Die Corona-Krise war eine Zeit voller Umbrüche, beruflicher Richtungswechsel und neuer Anfänge, mal verbunden mit Frust, mal mit glücklichem Ausgang. Eine Irrfahrt im Privat- und Arbeitsleben erlebte auch Estéban Cortez aus Brandenburg, allerdings eine, auf der er unverhofft zum Künstler avancierte – zu einem Musiker mit mittlerweile treuer Fangemeinde und einem respektablen Oeuvre.
In seiner recht kurzen Karriere kann er bereits drei Alben vorweisen und zahlreiche Auftritte. Schon bald steht er im brandenburgischen Oranienburg wieder auf der Bühne. Dass er mal Lieder schreiben und sie vor größerem Publikum vortragen würde, hätte er vor der Corona-Krise nicht zu träumen gewagt. Er spielte zwar schon in der Kindheit auf der Gitarre, packte sie auch sonst gerne mal zu Hause aus, fühlte sich aber nicht zum Musiker berufen.
Doch dann kam die Zeit staatlich verordneter Freiheitseinschränkungen, unmenschlicher Maßnahmen, die nicht nur sein Weltbild auf den Kopf stellten, sondern ihn auch seelisch belasteten. Als der Druck anwuchs, entschloss er sich im Frühjahr 2021, seine Gefühle musikalisch zu verarbeiten. «Sonst wäre ich noch verrückt geworden», erklärt er scherzhaft.
Der erste Song
In der eigenen Küche entstand dann der Song «Polizeibericht, Seite 10», ein klassisches Singer-Songwriter-Stück, das sich mit Befindlichkeiten während des langwierigen Lockdowns auseinandersetzt und in Worte fasst, wie schwer es zu dem Zeitpunkt zu ertragen war, dass man sich nicht frei bewegen konnte.
Quelle: Youtube-Kanal von Estéban Cortez
Er habe sich nicht viel dabei gedacht, sagt er, und den Song einfach auf YouTube hochgeladen. Aus dem Akt der Selbsttherapie wurde ein Schaffensrausch. «Polizeibericht, Seite 10» stieß in den sozialen Medien auf Resonanz, nicht wenige Hörer bestärkten ihn weiterzumachen. Cortez ließ sich von dem Zuspruch beflügeln und produzierte gleich danach einen Hit. «Annalena» hieß er und war eine sarkastische Abrechnung mit den Grünen, die die unbeholfene Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin erkoren hatten.
Estéban Cortez. Quelle: Estéban Cortez
Die Aufrufzahlen stiegen in die Höhe, was Cortez ermutigte, seine musikalische Arbeit fortan professioneller zu gestalten, mit Studioaufnahmen und öffentlichen Auftritten. Die absolvierte er überwiegend in den ostdeutschen Bundesländern, meistens auf Demonstrationen und Montagsspaziergängen.
Zeitkritische Themen
Seine Musik wurde griffig, sie konnte live erlebt und beklatscht werden. Die Leute sangen mit und ließen sich von ihr mitreißen, auch weil Cortez in seinen Liedern das ausspricht, was ihnen seit der Corona-Krise auf der Seele brennt. Sie handeln von staatlicher Ungerechtigkeit und Diffamierung Andersdenkender, sie kritisieren die Verengung des Debattenraums und die unverkennbare Absicht, die Bürger zu gefügigen Untertanen zu machen.
In der Lockdown-Zeit griff er auch die Gefahr des Wohlstandsverlusts auf und thematisierte die verbreitete Angst, in die Armut abzurutschen. «Wir stinken, wir verzichten und wir hungern, uns ist kalt», lautet eine prägnante Strophe in dem Stück «Gnadenbrot».
«Doch wir wollen alle retten – und das gibt uns so viel Halt / Wir sind pleite und ängstlich und warten auf den Tod, / Denn wir knabbern am Leben wie am Gnadenbrot.»
