Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig prüft seit Dienstag in der Hauptverhandlung, ob das im Juli 2024 vom Bundesinnenministerium erlassene Verbot des Magazins Compact rechtmäßig war. Im Eilverfahren hatten die Richter damals das Verbot vorläufig ausgesetzt, so dass das Magazin vorerst weiter erscheinen kann.
Das Bundesinnenministerium, damals unter Nancy Faeser (SPD), stützte sich auf Aussagen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das die Compact-Magazin GmbH Ende 2021 als «gesichert rechtsextremistische Vereinigung» eingestuft und seitdem deshalb beobachtet. Das Magazin wird auch im aktuellen «Verfassungsschutzbericht 2024» ins Visier genommen, den der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CDU) am Dienstag gemeinsam mit BfV-Vizepräsident Sinan Selen vorstellte.
Und dort heißt es über Compact und dessen Verlag erneut, dieser verbreite in «unterschiedlichen Publikationen und Produkten regelmäßig und seit Jahren antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte». Diese würden sich «damit gegen die verfassungsmäßige Ordnung» richten. Das wird wie gehabt nicht weiter belegt, bis auf ein Zitat von Chefredakteur Jürgen Elsässer aus einem Interview nach dem Verbot.
Der Verfassungsschutzbericht macht wie nicht anders zu erwarten allerlei Feinde des Staates aus. Die tatsächlichen Feinde und Gefährder der Verfassung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, lässt er unbeachtet und ungeschoren. Das Beispiel Compact ist nur eines, bei dem sich zeigt, was die Behörde und das ihm vorgesetzte Bundesinnenministerium von Grundrechten wie der Meinungs- und Pressefreiheit halten.
Zahlreiche Rechtsexperten und Verfassungsrechtler hatten darauf aufmerksam gemacht, dass das Verbot durch das Bundesinnenministerium gegen die Verfassung verstieß. So hatte unter anderem der Oldenburger Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler im Juli 2024 erklärt, das Grundgesetz räume «der freien Meinungsäußerung und damit der Pressefreiheit einen überragenden Stellenwert ein».
Eigentlich müssten jene, die den offiziellen Auftrag haben, die Verfassung zu schützen, ebensolche Verstöße ahnden. Doch sie nehmen lieber die ins Visier, die auf dem Boden des Grundgesetzes die darin fixierten Grundrechte nutzen. Diese Rechte sollen eigentlich die Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen, insbesondere im Krisenfall.
Untauglicher «Verfassungsschutz»
Die politisch verursachte Corona-Krise hat gezeigt, dass die staatlichen «Verfassungsschützer» in solch einem Fall versagen. Schon im April 2020 hatte der ehemalige oberste Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier gewarnt, dass der Rechtsstaat abdankt, wenn die damals begonnen Eingriffe in die Grundrechte lange andauern.
Der Rechtswissenschaftler Dieter Murswiek warnte im Februar 2021 vor einer der Folgen der massiven und andauernden Grundrechtseinschränkungen:
«Wir gewöhnen uns an sie, und von den Politikern werden sie nach Belieben wieder aus dem Werkzeugkasten geholt: Freiheit ist nicht mehr, wie im Rechtsstaat, prinzipiell unbegrenzt, sondern wird obrigkeitlich gewährt, wenn gerade kein Virus oder kein anderes Ereignis, gegen das man sich vorsorglich und fürsorglich wappnen muss, zu befürchten ist.»
Genau das geschah: Die Warnungen wurden ignoriert, jeglicher Widerstand im Namen der Grundrechte diffamiert und mit allen Mitteln des Staates, von Polizei bis Justiz, bekämpft – und die Mehrheit nahm es hin und im Verfassungsschutzbericht taucht dieses Thema bis heute nicht auf. Dafür werden wie gehabt auch Medien von der anderen Seite des Meinungsspektrums in der Medienlandschaft sowie Andersdenkende und -meinende ins Visier genommen.
Die linke Tageszeitung Junge Welt erlebt das mit allen Folgen schon seit Jahren und versucht immer wieder dagegen vorzugehen. Und so taucht sie natürlich in der aktuellen Ausgabe des Berichtes in der Rubrik «Linksextremismus» auf, mit dem Hinweis, sie strebe «die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischem Verständnis» an. Was für ein Staat, der es für notwendig hält, gegen ein Medium mit einer Auflage von über 23.000 Exemplaren vorzugehen.
