Der Singer-Songwriter Yann Song King hat sich seit der Corona-Krise mit humorvollen Liedern in die Herzen der außerparlamentarischen Opposition gespielt. Das erste Mal betrat der Dresdner auf einer Demonstration in seiner Heimatstadt die Bühne. Auf diese Darbietung folgten mehrere Anfragen, ob er nicht auch andernorts in Sachsen die Stimmung auflockern wollte. Mittlerweile tritt er nicht nur auf Kundgebungen und Demonstrationen auf, sondern auch auf Events, Kleinkunstbühnen und Festivals.
Sein Oeuvre hat einen stattlichen Umfang angenommen. Erschienen sind viele eigene Songs sowie umgetextete Interpretationen bekannter Hits. Vor dem Publikum spielt Yann Song King auf analoger Gitarre, im Studio nutzt er den Computer. Nun beschäftigt er sich auch mit den Einflüssen der Künstlichen Intelligenz (KI). Im Interview spricht er darüber, welche Veränderungen diese Technik in der Musik bewirken könnte, über das Phänomen der «Musik-Hyperinflation» und über die Zukunft der Künstler.
Transition News: Yann Song King, Sie sind bekannt als zeitkritischer Singer-Songwriter, der tagesaktuelle Ereignisse aufgreift und sie in den eigenen Liedern satirisch verarbeitet. Seit kurzer Zeit beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz in der Musik. Warum interessiert Sie das so sehr?
Yann Song King: Ich habe auf niedriger Ebene früher selbst programmiert und beschäftige mich seit drei Jahrzehnten mit Musiksoftware. Die Entwicklung der digitalen Musikproduktion habe ich Schritt für Schritt mitgemacht. Mit den KI-Werkzeugen sehe ich nun eine neue Etappe eingeläutet. Ich versuche das einzuordnen.
Welche grundlegende Veränderung in der Musik bewirkt die KI ihrer Meinung nach?
Auf gespielte Musik wie Klassik, Jazz, Folk oder Metal wird das keinen großen Einfluss haben. Im allgemeinen Popmusikbereich sieht das anders aus. Dort entstehen die meisten Tracks heutzutage eh sequenzerbasiert und mit elektronischen Sounds. Man würde es kaum merken, wenn ein Rapper oder ein Schlagersänger seinen Background-Track vollständig oder teilweise mit KI erstellen würde. Es macht die Produktion noch einfacher, schneller und günstiger. Ich denke da weniger an die Tools, die fertige Songs ausspucken, eher an Automatisierungswerkzeuge für diverse Aufgaben der Produktion, zum Beispiel für Analyse und Mastering.
Produzenten oder Bands könnten sich von der KI inspirieren lassen. Aber der Markt für instrumentale Hintergrundmusik wird sich ändern, denn sowas kann am ehesten maschinell ersetzt werden. Von diesem Zubrot für Produzenten, also GEMA-freie Musik, Jingles, Game-Musik, Wellness-Musik usw., wird die KI einen großen Happen abbeißen.
In einem ihrer Beiträge zu diesem Thema auf Ihrer Webseite sprechen sie von einer «Musik-Hyperinflation», die durch KI entsteht. Können Sie das bitte erläutern?
Die Technik erleichtert und verbilligt die Musikproduktion. Ein teures Studio der 1980er-Jahre passt heutzutage in einen Rechner, im Grunde sogar mit kostenloser Software. Täglich werden 100.000 neue Songs auf Spotify hochgeladen. Musik gibt es in Massen, und oft ist sie auch kostenlos verfügbar. Wenn man jetzt per Knopfdruck verblüffend echt klingende Tracks erstellen kann, steigt die Zahl existierender Tracks rasant. Und das vor dem Hintergrund, dass gute, ältere Musik ja nicht verdirbt.
