Die Aussichten auf ein Ende des Krieges in der Ukraine sind bisher nur gering. Die US-Führung unter Präsident Donald Trump drängt auf einen Waffenstillstand und eine Friedensvereinbarung. Russland zeigt sich verhandlungsbereit, stellt aber klare Bedingungen, die von Kiew bisher ignoriert werden. Unterdessen übernehmen die europäischen Regierungen in der EU und Großbritanniens die Rolle der Kriegstreiber und -anheizer und blockieren eine Friedenslösung.
Mit der Frage, wieviel Krieg sich Russland noch leisten kann, beschäftigt sich der US-amerikanische investigative Journalist Seymour Hersh (88) in einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag. Er verweist dabei auf Aussagen von Gesprächspartnern, die allerdings unterschiedlich ausfallen. Hersh mutmaßt:
«Die Wirtschaft könnte der entscheidende Faktor für den Frieden in der Ukraine sein.»
Der US-Journalist fragt, was Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem Krieg gegen die Ukraine bezweckt. Es sei ein Krieg, den die russischen Streitkräfte mit ihrem tiefen Vordringen in die Grenzgebiete der Ukraine unter hohem Einsatz von Menschenleben und Waffen führten.
Die Frage sei, warum Putin keinen Waffenstillstand akzeptiere. Und ob Russland, das derzeit strengen westlichen Sanktionen unterliegt, es sich leisten kann, weiter in die Ukraine vorzudringen, wie es die russische Armee derzeit tut. Laut einem «informierten US-Beamten» würden viele städtische Gebiete in der Ukraine «wie Trümmerfelder aussehen, die an Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern».
Ein US-Geschäftsmann mit langjähriger Erfahrung im Umgang mit Russland habe ihm kürzlich erzählt, dass die beiden größten russischen Banken – Sberbank und VTB, die beide staatlich geführt werden – Kundenkredite in Höhe von insgesamt 310 Milliarden US-Dollar zum aktuellen Wechselkurs haben, so Hersh. Die Banken würden Kredite zu etwa 20 Prozent Zinsen an russische Unternehmen und für den Kauf von Wohnimmobilien vergeben.
Das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrage 2,2 Billionen Dollar, ohne den Schwarzmarktsektor, der bis zu 25 Prozent ausmachen könnte. Das bedeute laut dem Geschäftsmann, dass die Verschuldung der russischen Regierung etwa 16 Prozent ihres BIP beträgt, was ein «sehr niedriger Wert ist». Er habe erklärt:
«Kein anderes G20-Land hat eine so niedrige Schuldenquote. Putin lächelt. Er wird abwarten.»
Die Schuldenquote der USA nähere sich derzeit den 100 Prozent, ohne dass es in den USA ein echtes politisches Interesse daran gebe, dem rasanten Anstieg der Staatsverschuldung, die mittlerweile mehr als 36 Billionen Dollar beträgt, Grenzen zu setzen.
«Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner sind bereit, die Staatskasse zu plündern, um ihre sehr unterschiedlichen Ziele zu verfolgen», zitiert Hersh seinen Gesprächpartner. Die einzige stillschweigende Vereinbarung zwischen beiden Parteien bestehe darin, den Dollar schnell so weit abzuwerten, dass er viel weniger wert ist als heute.
«Er wirkt wie eine kostenlose Ressource, die ohne Kosten zur Verfügung steht. Wir stürzen uns kopfüber hinein. Die finanzpolitisch verantwortungsbewusste Welt hasst nun das Vertrauen, das sie in den Dollar gesetzt hat.»
Doch in den USA interessiere sich niemand für die globalen Folgen dieser Entwicklung. Laut Hersh widersprach den Einschätzungen des Geschäftsmannes ein Ökonom, der seit vielen Jahren für das Federal Reserve System arbeitet, das für die Geldpolitik der USA sowie für die Regulierung aller Finanzinstitute zuständig ist.
Dieser sei von den Daten, auf die sich der Geschäftsmann stütze, nicht überzeugt. Der Schlüssel liege stattdessen in der Antwort auf die Frage, ob die russische Wirtschaft produktiv ist und wie viel von dieser Produktivität auf den Militärsektor entfällt.
