Seit den Zeiten Bismarcks galt in der deutschen Außenpolitik das Axiom, dass eine Außenpolitik nicht ohne die Türkei konzipiert werden kann. Das ottomanische Reich trat denn auch folgerichtig praktisch von Anfang an auf Seiten der Achsenmächte in den Ersten Weltkrieg ein. Gleichzeitig verschärfte es die Angriffe im Innern auf Minderheiten und politische Gegner.
Das begann mit Säuberungen in Armee, Verwaltung und Presse – auch Vertreter zum Beispiel der armenischen Minderheit hatten zum Teil in der Armee wichtige Offiziersränge inne – und kulminierte 1915 im planvoll ausgeführten Völkermord an der armenischen Bevölkerung, den die Türkei bis heute leugnet. Zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Menschen fielen diesem Genozid zum Opfer. Mit seinem Jahrhundertroman «Die vierzig Tage des Musa Dagh» lieh der österreichische Schriftstellers Franz Werfel den geschundenen Armeniern seine gewaltige Stimme und machte ihr Leiden unsterblich.
Auch das mehrheitlich von Griechen bewohnte Smyrna (heute Izmir) sollte nicht verschont werden. Der Provinzgouverneur verfügte 1916 Deportationen von Armeniern. Anders als überall sonst im ottomanischen Reich schritt aber ein Offizier des verbündeten Deutschlands ein: Otto Viktor Karl Liman von Sanders – sein Name sei positiv vermerkt - drohte dem Provinzgouverneur, er würde Deportationen der armenischen Bevölkerung in Smyrna mit Waffengewalt verhindern.
Deshalb blieb Smyrna auch während des Ersten Weltkriegs eine multikulturelle Stadt. Außer Liman von Sanders stelle sich im deutschen Heer niemand den Deportationen und dem Völkermord in der Türkei während und nach dem Ersten Weltkrieg entgegen. 1922 brandschatzte die Türkei dann als Folge der griechischen Niederlage im griechisch-türkischen Krieg Smyrna.
Die westliche Presse berichtete praktisch täglich über die Brutalität der türkischen Truppen und paramilitärischen Banden, über die nur sehr zögerlichen Rettungsaktionen der Alliierten und sogar über den bestialischen Lynchmord an Erzbischof Chrysostomos von Smyrna.
Was seit den Zeiten Bismarcks blieb, war das gute Einvernehmen mit Deutschland. Ursprünglich war diese Politik konzipiert worden, weil das deutsche Kaiserreich Interessen im Nahen Osten hatte. Gleichzeitig wollte es die Ambitionen Russlands in Richtung Meerengen bremsen.
Die Türkei sorgte allerdings seit dem Ende des ottomanischen Reiches wiederholt für Spannungen bis hin zu Kriegen. Dabei seien nur die Invasion in Zypern 1974 und die Unterstützung für beiden Kriege Aserbaidschans um Bergkarabach genannt, die jüngst zur Vertreibung von etwa 120.000 autochthonen Armeniern geführt haben. Auch heute ist die Region der Ägäis durch eine unruhige geopolitische Tektonik charakterisiert und eine expansionistische türkische Politik.
Mit dem Wechsel im Auswärtigen Amt an der Seite von Außenminister Johann Wadephul rückt die türkischstämmige CDU-Politikerin Serap Güler ins Zentrum deutscher Außenpolitik. Eine Entscheidung, die nicht nur aufgrund ihrer Biografie überrascht, sondern auch wegen der Signalwirkung, die sie nach außen wie nach innen entfaltet. Wird nun die 150-jährige Achse zwischen Berlin und der Türkei fortgesetzt?
Während Beobachter ihre außenpolitische Unerfahrenheit kritisieren, wird Güler von ihren Unterstützern als Symbol für eine klare Haltung gegenüber Russland gefeiert – ein Kurs, der nach den Jahren unter Annalena Baerbock nun offenkundig fortgeführt werden soll. Ihre Verbindungen in das Land ihrer Vorfahren werden aber noch (zu) wenig thematisiert.
Die 43-jährige Bundestagsabgeordnete war bislang vor allem durch ihr Engagement in der Integrationspolitik bekannt. Als Staatssekretärin unter Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen hatte sie zwischen 2017 und 2021 integrationspolitische Themen vertreten. Dass sie nun in der Außenpolitik mitmischen soll, führt zu kritischen Fragen – nicht zuletzt wegen früherer Verstrickungen und Verbindungen, die bis heute Schatten werfen.
