«Israels Krieg zur Zerstörung der Hamas hat Gaza selbst zerstört.» Das stellt der US-amerikanische investigative Journalist Seymour Hersh (88) in seinem jüngsten Beitrag fest. Der Gaza-Streifen sei durch Israels Vernichtungskrieg «bis zur Unbewohnbarkeit» zerstört worden.
Vor einigen Wochen habe das Medienbüro der Regierung in Gaza erklärt, dass die israelischen Streitkräfte nun über 77 Prozent des Gebiets im Gaza-Streifen kontrollierten. Dieser sei durch die anhaltenden Angriffe der israelischen Luftwaffe auf angebliche Hamas-Stellungen weitgehend zerstört worden.
Zur Bilanz gehört laut Hersh, dass viele der bekannten Hamas-Führer nach dem 7. Oktober 2023 getötet wurden oder aus dem Gazastreifen geflohen sind. Aber die palästinensische Organisation habe überlebt und zähle mittlerweile bis zu 20.000 Mitglieder. Junge Rekruten würden nun versuchen, die Lieferung von Hilfsgütern und anderen Waren in den Gazastreifen zu kontrollieren, ebenso wie den Schwarzmarkt, der das dominiert, was von der Wirtschaft übrig geblieben ist.
«Israel hat seinen Krieg gegen die Hamas nicht gewonnen – einen Krieg, der einst innerhalb von vier oder fünf Monaten beendet sein sollte. Die israelische Führung reagierte auf dieses Scheitern, indem sie den Krieg gegen die Bevölkerung von Gaza führte, obwohl den Israelis versichert worden war, dass die schrecklichen und rund um die Uhr andauernden Luftangriffe der israelischen Luftwaffe auf Gaza eingestellt würden, sobald die Hamas aus ihren befestigten Tunneln vertrieben worden sei.»
Vor einigen Wochen habe die Nachrichtenagentur Associated Press aus Tel Aviv berichtet, dass die an Israel angrenzenden Gebiete im Gazastreifen von der IDF «bis zur Unbewohnbarkeit» zerstört worden seien. Jean-Pierre Filiu, Professor für Nahoststudien an der Universität «Sciences Po» in Paris, habe kürzlich einen Bericht über eine Reise nach Gaza veröffentlicht. Eine überarbeitete und aktualisierte Fassung seines Buches «Un Historien à Gaza» sei kürzlich vom Magazin Arab Digest rezensiert worden. Dort heißt es:
«Während er die Salaheden-Straße [in Gaza] entlangfährt, erklärt er, warum sie langsam fahren müssen: Die Menschen zu Fuß sind durch Schmerzen und die ständigen Bombardierungen so traumatisiert, dass sie Autos nicht einmal hören. In der mondähnlichen Landschaft trifft er einen alten Mann, der ihm erzählt, dass sein Schicksal das eines Schafs sei, das gerade genug gefüttert werde, um beim jährlichen Eid-Fest geschlachtet zu werden. Unter seinen alten Bekannten hat der durchschnittliche ‹Vertriebene› eineinhalb Quadratmeter zum Leben – die Palästinenser sind ‹Schiffbrüchige›.»
Und weiter:
«Der Gestank von Tonnen von Müll, zerstörten Kläranlagen und Wassermangel ist überwältigend. Er erinnert uns daran, wie Papst Franziskus die Situation zusammengefasst hat: ‹Das ist Grausamkeit, das ist kein Krieg.› Krankenhäuser werden systematisch bombardiert, Babys sterben an Unterkühlung, Dehydrierung und Krankheiten, Ärzte und Krankenschwestern werden gezielt angegriffen, Schulen und Universitäten zerstört, Bücher und akademische Dokumente von israelischen Soldaten mutwillig vernichtet. Die Palästinenser leiden unter ‹einer Gewalt, die des Jüngsten Gerichts würdig ist›.»
