Der ehemalige Sowjetunion- und Russland-Analytiker der CIA Ray McGovern warnt vor den Folgen der erneuten Behauptungen aus den Vereinigten Staaten, Russland würde sich in die US-Wahlen einmischen. Er erinnert daran, dass erwiesenermaßen entsprechende Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Wahlsieg Donald Trumps 2016 unter dem Stichwort «Russiagate» falsch gewesen seien.
In einem Beitrag für das Online-Magazin Consortium News stellt McGovern fest, dass die damaligen Vorwürfe die Spannungen mit dem atomar bewaffneten Russland gefährlich erhöht hätten. Aber inmitten der heutigen eskalierenden Krise in der Ukraine steigere eine Wiederholung von «Russiagate» das Risiko «rücksichtslos in wahnsinnige Höhen» und bereite die US-Amerikaner auf einen Krieg gegen Russland vor.
Anlass ist, dass vor wenigen Tagen die US-Regierung Russland vorwarf, sich «mit gezielter Desinformation» in die Wahlen in den USA in diesem Jahr einzumischen. Berichten nach wurden deshalb gegen Vertreter des staatlichen russischen Senders RT Sanktionen erlassen, strafrechtliche Anklagen erhoben und die Beschlagnahme von Internet-Domains angeordnet.
Aus Sicht von McGovern handelt es sich dabei um eine Desinformationskampagne der US-Regierung und der Demokratischen Partei. Die will die bisherige Vizepräsidentin Kamala Harris zur ersten US-Präsidentin wählen lassen und einen erneuten Wahlsieg Trumps verhindern.
Bei der erneuten Kampagne wird laut dem Ex-CIA-Mitarbeiter nicht nur behauptet, dass sich «Russlands Präferenzen» nicht verändert hätten. Auch hätten Sender wie CNN «gründlich widerlegte Mythen» wie die von «Russiagate 2016» wieder ausgegraben.
McGovern befürchtet, dass die meisten US-Amerikaner «dieses recycelte Gefasel von hochrangigen Beamten des Justizministeriums und des FBI glauben, deren Vorgänger dasselbe Spielchen betrieben haben». «Russiagate» überlebe dank der etablierten Medien «wie ein Science-Fiction-Monster, das Kugeln widersteht».
Dagegen komme auch die Tatsache nicht an, dass die Untersuchungen des Sonderermittlers Robert Mueller keine Verschwörung zwischen Russland und der Trump-Kampagne 2016 nachweisen konnten. Auch die damaligen Behauptungen, Russland habe die Server der Demokraten gehackt und E-Mails der Kampagne von Hillary Clinton an Wikileaks weitergeleitet, seien offiziell widerlegt worden.
In den E-Mails war zu lesen, dass mit der Clinton-Kampagne aktiv gegen den damaligen demokratischen Mitbewerber Bernie Sanders agiert wurde und dessen Chancen zunichtemachten. McGovern warnt:
«Dieses Mal ist Russiagate ein folgenschweres Gefasel, da es dazu beiträgt, die Kufen für einen Krieg zu schmieren.»
Auch die Behauptungen in einem Buch von David Isikoff im Jahr 2017, Moskau habe die Computer der US-Demokraten gehackt, erwiesen sich als falsch, wie der Autor ein Jahr später eingestand. Ungeachtet dessen habe Isikoff kürzlich seine von ihm selbst zurückgenommenen Behauptungen wiederholt.
McGovern erinnert an die eidesstattlichen Aussagen von Shawn Henry, Führungskraft der Cybersicherheitsfirma CrowdStrike, die vom FBI beauftragt wurde, die Computer des Demokratischen Nationalkomitees (DNC) forensisch zu untersuchen. Diese stammen aus dem Dezember 2017. Henry hatte demnach vor dem Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses ausgesagt, «dass es keine technischen Beweise dafür gab, dass die DNC-E-Mails, die für Frau Clinton so peinlich waren, als sie von WikiLeaks veröffentlicht wurden, gehackt worden waren, weder von Russland noch von jemand anderem».