«Das Grundgesetz schützt auch extreme Meinungen», hatte Rechtsexperte Boehme-Neßler im Juli vergangenen Jahres in einem Beitrag für das Magazin Cicero festgestellt. Mit Blick auf den Fall Compact stellte er fest, das Magazin sei vor allem «regierungskritisch mit großer Reichweite».
«Wir beobachten also, dass die Regierung einen Kritiker mit staatlicher Gewalt mundtot macht.»
Boehme-Neßler verwies in dem Beitrag auf die «Wunsiedel»-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 2009, wonach sogar die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts grundsätzlich von der Verfassung geschützt sei. «Die freie geistige Auseinandersetzung ist die wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien», stellte er fest und fügte hinzu:
«Ohne Meinungs- und Pressefreiheit gibt es keine Demokratie. So einfach ist das.»
Der Staatsrechtler erinnerte außerdem an etwas, was im «Verfassungsschutzbericht» nicht zu finden ist:
«Das Grundgesetz möchte keine Gesellschaft, in der es eine herrschende Meinung gibt, die alle Bürger nachbeten (müssen). Ganz im Gegenteil: In der Demokratie muss der Mainstream immer wieder herausgefordert werden. Das ist der Kern der Demokratie. Es darf in der Demokratie des Grundgesetzes deshalb nicht sein, dass Bürger, die vom Mainstream abweichen, diffamiert, stigmatisiert und eingeschüchtert werden.»
Doch genau das macht die Behörde, die am Dienstag ihren jährlichen Bericht abgab. Und so werden schon allein abweichende Meinungsäußerungen als «Propagandadelikte» diffamiert und als «Straftaten» gewertet. Und so kommt der Bericht auf die bemerkenswerte Zahl von 57.701 «Straftaten mit extremistischem Hintergrund». Das sei eine Steigerung von mehr als 46 Prozent, nachdem 2023 die Zahl von 39.433 gemeldet wurde. Der geringste Teil davon wurde als Gewalttaten gemeldet, mit 2.976 (2023: 2.761).
Kritiker im Visier
Wenig überraschend enthält der Bericht ein «phänomenübergreifendes Sonderkapitel zu den Auswirkungen des Nahostkonflikts und zum Antisemitismus», indem auch Proteste gegen den Völkermord in Gaza durch Israel diffamiert werden. Der «Verfassungsschutz» berichtet außerdem, «Spionage, Sabotage, Transnationale Repression, illegitime Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands dar». Als Haupttäter werden ebenso wenig überraschend vor allem die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran ausgemacht und dargestellt.
Und wie schon mit Blick auf die regierungskritischen Medien erwähnt, geht es auch wieder um Rechts- wie Linksextremismus, um den Islamismus und um den «auslandsbezogenen Extremismus». Auch der habe zugenommen, so die Behörde.
Natürlich werden in den Reihen der regierenden Politik keinerlei Verfassungsgegner oder -gefährder ausgemacht. Das geschieht schon deshalb nicht, weil das Amt dem Bundesinnenministerium und damit der Regierung untersteht. Wäre es eine tatsächlich unabhängige, nur dem Schutz des Grundgesetzes und der darin beschriebenen Staatsordnung mit den Grundrechten, dem Friedensgebot, dem Sozialstaat und den anderen politischen Zielen verpflichtete Behörde, müsste sie ernstnehmen, was im Kapitel zum 2022 eingeführten Delikt der «verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates» zu lesen ist.
Dort heißt es, die dieses nicht klar definierten Tatbestandes Verdächtigen würden darauf abzielen, «wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen zu beeinträchtigen. Sie machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich oder rufen dazu auf, behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen zu ignorieren.»
Allein die politisch verursachte Corona-Krise mit den dafür Verantwortlichen bietet da einen großen Kreis der solchen Treibens zu verdächtigenden Personen. Sie hatten bloß Glück oder ähnliches, dass gerade die Gerichte ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht wurden und sich auf die Seiten des Staates schlugen, der das Grundgesetz missachtete.
Tatsächlicher Verfassungsschutz
Es gebe wahrlich genug zu tun für einen echten und nur dem Grundgesetz verpflichteten Verfassungsschutz. Das zeigt seit 1997 der «Grundrechtereport», der als «alternativer Verfassungsschutzbericht» gilt, da er sich der tatsächlichen Lage der Grundrechte, der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland widmet.
Am 21. Mai stellten die Herausgeber, Rechtsanwälte und Bürgerrechtsaktivisten sowie beteiligte Organisationen, mit dem «Grundrechtereport 2025» die 29. Ausgabe vor. Und die zeigt, wie sehr es mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland im Argen ist.