Die Verlustsorgen beschränken sich nicht nur auf den Wohlstand, sondern betreffen die gesamte Zukunft, wie der Singer-Songwriter in dem Lied «Mir reicht’s» hervorhebt. Aus dem Song spricht tobende Wut, eine ungebremste Empörung über die «Gesundheitspsychopathen», über die Leute, «die weiterhin zur Boosterimpfung raten». Bisweilen wird dieses Personal beim Namen genannt, etwa in dem satirischen Stück «Karl», das dem heutigen Bundesgesundheitsminister gewidmet ist:
«Karl, Du machst das irgendwie genial:
Denn für einen, der nicht hübsch ist und nichts kann,
bist Du echt ein sehr gefragter Mann.
Karl, man fragt Dich wirklich jedes Mal,
tritt das Virus in Erscheinung,
nach Deiner Ex-Expertenmeinung»
Auseinandersetzung mit neuer Kriegseuphorie
In anderen Liedern schlägt Cortez kämpferische Töne an, beschwört den Widerstandsgeist, ermutigt, gegen die Mächtigen aufzubegehren, die desolaten Verhältnisse zu ändern. Standen anfangs noch Themen rund um die Corona-Krise im Fokus, schrieb der Musiker später Songs über die aufgeflammte Kriegseuphorie, in denen er darauf hinweist, dass ihr andere zum Opfer fallen als deren Wortführer.
Den Song «Soldatengebet» etwa trägt er aus der Perspektive eines solchen Leidtragenden vor, der sich an einem Ort befindet, an dem er nicht sein wollte:
«Ich liege hier im Graben unter Eichenlaub und spreche ein Gebet / Mich und die Kameraden hat der letzte Sturm aus Richtung Westen rangeweht / Im Morgengrau’n rückten wir dann vor auf einen Feind, der nie der meine war / Und die Geschütze bellten dazu wie im Chor, als ich die ersten Männer fallen sah.»
In seiner angriffslustigen Gesellschaftskritik steht Cortez in der Tradition von Reinhard Mey, Hannes Wader und Konstantin Wecker, von Liedermachern, die heute überraschend konform sind. Meist spielt er Gitarre, greift aber gelegentlich auch zum Akkordeon, um den Klangteppich bunter zu gestalten. «Poesie & Pestilenzen» hieß das erste Album, das zweite «Der Heimat so fremd». Vor wenigen Wochen ist «Meinungsdelikte» herausgekommen, ebenfalls auf den üblichen Musikplattformen.
Seine Lieder seien gemafrei, betont der Singer-Songwriter. «Jeder kann sie verwenden, wie er mag», so Cortez. Die Musik diene allein gesellschaftlichem Zweck. Er sieht in ihr eher ein Engagement, ein Mittel, mit dem sich Menschen zusammenbringen lassen, die in der heutigen Zeit gegen die Windmühlen der Macht ankämpfen.
Dieses Gemeinschaftsgefühl drückt sich besonders in «Revolte» aus, einem Lied, in dem das «Wir» spricht:
«Wir plagen uns von früh bis spät, und trotzdem bleibt nicht viel, / Der König schlemmt, der Bauer darbt, es ist das alte Spiel / Und niemand zollt uns den Respekt, der angebracht wohl wär, / denn würden wir nicht ackern, blieben Eure Teller leer.»
Dieses Gemeinschaftsgefühl will Cortez am 17. Januar wiederaufleben lassen, wenn er im Regine-Hildebrandt-Haus im brandenburgischen Oranienburg zum Konzert einlädt. Dort erwartet die Gäste ein unterhaltsamer Musikabend mit sozialkritischen Liedern aus seinen drei Alben. Welche er spielen wird, weiß er selbst noch nicht genau. Er verlässt sich auf seine Intuition, so wie in den vergangenen vier Jahren. Und die hat ihn nicht enttäuscht.
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