Matteo Salvini war im August italienischer Innenminister in der ersten Regierung von Premierminister Giuseppe Conte. Damals blockierte er das Einlaufen des spanischen Rettungsschiffs Open Arms, das im Mittelmeer 163 Migranten von seeuntauglichen Booten gerettet hatte. Unter Berufung auf die Sicherheit Italiens und die Forderung nach einer gerechteren Verteilung von Migranten innerhalb der Europäischen Union, ließ Salvini das Schiff tagelang auf See verweilen.
Weder Italien noch Malta wiesen dem Schiff einen Hafen zu, obwohl die Situation an Bord zunehmend prekär wurde. Einige Migranten sprangen schließlich verzweifelt ins Wasser, um die italienische Küste schwimmend zu erreichen. Schließlich entschied ein sizilianischer Staatsanwalt, das Schiff zu beschlagnahmen und die Migranten nach Lampedusa zu bringen. Die Staatsanwaltschaft fordert nun sechs Jahre Haft wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs für den heutigen stellvertretenden Ministerpräsidenten, wie die Medien, darunter der Bund, diese Woche meldeten.
Die Staatsanwaltschaft in Palermo argumentiert, dass Salvini durch sein Handeln bewusst Menschen ihrer Freiheit beraubte und seine Amtsbefugnisse überschritten habe. Obwohl Salvini als Mitglied der Regierung handelte, wirft die Anklage ihm vor, eigenmächtig entschieden zu haben und auf internationalen Druck nicht eingegangen zu sein. Der Anklage zufolge gefährdete Salvini bewusst das Leben der Migranten an Bord, um seine Politik der «geschlossenen Häfen» durchzusetzen.
Der sizilianische Staatsanwalt beschuldigt Salvini zudem, die humanitäre Krise bewusst verschärft zu haben, um seine politischen Ziele zu verfolgen und populistische Unterstützung zu sichern. Die Staatsanwaltschaft hat daher sechs Jahre Haft für Salvini gefordert, was das Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte, sollte das Gericht der Anklage folgen.
Salvini und seine Verteidiger argumentieren, dass er lediglich die nationale Sicherheit verteidigt habe. Der damalige Innenminister sieht sich selbst als Opfer einer politisch motivierten Justiz und betont, dass er nur im Interesse Italiens gehandelt habe. «Es war meine Pflicht, die Sicherheit und Würde Italiens zu schützen», erklärte Salvini vor Gericht. Er verweist darauf, dass er die EU durch seine Politik der «geschlossenen Häfen» dazu bringen wollte, eine gerechtere Verteilung von Migranten innerhalb Europas durchzusetzen. Tatsächlich gingen in den Monaten nach den harten Maßnahmen die Zahlen der ankommenden Migranten zurück, was Salvini als Erfolg seiner Politik wertet.
Salvini betont außerdem, dass er als Innenminister im Einklang mit den Entscheidungen der damaligen Regierung unter Giuseppe Conte gehandelt habe. Diese hatte eine harte Linie in der Migrationspolitik vertreten, um die EU zur Kooperation zu drängen. In früheren Verfahren wurde Salvini von ähnlichen Vorwürfen freigesprochen, unter anderem mit der Begründung, dass er nicht eigenmächtig, sondern im Namen der Regierung gehandelt habe. Doch in diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft Zeugen aufgeboten, die behaupten, Salvini habe auf Anweisungen der Regierung nicht reagiert und eigenständig die Blockade des Schiffs fortgeführt.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Parteichefin der rechtsnationalen Fratelli d’Italia und enge Verbündete Salvinis, reagierte scharf auf die Forderung der Justiz. Sie verteidigte Salvini und warf der sizilianischen Justiz vor, gegen den politischen Willen der Regierung zu arbeiten. Die Regierung sieht die Anklage als Teil eines größeren Versuchs, die rechtsgerichtete Politik der Koalition zu untergraben.
