Am 28. Februar 2023 jährte sich das verheerende Zugunglück in der Nähe von Tempi, bei dem 57 Menschen ihr Leben verloren. Im Gedenken an die Opfer wurden landesweit Glocken geläutet, Fahnen auf Halbmast gesetzt und Gedenkveranstaltungen abgehalten. Besonders betroffen waren Studenten, die in Thessaloniki studiert hatten. Die traurige Erinnerung führte zu landesweiten Protesten und einem 24-stündigen Streik, organisiert von verschiedenen Gewerkschaften.
Der Unfall ereignete sich, als der Intercity 62 mit Ziel Thessaloniki vom Stellwerk Larissa auf ein Gleis umgeleitet wurde, auf dem gleichzeitig ein Güterzug in die Gegenrichtung fuhr. Der Frontalzusammenstoss forderte 57 Todesopfer und hinterliess 85 Verletzte und zahllose Vermisste. Ein Grossteil der Opfer waren Studenten. Ein Brand nach der Kollision, mutmasslich verursacht durch eine illegale Ladung von Waffen oder Chemikalien auf dem Güterzug verschärfte die Situation, wobei die Temperaturen bis zu 1’500 Grad erreichten.
Überlebende und Angehörige von Opfern erheben seither schwere Vorwürfe gegen die Leitung der Bahn und die politischen Verantwortlichen wie den damaligen Transportminister Kostas Achilles Karamanlis, der nach wie vor im Parlament sitzt. Zu den Vorwürfen gehört, dass das Beweismaterial sechs Tage nach dem Unfall entfernt wurde und die Unfallstelle bereits am nächsten Tag zugeschüttet wurde.
Angehörige der Opfer starteten eine Kampagne zur Aufhebung der politischen Immunität von Parlamentariern und Regierungsmitgliedern, um eine gründlichere Aufklärung zu ermöglichen. Über 1,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger unterstützen diese Peition.
Maria Karystianou verlor ihre 20-jährige Tochter bei dem Zugunglück von Tempi, das Griechenland erstarren liess. Heute kämpft sie für Gerechtigkeit. Die Ärztin aus Thessaloniki und Mutter der 20-jährigen Martha, die in Tempi ums Leben kam, sagte im Januar vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus, der die Verantwortung von Politikern für das Zugunglück untersucht. Ihre Zeugenaussage dauerte fast drei Stunden.
Die EU-Staatsanwaltschaft (EPPO) untersucht unabhängig davon Verträge zur Wiederherstellung des griechischen Schienennetzes, und mindestens 23 Personen, darunter 18 Beamte, stehen unter Verdacht. Bestandteil dieser Verträge waren Projekte zur Ausrüstung der Strecke Athen-Thessaloniki mit einem Kontroll- und Signalsystem.
Das Geld aus EU-Mitteln floss, aber die Züge fuhren mit Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h. ohne irgend ein technisches Kontrollsystem, das es in der Schweiz schon in den 30er Jahren gab. Die EPPO wird für ihre schnelle Reaktion gelobt, während Kritik an den griechischen Behörden laut wird, die die Rolle des Sündenbockes ausschliesslich dem Stationsvorstand von Larissa zuschieben, der in der fatalen Nacht im Stellwerk allein war.
Fragen wirft auch das Verschwinden von Videos auf, die Beweise über die Ladung des Güterzuges liefern könnten. Und schliesslich ist es in Griechenland immer noch so, dass Ermittlungen bei Fällen, in denen Politiker involviert sind, vom Parlament durchgeführt werden müssen. Es gibt also dort keine Gewaltentrennung. Deshalb versickern diese Untersuchungen regelmässig.
Langsam scheint es sich aber herumzusprechen, dass in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in Europa nicht Ungarn, sondern Griechenland das Schlusslicht ist.
Eine Petition mit mehr als einer Million Unterschriften und eine Mutter Courage, die selbst das EU-Parlament mobilisiert: das hat es in Griechenland wohl noch gar nie gegeben!