Die russische Zentralbank versuche, die Inflation von derzeit zehn Prozent zu bremsen. Doch für die Nicht-Rüstungsunternehmen sei es wahrscheinlich schwierig, Gewinne zu erzielen, wenn die Kreditzinsen über 20 Prozent liegen, so der Ökonom laut Hersh.
«Das bedeutet, dass der Nicht-Verteidigungssektor wahrscheinlich schrumpft. Verteidigungsunternehmen können der Wirtschaft kurzfristig Auftrieb geben, aber da ein Großteil ihrer Produktion im Krieg zerstört wird, trägt dies nicht zum Wohlstand Russlands bei.»
Daher vermute der Ökonom von der Fed, dass die russische Wirtschaft «ziemlich schwach» sei. Zur Schuldenfrage erklärte er laut Hersh, Russland habe zwar eine niedrige Schuldenquote, aber es müsse viel für seine Schulden bezahlen, so dass die Zinskosten im Verhältnis zur Verschuldung hoch seien. Das schrecke viele Investoren ab.
Auch bei der US-Schuldenlage widerspreche der Ökonom dem Geschäftsmann, die er als nicht explosiv einschätze. Die Investoren hielten die US-Schulden für beherrschbar. Auf lange Sicht könnten aber die Inflation und der geschwächte Dollar zum Problem werden.
Für die US-Wirtschaft sei die Frage der Höhe der Zölle wichtiger. Seien diese anhaltend hoch und auch unvorhersehbar, sei das «ein größeres Problem als die Schuldenlage». Angesichts dessen habe er wenig Vertrauen in US-Finanzminister Scott Bessent, einen Hedgefonds-Manager mit einem Vermögen von über 500 Millionen Dollar, der «wie ein weiterer Kabinetts-Cheerleader» wirke.
Hersh meint, Russlands Präsident Putin sei bereit, Milliarden an Rubel und unzählige russische Soldatenleben für die Ausweitung des Krieges gegen die Ukraine zu opfern. Darüber habe er mit dem schon erwähnten US-Beamten gesprochen, «der seit Jahrzehnten in direktem und indirektem Kontakt mit hochrangigen russischen Militärs und Politikern in Fragen der nationalen Sicherheit steht».
Dieser habe die Analyse des Geschäftsmannes zur Höhe der US- und russischen Schulden als «bis auf wenige Prozentpunkte und Bewertungsbeträge ziemlich genau» bezeichnet. Doch die Interpretation der wirtschaftlichen Lage sei «völlig falsch».
Hershs Gesprächspartner verwies demnach auf die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften. Putin habe die Staatsausgaben für den Krieg drastisch erhöht, wozu er mehr Geld brauche, das angesichts bereits hoher Steuern aus der Notenbank komme.
Der Wert des Rubel sinke, und die Preise stiegen, was die Inflation befeuere. Die russische Industrie hole sich das Geld für Investitionen in die Kriegsmaschinerie von den Banken. Aber durch die Inflation würden die Zinsen für die Kredite steigen.
Durch gestiegene Lebensmittelpreise hätten die russischen Sparer nichts davon. Die Inflation in Russland befinde sich derzeit in einer Aufwärtskurve, während die in den USA rückläufig sei und derzeit bei 2,3 Prozent liege, dem niedrigsten Wert seit mehr als vier Jahren. Hersh schreibt:
«Es ist unmöglich, den Zustand der russischen Wirtschaft zu beurteilen, ohne die Auswirkungen der Sanktionen der USA und Westeuropas, das Wachstum der Kryptowährungen, den wachsenden Einfluss der BRICS-Staaten, die unmittelbare Zukunft des Dollar und das wachsende Misstrauen gegenüber Trumps Amerika als zuverlässigem Handelspartner zu berücksichtigen.»
Es werde immer deutlicher, «dass Trump den Krieg in der Ukraine nicht mit einem dramatischen Gipfeltreffen beenden kann, wie einst angenommen». Russland verfüge jedoch im Gegensatz zur Ukraine über Öl, Gas und seltene Erden, die für die USA interessant seien. Der US-Journalist meint zum Schluss:
«Frieden und Wohlstand könnten in greifbarer Nähe sein – für einige zumindest.»
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