Die Corona-Krise kann und soll uns Anlass werden, grundlegend darüber nachzudenken, was die Rolle des Staates in unserem Leben ist – und wo der Staat seine Berechtigung hat und worin nicht.
Wir haben in der Schweiz Parteien zu allen möglichen Themen und für alle möglichen Bevölkerungsgruppen, Minoritäten, Majoritäten, und deren Lebensbereiche. Wir haben politische Parteien, die erfolgreich mit bestimmten Ideologien oder Schlagworten Politik machen. Wir haben offene und verdeckte Interessenlobbys für wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Ziele. Sie alle verfolgen mehr oder weniger erfolgreich ihre Interessen mithilfe einflussreicher Unterstützer und vor allem des Staates.
Sie alle dienen prinzipiell Partikularinteressen, während sie versichern, dem Allgemeinwohl zu dienen. Allein der Fakt, dass Parteien (von pars, Teil, also Partialinteressen), die dominierenden politischen Kräfte in Regierung und Parlament ausmachen, zeigt, dass diese nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet sein können, sofern man unter Allgemeinwohl das Wohl aller Menschen versteht.
In der Theorie entsteht jedoch aus der Aushandlung divergierender Interessen zwischen den verschiedenen Parteien ein Ausgleich, der dazu führt, dass alle Interessen und damit das Gemeinwohl gemäss der errungenen Mehrheiten gefördert wird. Aber erstens dienen Politiker parteiübergreifend bestimmten Regierungs- und Lobbyinteressen, und zweitens zeigt gerade die Corona-Krise anschaulich, dass Politiker letztlich völlig übergeordneten Zielen zu gehorchen haben, die ganz und gar nicht öffentlich verhandelt werden, auch nicht verhandelt werden können.
Politiker haben nie in erster Linie dem Volk zu dienen, und sie können das in dem gegenwärtigen politischen System auch gar nicht. Stattdessen müssen sie immer denjenigen politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Instanzen (nicht zuletzt in Form der Verwaltung) dienen, für die sie wirklich arbeiten und denen sie ihre Macht, ihren Einfluss und ihre Handlungsfähigkeit verdanken. Ihre Aufgabe ist nicht, dem Allgemeinwohl zu dienen, sondern der Allgemeinheit das zu vermitteln, was sie mit Hilfe der genannten Interessengruppen zu exekutieren haben.
Politiker sind nicht vom Volk abhängig, wie das häufig suggeriert wird, sie sind von denjenigen abhängig, die ihnen die Möglichkeit geben, politisch wirksam, medial populär und realwirtschaftlich tätig zu werden. Überzeugen müssen Politiker mit ihrer Arbeit deshalb vorrangig diejenigen, von denen sie wirklich abhängig sind und nicht diejenigen, die nur die Auswirkungen ihres Handelns zu spüren bekommen.
In der Regel ist ihnen deshalb auch bewusst, dass sie dasjenige, was sie wirklich tun, weder vermitteln noch transparent machen können. Und entsprechend besteht eine Hauptaufgabe der politischen Arbeit darin, sich und die eigene Politik so zu verkaufen, dass die Bevölkerung den Eindruck gewinnt, die Politiker würden sich in der einen oder anderen Richtung für die Bevölkerung engagieren.
Die Konklusion aus diesen Voraussetzungen kann nur sein, dass wir allenfalls eine Partei brauchen, die sich darauf konzentriert, das Parteienwesen und damit auch das Lobby- und Herrschaftsgebaren als solches aufzuheben. Das heisst, die Instrumentalisierung des Staates für Wirtschaftsinteressen und das Geistesleben abzuschaffen. Oder mit den Worten von Johannes Mosmann:
«‹Alle Macht dem Volk›» heisst es. Der Zweck des Machtstrebens von unten kann für eine wahrhaft demokratische Gesinnung nur darin liegen, Macht als solche aufzuheben. Strebt das Volk bloss danach, anstelle der ehemaligen Herrscher seinerseits Macht auszuüben, kommt der Mensch niemals zu seinem Recht.»
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Istvan Hunter engagiert sich mit der Fördergesellschaft Demokratie Schweiz «für eine auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität beruhende demokratische Rechts- und Staatsbildung» und referiert zum Thema «Dreigliederung des sozialen Organismus». Aktuelle Vortragsdaten finden Sie hier