Die Funktionsweise unseres Gehirns bleibt weitgehend ein Mysterium. Allerdings bringt die Wissenschaft immer mehr Licht ins Dunkel. Beides zeigt eine neue Studie von Forschern der Vanderbilt University exemplarisch. Sie haben nämlich ein starkes und unerklärliches Signal in der weissen Substanz des Gehirns aufgezeichnet.
Wie Study Finds erklärt, besteht das menschliche Gehirn aus zwei verschiedenen Arten von Materie: grauer Substanz und weisser Substanz. Die graue Substanz, in der sich die Nervenzellen befinden, sei für die Verarbeitung von Empfindungen, die Steuerung willkürlicher Bewegungen und die Ermöglichung von Sprache, Lernen und Kognition zuständig. Die weisse Substanz hingegen diene als riesiges Netzwerk, das die Zellen miteinander verbinde und Signale in den gesamten Körper weiterleite.
Wissenschaftler hätten sich bisher vor allem auf die graue Substanz des Gehirns konzentriert und sie als Drehscheibe der gesamten Aktivität betrachtet. Die Bedeutung der weissen Substanz hätten sie hingegen übersehen, obwohl sie die Hälfte des Gehirns ausmache.
Ein Team unter der Leitung von Dr. John Gore, Direktor des Vanderbilt University Institute of Imaging Science, will das ändern. Seit mehreren Jahren setzt es die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) ein, um BOLD-Signale (Blood Oxygenation Level Dependent), einen wichtigen Indikator für die Hirnaktivität, in der weissen Substanz des Gehirns zu erfassen.
In ihrer jüngsten Studie haben die Forscher nun entdeckt: Wenn Personen, deren Gehirn mit fMRI gescannt wird, Aufgaben wie etwa das Wackeln mit dem Finger ausführen, nehmen die BOLD-Signale in der weissen Substanz im gesamten Gehirn zu. Einer der Autoren der Studie, Dr. Kurt Schilling, wissenschaftlicher Assistenzprofessor für Radiologie und radiologische Wissenschaften am Vanderbilt University Medical Center, sagte in einer Mitteilung der Universität:
«Wir wissen nicht, was das bedeutet. Wir wissen nur, dass etwas passiert. Es gibt wirklich ein starkes Signal in der weissen Substanz.»
Gemäss den Forschern ist diese Entdeckung bedeutsam, da verschiedene Erkrankungen, darunter Epilepsie und Multiple Sklerose, die «Konnektivität» des Gehirns stören würden. Dies deute darauf hin, dass die weisse Substanz bei diesen Erkrankungen eine entscheidende Rolle spiele, so dass weitere Untersuchungen erforderlich seien.
Um das Geheimnis zu lüften, wollen die Forscher die Veränderungen der Signale der weissen Substanz weiter untersuchen, die zuvor bei Krankheiten wie Schizophrenie und Alzheimer beobachtet wurden. Durch Tierstudien und Gewebeanalysen möchten sie die biologischen Grundlagen dieser Veränderungen aufdecken. Unklar ist auch, ob diese Signale mit den Vorgängen in der grauen Substanz zusammenhängen. Schilling stellte fest:
«Selbst wenn in der weissen Substanz keine biologische Aktivität stattfindet, passiert hier trotzdem etwas. Das Signal ändert sich. Es verändert sich in den verschiedenen Bahnen der weissen Substanz unterschiedlich, und zwar in allen Bahnen der weissen Substanz, was ein einzigartiges Ergebnis ist.»
Ihre geringere Energie im Vergleich zu den Signalen der grauen Substanz ist den Wissenschaftlern zufolge einer der Gründe, weshalb den Signalen der weissen Substanz bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dadurch sei es nämlich schwieriger, sie vom «Hintergrundrauschen» in Gehirnscans zu unterscheiden.
Die Vanderbilt-Wissenschaftler meisterten diese Herausforderung, indem sie die Probanden visuelle, verbale oder motorische Aufgaben mehrfach wiederholen liessen, um Muster zu erkennen. Ausserdem liessen sie die Signale über die verschiedenen Bahnen der weissen Substanz vermitteln. Schilling machte klar:
«25 oder 30 Jahre lang haben wir die andere Hälfte des Gehirns vernachlässigt.»
In einigen Fällen hätten die Forscher die Signale der weissen Substanz nicht nur übersehen, sondern sie auch in ihren Berichten über die Hirnfunktion ausgelassen. Study Finds merkt an:
«Die Vanderbilt-Studie deutet darauf hin, dass zahlreiche fMRI-Studien nicht nur das volle Ausmass der Hirnaktivierung unterschätzen, sondern möglicherweise auch wichtige Informationen übersehen, die von MRT-Signalen übermittelt werden. Letztlich könnte das neue Wege der Forschung in den Neurowissenschaften eröffnen.»
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