Schon 2007 hat der Journalist Walter van Rossum aufgezeigt, dass Medien wie die bundesdeutsche ARD mit ihrem «Flaggschiff» Tagesschau täglich «in 15 Minuten die Welt unbegreiflich» machen. Er hat das in seinem Buch über die «Tagesshow» festgestellt und beschrieben. So ist bei ihm unter anderem zu lesen:
«Ich habe bei ARD-aktuell niemanden getroffen, der auch nur annähernd imstande gewesen wäre, halbwegs präzise zu beschreiben, was er da macht und wie das ‹Nachrichtenmachen› als Handwerk funktioniert. Zugespitzt gesagt hatte ich eher den Eindruck, dass solches Wissen hier ein Einstellungshindernis wäre.»
Die drei Journalisten Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam gingen 2017 in ihrem Buch «Die Macht um Acht – Der Faktor Tagesschau» noch einen Schritt weiter: Sie schrieben über «Fünfzehn Minuten Staatsfunk» und stellten fest:
«Nach den jeweiligen 15 Minuten weiß man, was die Regierung über dieses oder jenes Ereignis denkt, weiß man, was die Republik denken soll, und auch, was nicht zu denken gewünscht ist. Denn an manchen Tagen ist es interessanter zu sehen, was die Tagesschau nicht sendet, als jenen Ausschnitt von Nachrichten aufzunehmen, den die Redaktion den Gebührenzahlern zuteil werden lässt.»
Der ehemalige Mitarbeiter von ARD-aktuell, der Redaktion der Tagesschau, Alexander Teske bestätigte kürzlich im «Sprechsaal» in Berlin die Beobachtungen van Rossums von vor 18 Jahren und was die anderen drei über das «Flaggschiff der ARD» geschrieben hatten. Teske hatte Anfang dieses Jahres in einem eigenen Buch unter dem Titel «inside Tagesschau» beschrieben, was er in sechs Jahren Tätigkeit «zwischen Nachrichten und Meinungsmache» erlebt und beobachtet hat.
Alexander Teske am 6. Juni im Berliner «Sprechsaal», hinter ihm Fotos aus dem zerstörten Gaza-Streifen, einem der Themen, bei dem deutsche Medien lieber wegsehen (Foto: Tilo Gräser)
Seine Einblicke in die öffentlich-rechtliche Nachrichtenproduktion und die Rolle der Journalisten haben für Aufmerksamkeit und Debatten gesorgt – nur nicht in den Redaktionen der ARD und der anderen öffentlich-rechtlichen Sender, zumindest nicht öffentlich. Er werde ignoriert und totgeschwiegen, berichtete Teske. Er weiß aber, dass ehemalige Kollegen begrüßen und beobachten, was er über seine Erfahrungen berichtet und schreibt.
Politische Einseitigkeit
Im Gespräch mit dem Publikum nach seiner Lesung im Berliner «Sprechsaal» wurde er auch gefragt, was in der Redaktion von ARD-aktuell über die Zuschauer gedacht wird. Seine nun ehemaligen Kolleginnen und Kollegen machen sich laut seiner Aussage nur wenig Gedanken um das, was sie tun. Sie folgen demnach ihren eingeschränkten, meist vermeintlich links und ökologisch orientierten Weltsichten und haben gar keine schlechte Meinung von den Zuschauern.
Doch «wahnsinnig viele», die für gutes Gehalt oder auch gute Honorare für die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten, seien unzufrieden, berichtete er zuvor. Sie würden in Frage stellen, was sie tun – es aber dann doch weitermachen, weil davon ihre gut gesicherte Existenz abhänge.
Teske beschreibt in seinem Buch die große politische Einseitigkeit der Nachrichtenmacher, die sich nicht nur an deren vorwiegender Orientierung auf SPD und Grüne zeigt. Sie wird ebenso deutlich in der Fixierung auf die regierende Politik und auf den Anspruch zahlreicher ARD-Mitarbeiter, wonach die «richtige Haltung» wichtiger sei als die Fakten.
Der Insider Teske bestätigte, was die anderen Autoren zuvor beobachtet und festgestellt hatten. Bloß die Sicht von innen habe er hinzugefügt, sagte er auf die Frage nach den zuvor erschienenen Büchern über die Tagesschau der ARD. Die habe er gelesen, bevor er sein eigenes Buch schrieb.
In dem berichtet der heute 54-Jährige auch davon, dass die Tagesschau für ihn immer das «Sehnsuchtsziel» gewesen sei, seitdem er mit 18 Jahren begann, als Journalist zu arbeiten und zu schreiben. Ebenso beschreibt er, wie er Stück für Stück desillusionierter wurde, bevor er nach sechs Jahren Mitarbeit bei ARD-aktuell den für Journalisten bei öffentlich-rechtlichen Sendern seltenen Schritt tat, seinen eigentlich sicheren Vertrag zu kündigen.
