklärte Yen und betonte, dass Proton gegebenenfalls gezwungen wäre, die Schweiz zu verlassen. Die Firma hat in den letzten Jahren insbesondere durch ihre VPN-Dienste und den Kampf gegen Propaganda in Ländern wie Russland an Bedeutung gewonnen.
Die Kritiker der geplanten Revision weisen darauf hin, dass der Ausbau der Überwachungsbefugnisse den Datenschutz in der Schweiz weiter aushöhlen würde. Sie argumentieren, dass der Zugriff auf persönliche Daten von Nutzern nicht nur die Privatsphäre gefährdet, sondern auch eine langfristige Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Technologiebranche darstellt. Martin Steiger von der digitalen Gesellschaft warnte, dass der geplante Ausbau zu einer deutlichen Zunahme der Überwachung führen könnte, da Behörden weniger Aufwand betreiben müssten, um auf Nutzerdaten zuzugreifen.
Auf der anderen Seite betonen die Befürworter der Reform, dass die Änderungen notwendig seien, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten zu erleichtern. Der Dienst ÜPF verweist darauf, dass die Überwachungsmaßnahmen stets einer strengen dreistufigen Kontrolle unterlägen. Jede Maßnahme müsse von der Staatsanwaltschaft angeordnet, von ÜPF geprüft und von einem Zwangsmaßnahmengericht genehmigt werden.
Für den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gelten noch strengere Auflagen, da hier zusätzlich die Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Vorstehers des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS – Verteidigungsministerium) erforderlich sind.
Die Vernehmlassung zum Entwurf der Überwachungsreform läuft noch bis zum 6. Mai 2025. In dieser Zeit haben betroffene Unternehmen und Privatpersonen die Möglichkeit, Stellungnahmen einzureichen. Die Frage ist, ob die Schweiz weiterhin ein sicherer Hafen für datenschutzorientierte Unternehmen bleibt oder ob sie zu einem Hotspot für digitale Überwachung wird.
Eine ironische Randnotiz ist die Tatsache, dass die Bundesverwaltung selbst den Messenger-Dienst Threema für vertrauliche Kommunikation verwendet. Dies stellt eine paradoxe Situation dar: Während der Bund die Vorteile von Threema in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz schätzt, plant er gleichzeitig, Unternehmen wie Threema und Proton zu zwingen, Kundendaten für Überwachungszwecke bereitzustellen.