Filiu sei in Afghanistan, Syrien und der Ukraine gewesen, aber den Schrecken von Gaza habe er nie zuvor gesehen. Das erkläre, warum «Israel der internationalen Presse keinen Zugang zu solch schockierenden Szenen gewährt». Filiu sei fassungslos über die mangelnde Empathie des Westens für die zivilen Opfer dieser Killing Fields.
Der wegen strafrechtlicher Vorwürfe angeklagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe sich mit den rechtsextremen religiösen Fanatikern in Israel verbündet, schreibt Hersh.
«Sie bilden nach wie vor die regierende Koalition und sprechen offen davon, Teile des Gaza-Streifens in Siedlungsgebiete für israelische Siedler umzuwandeln. Bibi, wie er genannt wird, hat sich dem Westen widersetzt und bleibt der wichtigste Unterstützer und Sprecher des anhaltenden Krieges der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen, in dessen Rahmen die israelische Luftwaffe weiterhin Angriffe fliegt, um die Hamas zu besiegen.»
Netanjahu wolle immer noch den Krieg gewinnen, aber von einem Wiederaufbau Gazas sei in der israelischen Führung keine Rede mehr, so der US-Journalist. Der israelische Regierungschef habe kürzlich einen neuen Plan angekündigt, die zwei Millionen überlebenden Palästinenser aus Gaza in drei große Siedlungen unter Kontrolle der israelischen Armee umzusiedeln. In den Ghettos sollen jeweils Hunderttausende von Flüchtlingen leben, versorgt von der IDF.
Das unmittelbare Ziel sei es laut Netanjahu, den Einfluss der Hamas auf die Lieferung von Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern an die Palästinenser zu beseitigen. Seit dem 7. Oktober sollen Hersh zufolge in Gaza mehr als 55.000 Menschen getötet und 127.000 verletzt worden sein, darunter vor allem Frauen und Kinder.
«Diese Zahlen wurden wiederholt als zu niedrig kritisiert; eine genaue Zahl der Opfer kann erst ermittelt werden, wenn die Trümmer der anhaltenden israelischen Bombenangriffe in ganz Gaza beseitigt sind.»
Die erneute Fortsetzung des israelischen Vernichtungskrieges habe in den westlichen Medien nur «wenig Beachtung» gefunden, stellte der Journalist fest. Daran seien nicht weniger als sechs israelische Kampfdivisionen gegen die Hamas beteiligt. Netanjahus rechtsgerichtetes Kabinett, angeführt von religiösen Extremisten, habe die aggressive neue Kampagne einstimmig gebilligt.
Ein Sprecher der Vereinten Nationen habe erklärt, UN-Generalsekretär António Guterres sei «alarmiert» über den Plan Netanjahus. Dieser werde «unweigerlich zu unzähligen weiteren Todesopfern unter der Zivilbevölkerung und zur weiteren Zerstörung des Gazastreifens führen». Der Sprecher erklärte, «der Gaza-Streifen ist und muss ein integraler Bestandteil eines zukünftigen palästinensischen Staates bleiben».
Kaum Beachtung findet laut Hersh die Tatsache, dass der neue israelische Plan die Überlebenden des Krieges in die Hände derer geben wird, die sie bombardiert und getötet haben. Ein Freund, der seit zehn Jahren an Friedensbemühungen im Nahen Osten beteiligt sei, habe das Geschehen zynisch kommentiert:
«Jeder kennt den Plan. Gaza ist erledigt und der halbe Libanon ist erledigt. Leider scheint Israel damit vorerst zufrieden zu sein.»
Ein pensionierter hochrangiger israelischer General erklärte dem US-Journalisten laut dessen Aussage, Netanjahu habe in Israel «mehr Autorität als Trump und [der iranische Ayatollah] Khamenei zusammen». Die Ziele Israels seien: «unsere Verluste begrenzen, Gaza im Austausch für die [verbleibenden] Geiseln aufgeben, mit Trump vereinbaren, was wir mit der Hamas tun können, wenn sie nach unserem Rückzug gegen die Vereinbarung verstößt, und genau das tun, was wir derzeit in Beirut tun» – also weiterhin mutmaßliche Hisbollah-Stellungen bombardieren.