Doch diese Aussage sei fast sieben Jahre lang vor der US-Öffentlichkeit geheim gehalten worden, so McGovern. Dafür hätten Adam Schiff, der damalige Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, und die etablierten Medien gesorgt.
Der Autor und Ex-CIA-Mitarbeiter macht auch auf die Rolle von Michael van Landingham aufmerksam, der nun ebenfalls als vermeintlicher Kronzeuge für «Russiagate» präsentiert werde. Es handele sich um einen ehemaligen CIA-Analytiker, der im Januar 2017 das «Intelligence Community Assessment», eine Geheimdienst-Analyse, entworfen habe, in der das angebliche russische Hacking behauptet wurde. McGovern schreibt:
«Das ‹russische Hacking des DNC› ist wie ein Vampir, dem niemand einen Holzpflock ins Herz treiben und ihn dort halten kann. Präsident Barack Obama wusste selbst, dass die Behauptung falsch war, und dennoch wies er 35 russische Diplomaten wegen Hacking und anderer angeblicher Einmischung in die Wahlen 2016 aus.»
Er vermutet hinter der neuerlichen Kampagne eine «weitere russophobe Gehirnwäsche, während der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan und Außenminister Antony Blinken eine Antwort auf Russlands Vorherrschaft in der Ukraine vorbereiten». So würde der Autor Isikoff mit seinen jüngsten Behauptungen «mit dem gefährlichen Hirngespinst hausieren gehen, dass Russland Europa über die Ukraine hinaus bedroht, während er gleichzeitig behauptet, Russland könne in der ukrainischen ‹Pattsituation› nicht einmal gewinnen».
Für McGovern handelt es sich bei der Neuauflage von «Russiagate» um «alternative Fakten». Diesen Ausdruck, der immer wieder mit Trump in Verbindung gebracht wird, habe dessen ehemalige Sprecherin Kellyanne Conway geprägt. Er warnt vor den Folgen:
«Es ist wichtig zu bedenken, dass die ‹alternativen Fakten› über Russland angesichts der extrem hohen Spannungen zwischen Washington und Moskau weitaus gefährlicher sind.»
Ex-NSA-Spezialist William Binney (links) und Ex-CIA-Analytiker Ray McGovern 2016 in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Bereits am 8. August hatte er sich in einem Beitrag ausführlich mit den Versuchen auseinandergesetzt, die antirussische Kampagne wiederzubeleben. Er gab dort die Aussagen einer Reihe von Experten wieder, die die Vorwürfe gegen Russland widerlegten, so vom ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes NSA, William Binney. Dieser habe erklärt:
«Diese ganze Russiagate-Affäre war eine Erfindung des DNC, der Clintons, des FBI usw., und keiner von ihnen hat irgendwelche spezifischen, grundlegenden Beweise zur Untermauerung seiner Behauptungen vorgelegt.»
Binney habe auch darauf hingewiesen, dass die Wiederholung der falschen Vorwürfe einem alten Prinzip folge:
«Dabei wird eine Unwahrheit immer und immer wieder wiederholt, bis sie geglaubt wird – und es hilft, wenn sie aus vielen verschiedenen Richtungen gesagt wird, vor allem von Leuten in Führungspositionen.»
McGovern verwies in dem Beitrag vom 8. August darauf, dass die Gruppe «Veteran Intelligence Professionals for Sanity» (VIPS) am 12. Dezember 2016 ein Memorandum zum Thema veröffentlicht hatte. Das hatte auf der Grundlage technischer Beweise die russischen Hacking-Vorwürfe als «unbegründet» bezeichnet.
Ray McGovern hat während seiner 27-jährigen Laufbahn bei der CIA bis 1991 deren Abteilung für sowjetische Außenpolitik geleitet und als Redakteur/Briefersteller des President’s Daily Brief, als Mitglied des Production Review Staff und als Vorsitzender der National Intelligence Estimates gearbeitet. Im Ruhestand war er Mitbegründer von Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS).
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