In Spanien brodelt es. Denn am Donnerstag, 16. November 2023, wird der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sánchez der erste Politiker in der Geschichte des Landes sein, der vereidigt wird, obwohl er bei den Parlamentswahlen nur den zweiten Platz belegt hat. Die meisten Stimmen konnte am 23. Juli 2023 der Kandidat der konservativen Partido Popular (PP), Alberto Núñez Feijóo, auf sich vereinen. Allerdings gelang es ihm nicht, eine Mehrheit im Parlament zu schmieden.
Sánchez war dagegen erfolgreicher. Durch suspekte Vereinbarungen sicherte sich der PSOE-Vorsitzende Unterstützung, unter anderem mit der nach Unabhängigkeit strebenden PNV (Nationalistische Partei des Baskenlandes) oder der katalanischen Partei Junts. Letztere hilft Sánchez nur, weil dieser ein Amnestiegesetz für die katalanischen Separatisten rund um den Justizflüchtling Carles Puigdemont auf den Weg gebracht hat.
Puigdemont ist im sogenannten «procés» wegen Terrorismusdelikten angeklagt. Brisantes Detail: Bis zu den Wahlen hatte Sánchez noch behauptet, es werde auf keinen Fall eine Begnadigung von Personen geben, die 2017 an Kataloniens gescheitertem Unabhängigkeitsreferendum oder an den Unruhen 2019 beteiligt waren. Doch nun müssten selbst Rädelsführer und bereits Verurteilte keine Konsequenzen für eventuell begangene Straftaten und Vergehen im Zusammenhang mit diesen Ereignissen mehr befürchten.
Allgemein geht man davon aus, dass Sánchez am Donnerstag die Mehrheit erhalten wird, durch die Stimmen seiner eigenen Partei und denen von Sumar, ERC, Junts, EH Bildu, PNV, BNG oder Coalición Canari. Vor allem der Pakt mit Junts erhitzt die Gemüter. Von Kritikern wird er als verfassungswidrig eingestuft, als Bankrotterklärung an das demokratische Rechtssystem. Sánchez wird vorgeworfen, dass er sich seine Investitur «erkauft», die Justiz instrumentalisiert und die Gewaltenteilung ausgehebelt hat.
Seit Anfang November gab es in unterschiedlichen Städten Spaniens Demonstrationen gegen Sánchez und seine Amnestiepläne. Diese erreichten ihren Höhepunkt am vergangenen Wochenende, als die Oppositionspartei PP (Partido Popular), unter der Führung ihres Vorsitzenden Alberto Núñez Feijóo, die Gunst der Stunde nutzte, um ihre Anhänger in 52 Provinzhauptstädten zu Kundgebungen auzurufen. Hunderttausende folgten der Aufforderung (wir berichteten).
Wäre Feijóo eine bessere Alternative für Spanien als Sánchez? Nicht unbedingt, denn während der «Pandemie» profilierte er sich als wahrhaftiger Anti-Demokrat. In seiner Position als Regierungschef Galiciens führte er die Zwangsimpfung ein. Sein totalitäres Gebaren konnte nur vom Obersten Verfassungsgericht gestoppt werden.
Feijóos Versprechen vor zigtausenden Demonstranten in Madrid, er werde sich für die Verfassung, Demokratie, Gerechtigkeit, Würde, Gleichheit und Freiheit der Bürger einsetzen, kann somit nur als hohles Geschwätz bewertet werden.
Seine Parteikollegin, Isabel Díaz Ayuso, Regierungschefin der Autonomieregion Madrid, brachte es dagegen auf den Punkt: Gegenüber dem Mainstream tat sie kund, Sánchez wolle Spanien in ein diktatorisches Regime verwandeln und den «Totalitarismus» einführen.
Dabei vergass Ayuso zu erwähnen, dass Sánchez das während der Corona-Zeit bereits getan hat. Beide Alarmzustände, die Basis für seine knallharten Corona-Richtlinien waren, wurden im Nachhinein vom Obersten Verfassungsgericht als illegal und verfassungswidrig eingestuft. Ein Nachspiel hatte dies jedoch weder für Sánchez noch seine Regierungskollegen. Deshalb wird Sánchez nachgesagt, er habe einen «Staatsstreich» vollzogen.
Den Protesten gegen Sánchez schloss sich auch die vom Mainstream als rechtspopulistisch bezeichnete Partei Vox an. Diese forderte eine Aussetzung der Investiturdebatte samt anschliessender Abstimmung, die allerdings vom Obersten Gerichtshof abgelehnt wurde.
Selbst Richter riefen zum Widerstand auf. Landesweit versammelten sich etwa 800 Juristen vor ihren Gerichtsgebäuden, um ihrem Unmut gegen das Amnestiegesetz Ausdruck zu verleihen.
Noch unangenehmer für Sánchez: Diverse Organisationen der Guardia Civil (Polizeieinheit mit militärischen und zivilen Aufgaben) haben den Mut gefunden, sich gegen die totalitären Entwicklungen im Land zu stellen, die seit März 2020 zu beobachten sind. Aufgrund ihrer doppelten Rolle untersteht die Guardia Civil sowohl der Befehlsgewalt des Innenministeriums als auch des Verteidigungsministeriums. Während des Franco-Regimes galt sie als Handlanger der Diktatur.