Teske war vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Leipzig nach Hamburg gekommen, wo beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) auch die Redaktion von ARD-aktuell sitzt. Er habe sich über den Wechsel gefreut, schreibt er im «Vorspann» seines Buches, weil er glaubte, nun könne er in der Planung der Tagesschau richtig Nachrichten machen.
Doch er bemerkte demnach bald, dass das Image des ARD-Flaggschiffs als «seriös, ausgewogen und neutral» trügt:
«Beim Blick hinter die Kulissen der ‹Macht um Acht›, fällt auf, auch bei der Tagesschau geht es um Quote und Unterhaltung, wird gelegentlich einseitig und unausgewogen berichtet. Die gezeigten Nachrichten sind nicht immer die wichtigsten des Tages, die Auswahl manchmal zufällig. Ihrer Aufgabe, eine kritische Distanz zu den Herrschenden zu halten, wird die Tagesschau nicht gerecht, denn sie wird von einem elitären Kreis verantwortet. Sie haben ähnliche politische Ansichten und kommen fast ausschließlich aus dem Westen.»
Der ehemalige Planungsredakteur beobachtete Tricks der Korrespondenten, auf den Bildschirm zu kommen, ebenso die «überflüssigen Grabenkämpf» zwischen den einzelnen ARD-Anstalten und die «erbitterten Streitigkeiten in der Redaktion». Mit seinem Buch will er aufklären, wie Nachrichten entstehen und versuchen Antworten zu geben auf die Frage, was bei der Berichterstattung der Tagesschau falsch läuft.
Unbekannte Entscheider
Die Antworten sind interessant, da sie wie schon erwähnt erstmals von einem Insider kommen. In Berlin las Teske einige Passagen aus dem Buch und ging auf einzelne Aspekte etwas näher ein. Dazu gehört die Rolle der «heimlichen Chefs der Tagesschau», den CvD (Chefs vom Dienst) bei ARD-aktuell, die laut Teske einen größeren Einfluss als der eigentliche Chefredakteur haben.
Nach seiner Beobachtung bestimmen diese CvD «zu 90 Prozent die Inhalte» der Tagesschau-Sendungen, «die Schlagzeilen, die Bilder, Themenauswahl». Ebenso würden diese Redakteure oftmals die Kollegen in den Sendeanstalten vor Ort gegen deren Einwände vorschreiben, was sie berichten sollen, weil sie die Lage vermeintlich besser kennen.
Das ist von der Struktur so eigentlich nicht vorgesehen und müsste aus Sicht des ehemaligen Planungsredakteurs geändert werden. Auch, dass diejenigen, die jeweils tageweise als CvD die Nachrichtenproduktion bestimmen, namentlich nicht bekannt sind. Teske will diese Namen selbst nicht preisgeben, erklärte aber in Berlin:
«Wenn die Tagesschau schlau ist, wird sie eines Tages diese Kollegen öffentlich machen, weil ich glaube, dass unser Land ein Recht darauf hat, zu wissen, wer bei der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes die Entscheidungen trifft. Sie können jeden Chefredakteur einer kleinen Kreiszeitung im Internet googeln. Der steht da mit Namen und Gesicht. Da kann man auch anrufen, der muss sich quasi der Kritik stellen, aber bei der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes ist es eben nicht so.»
Für Zuschauer sei es sehr schwer, sich bei der Tagesschau zu beschweren – auch wenn die vom Geld der Zuschauer und Gebührenzahler abhängig ist. Es gebe «keinen Dialog zwischen Sender und Empfänger», bemängelte Teske.
Beliebte Drehtür
Er ging bei der Buchvorstellung auch auf die «Drehtür» zwischen Politik und Medien ein, durch die vermeintlich unabhängige Journalisten Pressesprecher der Bundesregierung und von Ministerien werden – und später wieder zurückkehren können und dabei in öffentlich-rechtlichen Sendern oftmals mit Leitungsfunktionen «belohnt» werden. Im Buch nennt er verschiedene Beispiele, so Michael Stempfle, der von der ARD ins Bundesverteidigungsministerium unter Boris Pistorius (SPD) wechselte.
Das geschah, kurz nachdem Stempfle den neu ernannten Minister in einem Kommentar lobte. Der Beitrag ist auf der ARD-Webseite inzwischen nicht mehr zu finden, so Teske. Eigentlich müssten die Medien die Herrschenden kontrollieren, sagte er, aber stattdessen bestehe die große Gefahr, dass die politischen Journalisten sich als Teil des politischen Systems verstehen. Zur «Kungelei zwischen Politik und Medien» stellte er klar:
«Journalisten und Pressesprecher sind keine Kollegen, sie stehen auf unterschiedlichen Seiten. Eine Drehtür zwischen Sender und Staat darf es nicht gehen.»