«Es ist undenkbar. Ein Minister unserer souveränen Republik riskiert, zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt zu werden, weil er seinen Job macht, nämlich die Grenzen des Landes zu verteidigen, wie es die Bürger mit ihrer Stimme gefordert haben. Wenn man den Schutz der italienischen Grenzen vor illegaler Einwanderung unter Strafe stellt, ist das ein sehr ernster Präzedenzfall. Ich bekunde meine volle Solidarität mit Salvini», schrieb Meloni auf X.
Diese Äußerungen haben nicht nur Empörung in der Opposition ausgelöst, sondern auch den italienischen Richterverband auf den Plan gerufen. Dieser warnt vor unzulässigem politischem Druck auf die Justiz und betont die Unabhängigkeit der Gerichte. Die Opposition wirft Meloni vor, die Institutionen des Staates zu destabilisieren, indem sie die Justiz angreift und das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Italiens untergrabe.
Die Anklage wies darauf hin, dass die Menschenrechte Vorrang vor der nationalen Souveränität haben.
«Es gibt ein Grundprinzip, das nicht in Frage gestellt werden kann. Zwischen den Menschenrechten und dem Schutz der Souveränität des Staates, auf der Grundlage unserer demokratischen Prinzipien, muss das erste immer Vorrang haben. Jeder, der sich auf See in Gefahr befindet, muss gerettet werden. Unabhängig davon, ob es sich um einen Passagier, ein Besatzungsmitglied oder einen Migranten handelt», sagte Staatsanwalt Gery Ferrara in seinem Plädoyer.
Der Prozess gegen Salvini hat das Potenzial, die politische Landschaft Italiens nachhaltig zu verändern. Sollte Salvini verurteilt werden, droht ihm nicht nur eine mehrjährige Haftstrafe, sondern auch das Ende seiner politischen Karriere. Das betonen die deutschsprachigen Leitmedien und hoffen wohl auch darauf.
Im Hintergrund braut sich zudem eine mögliche politische Mobilisierung von Salvinis Anhängern zusammen. In den Reihen seiner Partei wird darüber diskutiert, ob man zu einer großen Demonstration vor dem Gericht in Palermo aufrufen solle, um Solidarität mit Salvini zu zeigen. Einige Kommentatoren ziehen bereits Vergleiche zu den Protesten von Donald Trump-Anhängern in den USA, insbesondere vor dem Sturm auf das Kapitol im Jahr 2021. Salvinis innerer Kreis, darunter seine Anwältin und frühere Ministerin Giulia Bongiorno, mahnt jedoch zur Zurückhaltung und erklärte, dass man «volles Vertrauen in die Justiz» habe.
Bongiorno betonte zudem, dass «der Staatsanwalt mit seiner heutigen Erklärung gegen die Anordnungen der Regierung in Bezug auf die Einwanderung verstößt, gegen die Linie, nach der zuerst die Umverteilung der Migranten beschlossen werden wollte und erst dann ihre Ausschiffung erfolgen sollte».
Das Urteil im Salvini-Prozess wird für den 18. Oktober erwartet. Die Entscheidung des Gerichts könnte nicht nur für Salvini persönlich, sondern auch für die italienische Regierung von großer Bedeutung sein. Sollte Salvini verurteilt werden, könnte das die Stabilität der Koalition zwischen Melonis Fratelli d’Italia und der Lega ins Wanken bringen. Gleichzeitig wird der Fall in ganz Europa aufmerksam verfolgt, da er die tiefe Spaltung in der italienischen und europäischen Migrationspolitik verdeutlicht.
Für Salvini steht viel auf dem Spiel: ein Schuldspruch könnte seine politische Karriere beenden und das Vertrauen seiner Anhänger erschüttern. Ein Freispruch hingegen könnte ihn als entschlossenen Verteidiger der nationalen Interessen Italiens darstellen – und seine Position in der italienischen Politik festigen.
Kommentar von Transition News
Wo war Staatsanwalt Gery Ferrara in der Coronazeit? Der Prozess gegen Salvini sieht sehr nach selektiver Gewichtung der Menschenrechte aus, nachdem sie in der Coronazeit praktisch keine Rolle spielten. Wenn die italienische Regierung hinter den Kulissen Druck macht, dann ist das allzu verständlich.