Der «Grundrechtereport 2025» belegt, wie Deutschland in «bislang nicht gekanntem Ausmaß» die Kommunikationsgrundrechte «und damit die Grundlagen der pluralistischen Demokratie unter Druck» stehen. Bestimmte Arten von Versammlungen würden pauschal verboten und Protestcamps mit Gewalt geräumt, die Äußerung von Meinungen wegen ihres Inhalts kriminalisiert, Kulturschaffende und Wissenschaftler unter Generalverdacht gestellt. Maximilian Steinbeis, freier Publizist und Geschäftsführer des Verfassungsblogs, erklärte dazu:
«Wir leben in dunklen Zeiten. Die täglichen Nachrichten aus den USA dürfen nicht überdecken, wie sehr auch im Geltungsbereich des Grundgesetzes die autoritäre Wende voranschreitet. Das legt der Grundrechte-Report offen. Genau zur richtigen Zeit.»
Anzumerken ist leider, dass das Thema, wie die Grundrechte in der Corona-Krise massiv eingeschränkt und verletzt wurden, bisher für die Herausgeber kaum eine Rolle spielten. 2020 wurden gewissermaßen die Schleusentore für die staatliche Missachtung des Grundgesetzes geöffnet, was anscheinend auch den wahren Verfassungsschützern nicht klar wurde und ist. Nur einer von ihnen, der Rechtsanwalt Rolf Gössner, hatte sich bereits 2022 damit explizit auseinandergesetzt und vor dem Weg in den «autoritären Sicherheitsstaat» gewarnt.
«Illiberales Staatshandeln»
Aber in der aktuellen Ausgabe wird klar gesagt, von wem die Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung wirklich ausgeht. Die Herausgeber stellte in seinem Vorwort fest:
«Wir stehen in Deutschland an einem Punkt, an dem es nicht mehr ausreicht, auf einzelne Bedrohungen von Grundrechten hinzuweisen. Die Ausübung ziviler Freiheiten wird offensiv und mit bislang nie dagewesener Intensität behindert oder verboten.»
Der Staat knüpfe zunehmend entgegen der im Grundgesetz garantierten Meinungsneutralität die Ausübung der bürgerlichen Rechte an bestimmte Überzeugungen. Als Beispiel wird auf das staatliche Vorgehen gegen die Junge Welt verwiesen. Die Herausgeber machen deutlich:
«Illiberales Staatshandeln richtet sich nicht mehr nur gegen rechtswidrige oder auch – was problematisch genug wäre – radikale Formen des Freiheitsgebrauchs, sondern immer stärker gegen bestimmte Meinungsinhalte.»
Der Report ist entsprechend der grundlegenden ersten 20 Artikel des Grundgesetzes gegliedert. Die Autoren der einzelnen Beiträge belegen anhand zahlreicher Fälle, wie die Regierung und die Behörden gegen die verfassungsmäßigen Grund- und Freiheitsrechte verstoßen. Der Report behandelt neben der Gefährdung der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 GG außerdem unter anderem die anhaltende Einschränkung von Rechten Geflüchteter, den Umgang mit Menschen in Haft und Strafvollzug sowie die Militarisierung von Politik und Gesellschaft.
Dabei wird auch darauf eingegangen, wie deutsche Behörden im Namen der «Staatsräson», wonach Israels Sicherheit grundlegend für die deutsche Politik ist, jeglichen Protest gegen den völkerrechtswidrigen und international als Völkermord eingestuften Vernichtungs- und Vertreibungskrieg der israelischen Regierung gegen die Palästinenser versuchen zu unterdrücken und zu behindern.
Die Herausgeber des «Grundrechtereports» sprechen von einer «neuen Gesinnungskontrolle», wie sie sich im regierungsoffiziellen «Verfassungsschutzbericht» zeigt. Sie stellen eine «autoritär-populistische Wende» fest, die durch «enger werdende Freiheitsräume» gekennzeichnet sei. Sie gehen dabei auch auf die missachteten sozialen Rechte wie das Wohnen sowie die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft ein, die dem Friedensgebot des Grundgesetzes widerspricht.
Auf den Staat sei kein Verlass mehr, wenn es um die Bewahrung und Ausweitung von Grund- und Menschenrechten geht, heißt es im «Grundrechtereport». Das ist an sich nichts Neues, wird aber von dem am Dienstag vorgestellt «Verfassungsschutzbericht 2024» erschreckend eindrücklich.
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