Noch zynischer habe sich ein hochdekorierter israelischer Kriegsveteran geäußert, der vor Jahrzehnten in derselben geheimen israelischen Spezialeinheit gedient hatte wie Netanjahu. Er habe erklärt, dass «Bibi und seine böse, nicht funktionierende Regierung, die alles daran setzt, Israels lebendige Demokratie in ein messianisch-faschistisches politisches System zu verwandeln, keinen Plan für die Zeit nach dem Krieg» mit der Hamas hätten.
Einige, wie Finanzminister Bezalel Smotrich, würden den Slogan «Ewiger Krieg» benutzen, während Netanjahu von «totalem Sieg» spricht, ein alter Slogan von Goebbels. Sie seien «motiviert von Hass, Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber allem, was nicht jüdisch ist». Der Veteran habe außerdem gesagt:
«Wir haben den Krieg gegen die Hisbollah gewonnen, den wir zehn Jahre lang geplant haben. An allen anderen Fronten verlieren wir, weil die IDF keine Streitmacht ist, sondern eine koloniale Polizeitruppe. Den Krieg gegen die Hamas haben wir am 7. Oktober 2023 verloren. Was wir seitdem tun, ist eine Rachekampagne.»
Der letzte Racheakt könnte die Umsetzung des Plans der israelischen Regierung sein, einen endgültigen Ort für die überlebenden Palästinenser zu schaffen, an dem sie in Sicherheit leben können, so Hersh. Er habe von einer internationalen humanitären Organisation einen vertraulichen Bericht über drei neue Lager erhalten, die derzeit im Zentrum und Süden des Gazastreifens errichtet werden.
Die Umsiedlung der überlebenden Palästinenser aus fünf verschiedenen Gebieten sollte demnach Anfang Juni beginnen. Der Bericht mache deutlich, dass die «Reise» mit großen Gefahren verbunden sein werde. Einige der Warnungen seien bedrohlich:
- Rechnen Sie mit einer verstärkten Militärpräsenz entlang der Korridore.
- Humanitäre Organisationen sollten sich auf den dringenden Bedarf der neu entwurzelten Bevölkerung vorbereiten.
- Die Beseitigung der Bombenschäden könnte mehrere Wochen dauern und durch Sprengfallen, Scharfschützen und komplexe Tunnelausgänge verlangsamt werden.
- Rechnen Sie mit wiederholten Bodenoffensiven und großflächigen Zerstörungen.
- Humanitäre Korridore werden zunehmend militarisiert. Die zivile Kontrolle wird möglicherweise minimal sein.
Das erinnere an frühere Vertreibungen, schreibt Hersh: Die Bewohner Gazas seien mit ihrem Hab und Gut auf Karren oder auf dem Rücken von Norden nach Süden gebracht worden. Selbst die Alten hätten unter der Aufsicht der IDF laufen müssen, die selbst für die Not der Alten und Gebrechlichen wenig Mitgefühl zeigen würde.
«Heute gibt es noch weniger Grund, mehr Rücksichtnahme zu erwarten, da den geschundenen Bewohnern Gazas, die die IDF nicht als ihre Beschützer betrachten und dies auch niemals tun werden, der Marsch in eine neue Form der Gefangenschaft bevorsteht.»
Nach Abschluss der Umsiedlung werde Gaza für die religiösen Eiferer, die derzeit Israel regieren, frei sein, um es als ihr religiöses Erbe zu beanspruchen. Hersh fragt:
«Was wird dann aus den Millionen von Bewohnern Gazas, die in ihren neuen Ghettos zusammengepfercht sind?»
Die Frage, ob das alles nicht an die faschistische Vernichtung der Juden erinnert, stellt der US-Journalist nicht. Vielleicht, weil die Antwort zu eindeutig ausfallen würde.
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