Bereits in den 2010er Jahren war Güler mehrfach mit dem Umfeld der rechtsextremen türkischen «Grauen Wölfe» in Kontakt geraten. Ihre Teilnahme an Veranstaltungen mit nationalistisch gefärbtem Publikum wurde damals zwar von Teilen der Medien als Überinterpretation abgetan, andere warnten jedoch früh vor der schleichenden Normalisierung nationalistischer Netzwerke innerhalb der CDU.
Besonders problematisch: Gülers familiäre Verbindungen zu Persönlichkeiten, die in der Aserbaidschan-Affäre rund um illegale Lobbyarbeit eine Rolle gespielt haben sollen – darunter ihr Schwager Bahattin Kaya, ein bekannter Akteur in deutsch-aserbaidschanischen Lobbykreisen. Das mit der Türkei eng verwandte und verbundene Aserbaidschan versucht seit vielen Jahren, durch «Kaviardiplomatie» den aggressiven und expansionistischen Kurs gegenüber Armenien zu überdecken und vergessen zu machen.
Ungeachtet dieser Altlasten ist es Güler in den letzten Jahren gelungen, sich innerhalb der CDU zu profilieren – vor allem als sicherheitspolitische Hardlinerin. Ihr X-Profil bietet eine Fülle von Aussagen, die ihre klare Gegnerschaft gegenüber Russland und insbesondere Wladimir Putin dokumentieren. Güler fordert Waffenlieferungen, warnt vor Appeasement-Politik und spricht offen vom «hybriden Krieg» mit Russland. Sie lobte Verteidigungsminister Boris Pistorius für seine Ablehnung eines Waffenstillstands in der Ukraine und attackierte Kanzler Olaf Scholz für dessen zögerliche Haltung gegenüber Moskau.
Diese Haltung ist ganz im Sinne der außenpolitischen Linie, die der CDU-Chef und designierte Bundeskanzler Friedrich Merz etablieren will. Mit Johann Wadephul als Außenminister und Güler als Staatsministerin setzt Merz auf Kontinuität in der konfrontativen Russlandpolitik – unter neuem ideologischem Vorzeichen. Während Baerbock ihre Linie als «feministische Außenpolitik» etikettierte, wirken Wadephul und Güler nüchtern-militaristisch, fast technokratisch in der Rhetorik – doch nicht minder konfrontativ.
Die politische Botschaft ist eindeutig: Berlin bleibt hart gegenüber Moskau. Dass Güler dabei als Symbolfigur dient, ist kein Zufall. Ihre Herkunft, ihr Aufstieg innerhalb der CDU und ihre medienwirksame Härte gegen Russland verschaffen ihr eine Glaubwürdigkeit im konservativen Lager – auch wenn außenpolitische Erfahrung fehlt. Kritiker sprechen deshalb von einer ideologisch motivierten Besetzung, deren Ziel vor allem in der öffentlichen Wirkung liege.
Hinzu kommt die schwierige Balance, die Güler in ihrer Rolle halten muss: Zwischen der Erwartung, als Frau mit Migrationshintergrund eine integrative Außenpolitik zu vertreten, und der Realität einer geopolitisch aufgeladenen Konfrontation mit Russland. Auch ihre Nähe zu nationalistischen Lobbynetzwerken in der Türkei und Aserbaidschan bleibt ein offensichtliches Risiko – nicht zuletzt im Kontext europäischer und transatlantischer Sicherheitsinteressen, die zunehmend auch auf den Kaukasus und Zentralasien gerichtet sind.
Die CDU setzt mit dieser Personalie ein doppeltes Signal: Nach innen mobilisiert sie ein Milieu, das auf nationale Stärke, klare Feindbilder und sicherheitspolitische Eindeutigkeit setzt. Nach außen demonstriert sie strategische Geschlossenheit mit der NATO und eine unverändert harte Linie gegen Russland und eine Nähe zur autoritär expansionistischen Türkei.
Doch ob Güler der außenpolitischen Komplexität des Amtes gewachsen ist, bleibt offen. Denn Außenpolitik ist mehr als Haltung – sie erfordert Fingerspitzengefühl, strategisches Denken und die Fähigkeit zur diplomatischen Führung. Eigenschaften, die Güler nun unter Beweis stellen muss – in einem Umfeld, das ihr nicht nur wohlgesonnen sein dürfte. Kann sie mehr sein als bloßes Sprachrohr eines konfrontativen Kurses? Ein mutiger Deutscher am richtigen Ort wie Liman von Sanders fehlt jedenfalls heute.
Erklärung über die Interessenbindung des Autors: Die Ehefrau des Autors dieser Zeile stammt aus einer smyrnagriechischen Familie.
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