Die Empfehlung, Obst vor dem Verzehr zu waschen, ist weit verbreitet. Und als Grund wird nicht nur genannt, dass dadurch gesundheitsgefährdende Keime entfernt werden könnten, sondern auch giftige Pestizide. So lesen wir in einem Beitrag, veröffentlicht auf der Website der Frauenzeitschrift Myself:
«Laut Greenpeace werden allein in Deutschland über 30.000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe pro Jahr verspritzt. Besonders Erdbeeren, Salate, Äpfel, Birnen, Trauben, Nektarinen und Pfirsiche sind belastet. Wer sie ungewaschen verzehrt, riskiert Magenkrämpfe sowie Fieber.»
Doch so dramatisch es ist, dass nach wie vor Unmengen an Giften in der Landwirtschaft verspritzt werden, so wenig hilfreich scheint es zu sein, diesen Toxinen durch das Waschen des Obstes mit Wasser entkommen zu können.
Zwar ergaben Untersuchungen an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, dass sich mit dem Abspülen von Früchten rund die Hälfte der anhaftenden Pestizidrückstände entfernen ließen. Dabei würde kaltes Wasser genügen, da warmes Wasser keinen Mehrwert bringe.
Das klingt auch zunächst gar nicht so schlecht. Doch eine neue Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift Nano Letters der American Chemical Society, ernüchtert.
Denn anhand eines neuen speziellen bildgebenden Verfahrens konnte die Studie aufzeigen, dass sich das Gros der Pestizide nicht auf der Oberfläche befindet, sondern in die Schale und bis zum Fruchtfleisch vordringt. «Somit kann das Risiko der Aufnahme von Pestiziden von Früchten nicht durch einfaches Waschen, sondern nur durch Schälen vermieden werden», schlussfolgern die Autoren. The Defender schreibt dazu:
«Die von chinesischen Forschern verfasste und am 7. August (...) veröffentlichte Arbeit fällt in eine anhaltende Debatte über das Ausmaß der Pestizidkontamination von Lebensmitteln und die möglichen Gesundheitsrisiken, die mit einer ständigen Ernährung verbunden sind, die Rückstände von Unkrautvernichtungsmitteln, Insektiziden und anderen landwirtschaftlichen Chemikalien enthält.»
Das Team aus China arbeitete mit einer neuentwickelten Methode, bei der mithilfe von Nanotechnologie Pestizidrückstände in Obst gemessen werden können.
Sowohl das US-Landwirtschaftsministerium USDA als auch die amerikanische Medikamentenzulassungsbehörde FDA würden zwar die Auffassung vertreten, so The Defender, dass Pestizidrückstände in Lebensmitteln im Allgemeinen nicht gesundheitsgefährdend sind, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen.
Und auch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart zum Beispiel beschwichtigt und wiederholt dabei auch den üblichen Singsang von der Sinnhaftigkeit des Waschens von Obst:
«In 2023 zeigt sich die Pestizidbelastung von frischem Obst aus konventionellem Anbau im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessert. Vier Prozent der untersuchten Proben wiesen eine oder mehrere Höchstgehaltsüberschreitungen auf, wobei die nachgewiesenen Pestizidgehalte bei keiner der untersuchten Proben ein gesundheitliches Risiko darstellten.
Wie im Vorjahr, waren exotische Früchte – insbesondere Granatäpfel – am auffälligsten. Unser Tipp generell: Waschen Sie Obst vor dem Verzehr mit warmem Wasser ab, ein Teil der Rückstände lässt sich so entfernen.»
Die Verbraucherzentrale Hamburg etwa macht aber darauf aufmerksam, dass «sich Fachleute über die Gefahr streiten, die von mit Pflanzenschutzmitteln belasteten Lebensmitteln ausgeht». Und The Defender hält den Beschwichtigungsversuchen entgegen:
«Im Mai hatte Consumer Reports auf der Grundlage einer Analyse von Daten des US-Landwirtschaftsministeriums USDA festgestellt, dass 20 Prozent von 59 verschiedenen Obst- und Gemüsekategorien Pestizidrückstände in einem Ausmaß aufwiesen, das für die Verbraucher ‹ein erhebliches Risiko› darstellt.»