Mindestens wird in Zukunft der größte Teil der veröffentlichten Musik schlichtweg nicht gehört. Die Menge an Musik könnte aber auch die Kanäle verstopfen. Die riesige Masse an Musik könnte sowas wie ein Rauschen entstehen lassen, das dem Hörer immer mehr Energie abverlangt, eigene und dauerhafte Vorlieben zu entwickeln, für die man dann auch Geld ausgibt. Zu viele Tracks, zu viele Genres, zu viele Namen.
Ich habe an meinen jungen Gitarrenschülern im Laufe der Jahre festgestellt, dass es kaum noch ausgeprägte Hörpräferenzen gibt. Früher kam auf die Frage nach dem Musikgeschmack irgendwas Konkretes, heute wird fast immer gesagt: Ich höre eigentlich alles. Für den Musiker wiederum ist seit Jahren spürbar, dass es immer schwerer wird, Hörer zu gewinnen, geschweige denn Geld zu verdienen. Es gibt so ein riesiges Angebot, der Konkurrenzdruck ist groß.
Sie selbst haben aber in den letzten Jahren sehr wohl Hörer gewonnen. Wie sieht es aber mit dem Geld aus – können Sie von Ihrer Musik leben?
Nein. Ich gebe auch noch Gitarrenunterricht.
Nicht wenige Technologie-Kritiker sind der Meinung, dass mit Aufkommen der Künstlichen Intelligenz bald auch die Musiker obsolet werden. Wie sehen Sie das?
Man müsste mal einen Studio-Drummer oder einen Studio-Bassisten fragen, wie die Geschäfte laufen. Ich fürchte: schlecht. Nicht nur, dass diese Instrumente seit Jahren auch ohne KI brauchbar am Rechner simuliert werden können – die allgemeinen Hörgewohnheiten gehen von den klassischen Instrumentensounds weg.
Viele erfolgreiche junge Bands und Projekte arbeiten live mit Background-Tracks, weil selbst die teuerste Alibi-Band Mühe hätte, die Computer-Tracks so zu reproduzieren, dass das Publikum den gewohnten Sound erkennt. Ganz abgesehen davon, dass das einem echten Musik-Handwerker keinen Spaß macht. KI reiht sich in dieser Entwicklung ein und ist kein Knackpunkt. Der spielende Musiker wird seit langer Zeit schon allmählich ersetzt. In den 1920er-Jahren hat am Wochenende in jedem größeren Gasthaus ein Orchester gespielt, später dann eine Tanzband. Dann nur noch der DJ. Jetzt müssen selbst die gegen die Playlist-Party ankämpfen.
Kann mit den Möglichkeiten der KI im Prinzip jeder zum relativ guten Musiker werden? Wer kein Talent hat oder die Töne nicht trifft, kann seinen Gesang aufpolieren. Inwiefern kann man da noch von Kunst sprechen? Wie lässt sie sich im Zeitalter der KI überhaupt fassen?
Man kann seit Jahren schon den Gesang aufpolieren, dazu braucht es keine KI. KI ermöglicht es jetzt, eine Stimme zu wählen, die einen Text in einer bestimmten Melodie singt. Der Gesang, die zentrale Botschaft der populären Musik, wird dadurch entpersonalisiert. Da ist die Frage, wie das Publikum solche Praktiken sieht. Geht es ihm nur um das fertige Produkt, oder will es eigentlich einen Menschen dahinter sehen, einen Star, ein Genie?
Pop steht bisher für Letzteres – die Verehrung des Künstlers, zu der je nach Genre eben auch allerlei nichtmusikalische Elemente gehören, die den Kult anheizen: Klamotten, Frisuren, Feuerwerk, Skandale. Kunst ist alles, was von irgendeinem Publikum als solche angesehen wird. Kunst ist Kommunikation, das Erzielen von Resonanz, das Spiel mit der Psyche. Mit KI kommt ein Werkzeug hinzu, dies zu bewerkstelligen.