Doch ganz offensichtlich möchten viele Mitglieder der Guardia Civil nicht, dass sich diese Geschichte wiederholt. Zuerst meldete sich am vergangenen Freitag die Gruppe Aprogc (Asociación Pro Guardia Civil) zu Wort, die sich hauptsächlich aus Offizieren zusammensetzt. Diese teilte mit, sie sei bereit, «den letzten Tropfen Blut zu vergiessen», um das Abkommen zwischen Sozialisten und Unabhängigkeitsbefürwortern zu verhindern.
Einen Tag später schlossen sich fünf weitere Guardia Civil-Organisationen dem Protest an. Allen voran Jucil, in der sich die meisten Mitglieder vereinen. In einer Erklärung bezeichneten sie Sánchez’ Pakt mit Junts als «Verletzung» der Gewaltenteilung, die einen «Grundpfeiler des Rechtsstaates darstellt».
Die Verbände befürchten einen möglichen Fall von «lawfare» (Anm. d. Red.: eine Art nicht konventioneller Kriegsführung, bei dem das Rechtssystem missbraucht wird, um den Gegner zu schädigen) und eine politische Instrumentalisierung der Justiz. Betroffen fühlen sie sich, weil sie in gerichtspolizeilichen Funktionen arbeiten – auf Anweisung von Richtern. Deshalb gehe «dieser Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit» auch sie an.
In einem Audio erklärten die Guardia Civil-Organisationen:
«Wir sind besorgt, dass man uns bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung als Spielball benutzt. Dies wird langfristig schwerwiegende Folgen für die Sicherheit der Bürger haben. Sie haben vor, der Guardia Civil Kompetenzen zu entziehen, so will man die Guardia Civil und ihre Familien aus dem Baskenland und Katalonien vertreiben, was unsere Verbände nicht hinnehmen werden. Sie versuchen, die Säulen unserer Demokratie zu übertreten und zu gefährden. Das ist nicht gut für die Gesellschaft, die Rechtssprechung und alle anderen politischen Parteien, von denen wir Unterstützung fordern. In diesen Zeiten verbirgt sich der Teufel im Detail, wie Rechtsexperten es beschreiben, also im Kleingedruckten dieser sehr fragwürdigen Vereinbarungen.»
Spaniens umstrittener Innenminister Fernando Grande-Marlaska reagierte auf diesen Widerstand, wie man es seit Beginn der «Pandemie» gewohnt ist: Kritiker des Sánchez-Regimes müssen mundtot gemacht werden. Drei Guardia Civil-Beamte wurden am 14. November mit sofortiger Wirkung und ohne Lohnfortzahlung für drei Monate suspendiert. Dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Verbände Aprogc sowie dem Sprecher des Verbands Jucil drohen der endgültige Ausschluss aus dem Korps.
Die Organisation Policías por la Libertad (Polizisten für Freiheit), die sich seit Herbst 2020 gegen die illegalen und verfassungswidrigen Corona-Massnahmen eingesetzt hat, kritisierte das Vorgehen Grande-Marlaskas scharf, gratulierte den suspendierten Kollegen von der Guardia Civil und sicherte ihnen volle Unterstützung zu.
Juan Manuel Ramos Mateo, Präsident von Policías por la Libertad, betonte, die drei «mutigen» Kollegen würden sich für die Verfassung, das Volk und die Gerechtigkeit einsetzen. Sie hätten ihren Eid nicht vergessen, bei dem sie schworen, die Verfassung zu schützen und den Bürgern zu dienen. Ramos fügte hinzu:
«Kollegen, wir befinden uns in einem historischen Moment, der über die Freiheit oder Versklavung der Bürger entscheiden wird. Die Geschichte wird uns als wahre Helden erinnern (…)»
In einer weiteren Erklärung stellte Policías por la Libertad klar, dass «Gehorsam auf keinen Fall Befehle umfassen darf, die Ausführungen von Handlungen zur Folge haben, die offenkundig ein Verbrechen darstellen oder gegen die Verfassung oder das Gesetz verstossen».
Polizeibeamte und Guardia Civil-Mitglieder müssten jederzeit die ihnen durch das Gesetz auferlegten Pflichten erfüllen. Das bedeute, sie müssten der Gemeinschaft dienen und alle Personen vor rechtswidrigen Handlungen schützen. Strafverfolgungsbeamte dürften keine Korruption begehen. Sie müssten «rigoros gegen alle derartigen Handlungen vorgehen und diese bekämpfen».
Policías por la Libertad ruft deshalb alle Kollegen zur Einheit auf:
«Polizisten und Guardia Civil-Beamte, das Volk braucht uns. Wenn ihr für das Volk seid, wird das Volk für uns sein.»
Juan Francisco Rodríguez von Policías por la Libertad erklärte gegenüber Transition News:
«Es wird Zeit, dass die «Grünen» [Guardia Civil] aufwachen. Dass sich nach so langer Zeit etwas bewegt, ist eine gute Sache. Es stimmt, dieser Widerstand ist eine Reaktion auf etwas rein ‹Politisches› und sieht nicht den ganzen Elefanten im Raum. Dennoch kann man sich zur Hälfte freuen.»
Das von Sánchez geplante Amnestiegesetz für die katalanischen Separatisten hat der Rechtsanwalt Aitor Guisasola bereits «als löchriger als ein Sieb» bezeichnet. Der baskische Jurist hat sich während der «Pandemie» durch seine treffsicheren Einschätzungen der juristischen Lage ausgezeichnet.
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