Dennoch will das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) jetzt den Grenzwert für das Pestizid Folpet in Kernobst wie Äpfeln und Birnen um das Zwanzigfache erhöhen. Grund: Durch das nasse Wetter in der Bodensee-Region sind viele Äpfel mit dem Schorfpilz befallen.
«Dabei hat der Apfel-Schorf keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit – das Pestizid Folpet aber sehr wohl», so der Kommentar des BUND. «Das Fungizid Folpet ist akut toxisch. Es gilt als wahrscheinlich krebserregend und erbgutverändernd.»
In diesem Zusammenhang macht der BUND auch auf ein sehr grundlegendes Problem aufmerksam:
«Auch wenn Obst die geltenden Pestizid-Grenzwerte nicht überschreitet, können Pestizid-Cocktails ein gesundheitsschädliches Risiko darstellen. Denn zwischen den Pestiziden können Wechselwirkungen entstehen. Das verstärkt ihre giftige Wirkung. Diese Wechselwirkungen werden aber durch die geltenden Grenzwerte nicht ausreichend berücksichtigt.»
Dabei schrieb etwa das Magazin Geo im Jahr 2018, also vor sechs Jahren, voller Zuversicht:
«Nach bisheriger Praxis werden Proben allerdings nur dann beanstandet, wenn ein einzelner Stoff die Grenzwerte überschreitet. Doch das soll sich ändern. In Zukunft sollen Schadstoffe zu Gruppen zusammengefasst und in der Summe bewertet werden. So lassen sich über die tatsächliche Gesundheitsgefährdung, die von Lebensmitteln ausgeht, realistischere Aussagen treffen.»
Die Autoren der neuen Studie geben vor diesem Hintergrund zu bedenken, dass die zugrundeliegende Erkenntnis über die Unwirksamkeit des Waschens von Obst wichtig sei für Verbraucher, die sich möglicherweise auf unzureichende Lebensmittelsicherheitspraktiken verlassen. Denn herkömmliche «Obstreinigungsverfahren können die Pestizide nicht vollständig entfernen».
Mithilfe der von ihnen entwickelten Technologie stellten die Autoren zwar auch fest, dass die Pestizidbelastung abnahm, wenn zum Beispiel bei einem Apfel die Schale zusammen mit einem Teil des Fruchtfleischs entfernt wurde. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung meint, dabei sei man auf der sicheren Seite, schränkt jedoch ein, das sich in der Schale oft die meisten wertvollen Inhaltsstoffe befinden. Beim Apfel etwa würden sich in und direkt unter der dünnen Schale bis zu 70 Prozent der Vitamine der Frucht befinden.
Foodwatch geht damit einher und schreibt, durch das Schälen gingen in nicht unerheblichem Maße Vitamine, Ballaststoffe und sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe verloren, denn diese befinden sich «verstärkt in den Schalen und äußeren Randschichten von Obst und Gemüse». Und weiter:
«So ergab eine Untersuchung, bei der zum Beispiel geschälte und ungeschälte Äpfel zerkleinert und ihre Inhaltsstoffe analysiert wurden, dass geschälte Äpfel weniger als halb so viel Vitamin C und Folsäure enthalten wie Äpfel mit Schale.»
Wer auf Obst und Gemüse und deren Nährstoffe in Schale und Randschichten nicht verzichten und sich dabei auch nicht unnötig mit Pestiziden belasten will, dem bleibt im Grunde nur, sich auf die Bio-Varianten zu fokussieren.
Man könnte es natürlich auch der recht effektiven Methode folgen, die US-Forscher entdeckt haben, um Pestizide in Obst aus konventionellem Anbau loszuwerden, ohne sie zu schälen. So wuschen sie Äpfel mit Leitungswasser, mit einer handelsüblichen Chlorbleiche – und mit Backnatron (Natriumhydrogencarbonat). Ergebnis:
Wenn man Obst in einer einprozentigen Lösung aus Wasser und Backnatron taucht können Pestizide wie Thiabendazol oder Phosmet in erheblichem Ausmaß entfernt werden. Denn das Natron soll zusätzlich dafür sorgen, dass Pestizidrückstände abgebaut werden. Der «Casus knacksus»: Man muss dabei das Obst und Gemüse vor jedem Verzehr 15 Minuten lang in Natronlauge baden. Wer will das schon?
Kommentare