KI allein macht aus tausend Songs den Tausendundersten. Ich selber glaube, dass das für das Publikum nicht reicht. Spätestens live wäre so eine KI-Produktion so spannend, wie wenn ein Fernsehkoch eine Tiefkühlpizza aufbackt. Aber es kann halt sein, dass sich der Anspruch, das Urteilsvermögen und der Geschmack des Publikums ändern. Man gewöhnt sich vielleicht an den KI-Standard und verlernt, das typisch Menschliche in der Musik zu lieben und die musikalische Leistung.
Sie selbst nutzen für die Arrangements im Studio den Computer, verzichten aber auf die Technik, wenn Sie allein auf der Bühne stehen. Wieso haben Sie diesen hybriden Ansatz gewählt?
Das hat sich so ergeben. Ich habe am Anfang im Frühjahr 2020 nur mit der Gitarre bei Corona-Demos gespielt. Im Herbst 2020 habe ich parallel dazu angefangen, ein paar Ideen im Studio umzusetzen. Zum Beispiel das Lied «Gesundheit statt Freude», eine Rammstein-Parodie mit Video über den Hygienewahn. Das kann man live gar nicht umsetzen.
Es folgten weitere Projekte. Ein ganzes Album kam zusammen, und die beiden Schienen kamen zusammen. Was ich im Studio bastelte, spielte ich live halt nur mit Gitarre, und was ich live schon eine Weile spielte, nahm ich später im Studio auf und arrangierte es. Das Arrangement und die Produktion eines Songs sind heutzutage einfach wichtig. Es ist wie das Outfit eines Menschen. Aber ein guter Song besteht für mich aus Melodie, Harmonie und Text und sollte sich immer irgendwie mit Gesang und Gitarre oder Klavier umsetzen lassen.
Wenn man live mit Playback oder Sequenzern arbeitet, ist man in ein Korsett eingeschnürt. Man ist nicht flexibel und kann nicht mal im Lied kurz was reinsprechen oder einen Refrain noch mal wiederholen, wenn gerade die Leute mitsingen. Mir macht es Spaß, zu singen und zu spielen, und diesen Spaß kann Technik niemals ersetzen. Musik ist für mich Kommunikation, und da brauche ich Platz für Spontanität und Improvisation. Dadurch wird jedes Konzert einmalig – für das Publikum und für mich.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der Musik: Wie blicken Sie in die Zukunft – pessimistisch oder doch optimistisch?
Musik wird bleiben, aber Musik wird vermutlich nicht so wichtig bleiben, wie sie mal war. Nehmen wir die klassische Musik, ein funkelnder Edelstein der abendländischen Kultur. Das Publikum dort wird immer älter, und der Markt immer kleiner. Es ist ein kostbares Erbe, aber es interessiert kaum noch jemanden. Die Versuche, klassische Musik modern zu halten, sind meiner Meinung nach gescheitert. Die Menschen wollen aber nicht in einem Museum wohnen. Sie möchten in ihrer Zeit gestaltend tätig sein, und deswegen suchen sie eher nach dem, was ihre Zeit an Neuigkeiten bietet.
Das sind die Möglichkeiten der Technik. Pop war hier immer Pionier. Und so wird es auch mit der KI sein. Ich sehe darin, wie gesagt, nicht die große Revolution, sondern halt ein neues Werkzeug für bestimmte, begrenzte Zwecke. Das große Tamtam darum ist Marketing. Viele Anwendungen sind Spielerei. Aber auch damit kann man ja kreativ und künstlerisch umgehen, wie im Moment zum Beispiel die Satire-KI-Videos zeigen. Da stehen Menschen mit ihren Ideen dahinter.
Also ich bin optimistisch, dass es so bleiben wird und die menschliche Idee und das menschliche Schaffen das ist, was die anderen Menschen reizt. Es könnte auch sein, dass das Pendel zurückschlägt und die rein menschengemachte Musik im KI-Zeitalter eine größere Aufmerksamkeit erzielt. Etwa so wie ein Bio-Produkt, das als Gegenstück zum Industrieprodukt einen ethischen Mehrwert verspricht.
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