Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat letzte Woche mit einem einstimmigen Urteil die rechtlichen Hürden für sogenannte Klagen wegen «umgekehrter Diskriminierung» gesenkt. Künftig können weiße, heterosexuelle US-Amerikanerinnen und -Amerikaner in mehr als 20 Bundesstaaten leichter gegen mutmaßlich diskriminierende Entscheidungen klagen – etwa bei Beförderungen oder Entlassungen. In den deutschsprachigen Medien löste der Fall nur ein sehr bescheidenes Echo aus.
Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, betrifft eine weiße Frau aus dem Bundesstaat Ohio. Sie hatte ihren früheren Arbeitgeber, eine staatliche Jugendbehörde, verklagt, nachdem sie nach eigenen Angaben eine Beförderung nicht erhalten und später ihre Stelle verloren hatte. Die entscheidenden Posten seien mit Personen aus sexuellen Minderheiten besetzt worden. Die Klägerin sah sich deshalb aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und sexuellen Orientierung benachteiligt – eine Argumentation, der die höchsten Richter des Landes nun folgten.
In ihrer Begründung stellten die Richter klar: Diskriminierung sei unabhängig von Mehrheits- oder Minderheitszugehörigkeit grundsätzlich unzulässig. Damit erteilen sie auch einer juristischen Position eine Absage, die lange Zeit im öffentlichen und akademischen Diskurs verbreitet war – nämlich, dass Mehrheitsangehörige strukturell nicht diskriminiert werden könnten.
Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die Personalpolitik insbesondere im öffentlichen Sektor haben. In den letzten Jahren hatten viele US-Behörden sogenannte DEI-Richtlinien (Diversity, Equity, Inclusion) eingeführt, die unter anderem eine stärkere Repräsentation von Minderheiten in Verwaltung und Führungsetagen fördern sollten. Diese Programme waren politisch hoch umstritten – Befürworter sahen in ihnen ein Instrument zur sozialen Gerechtigkeit, Kritiker warfen ein, mit ihnen würden neue Ungleichheiten geschaffen.
Bereits während seiner ersten Amtszeit als Präsident hatte Donald Trump mit einer Executive Order versucht, DEI-Initiativen in Bundesbehörden einzuschränken. Diese Order wurde später von der Biden-Administration rückgängig gemacht. Doch mit dem aktuellen Urteil gewinnt die Debatte erneut an Dynamik.
Zivilrechtler sehen in dem Urteil ein mögliches Umdenken im Umgang mit Gleichstellungsmaßnahmen. „Das Gericht hat klargestellt, dass Diskriminierung keine Einbahnstraße ist“, sagte eine Sprecherin der American Bar Association. Ob und wie sich das Urteil konkret auf bestehende Programme auswirkt, wird nun von den Bundesstaaten und Arbeitgebern zu prüfen sein.
Sicher ist: Der gesellschaftliche Diskurs über Gleichheit, Gerechtigkeit und die Grenzen positiver Diskriminierung (also von Maßnahmen, mit denen eine Ungleichbehandlung zugunsten bestimmter Gruppen erfolgt) wird in den USA dadurch nicht leiser – sondern vermutlich noch intensiver geführt werden.
Kommentar von Transition News
Auch in der Schweiz gibt es «umgekehrte Diskriminierung». Ein Deutschschweizer hat es zum Beispiel sehr schwer, bei der Bundesverwaltung eine Stelle zu finden, wenn er nicht gegenüber französisch- oder italienischsprachigen Kandidaten oder Frauen zusätzliche Qualitäten mitbringt. In den letzten Jahren hat dieses Unwesen auch in der Privatwirtschaft begonnen.
Das Problem dabei ist, dass das meist informell gemacht wird, aber kaum je in Reglementen oder Absagebegründungen erwähnt wird. Außerdem gibt es in der Schweiz kein Gesetz, das Diskriminierung ganz allgemein und abstrakt verbietet. Deshalb ist es auch extrem schwierig, dagegen vorzugehen.