Das gilt auch für andere Medien, doch das Gegenteil ist weiterhin der Fall, wie der Ex-ARD-Redakteur mit Blick auf den neuen Regierungssprecher Stefan Kornelius, vorher Politikredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, klarstellte. Auch die neue Sprecherin des Bundesinnenministeriums unter Alexander Dobrindt (CSU), Sarah Frühauf, die von der ARD kam und sich dort einen negativen Namen mit einem Hetzkommentar gegen «Ungeimpfte» machte, ist solch ein Beispiel.
Mit dieser «Drehtür», dieser engen Verflechtung von Medien und Politik, schaufle sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk «Stück für Stück sein eigenes Grab», warnt Teske in seinem Buch. In dem setzt er sich mit weiteren Problemen innerhalb der Sender auseinander, die dem offiziellen Anspruch, objektiv zu berichten und die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft widerzuspiegeln, deutlich widersprechen, so die sogenannten «Faktenfinder».
Dieser Bericht von innen macht das Buch interessant und empfehlenswert, auch wenn manche der beschrieben Prozesse und Entwicklungen nicht neu sind. Erstaunlich ist, zu erfahren, dass die bekannten Probleme und Missstände bis heute nicht behoben wurden und werden. Bei der ARD scheinen die Verantwortlichen kritikresistent zu sein.
Ignorantes Verschweigen
Über Teskes Buch wird nach seinen Informationen intern nicht geredet und auch öffentlich nicht debattiert, obwohl es senderintern bekannt ist, berichtete der Autor. Die Medienmagazine der ARD-Sender, die gern über den Zustand der Pressefreiheit in anderen Ländern berichten, hätten nicht einen Beitrag dazu gebracht, mit der einen Ausnahme des Medienmagazins von Radio Eins des RBB am 15. Februar dieses Jahres.
Der Sender NDR hatte nach dem Erscheinen angekündigt, rechtlich dagegen vorgehen zu wollen, hat sich dann aber anscheinend doch für die Strategie des Totschweigens entschieden, um nicht über den Inhalt diskutieren zu müssen. Das dürfte zumindest ein Beleg dafür sein, dass Teskes Bericht die Realität korrekt wiedergibt.
Insgesamt würden sich die negativen Reaktionen in Grenzen halten, berichtete er in Berlin. In Medienberichten über das Buch sei ihm allerdings unterstellt worden, er habe ein «Rachebuch» geschrieben. Zugleich sei er in die «rechte Ecke» gestellt worden. Aber selbst von ehemaligen Kollegen erhalte er viel Zuspruch und werde aufgefordert, weiter zu machen, so der Ex-Planungsredakteur der ARD.
Er sieht eine Chance für eine notwendige Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems nur im Medienstaatsvertrag und auf juristischem Weg. Zwar könnten Zuschauer und Zuhörer Programmbeschwerden bei den Sendern einreichen, aber die hätten kaum eine Chance, auch wenn ihre Zahl inzwischen in die Tausende gehe.
Eine Folge der Entwicklung sei, dass Millionen Deutsche sich mittlerweile bei alternativen Medien informieren. Das habe zum einen mit den technischen Möglichkeiten dafür zu tun, die es vor Jahren nicht gab. Aber zum anderen auch, «weil die natürlich eine Lücke füllen», welche die etablierten Medien einschließlich der öffentlich-rechtlichen hinterlassen hätten.
Zu den Ursachen gehöre, dass auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk «mittlerweile sehr verbreitet» sei, dass Menschen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, ihre Meinung nicht mehr frei sagen können, so Teske.
2021, mitten in der politisch verursachten Corona-Krise, hatte der frühere NDR-Intendant Jobst Plog bereits gewarnt:
«Die Breite der Meinungen ist bedroht, nicht so sehr durch Anordnung von oben. Das ist eine Erfindung. Das gibt es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich nie. (...) Die Kolleginnen und Kollegen ordnen sich manchmal in bestimmte Trends ein und lassen dann andere Meinungen nicht automatisch herein. (...) Wir müssen alle Meinungen, die in der Gesellschaft legitimerweise vorkommen, auch spiegeln. Neugier für andere Meinungen muss groß bleiben, auch wenn wir sie nicht teilen.»
Und er fügte hinzu:
«Es gibt Meinungen in der Gesellschaft, die bei uns nicht mehr vorkommen. Das sind manchmal auch unbequeme Meinungen oder auch Meinungen, die wir nicht teilen. Aber wenn wir sie nicht spiegeln, sie nicht mehr vorkommen lassen, auch kritisch vorkommen lassen, dann wandern sie ins Internet ab und gehen uns verloren und tangieren wiederum unsere Glaubwürdigkeit.»
Daran hat sich leider nichts geändert, wie Teskes Bericht aus dem Inneren der ARD-Tagesschau zeigt.
Buchtipp:
Alexander Teske: «inside TAGESSCHAU – Zwischen Nachrichten und Meinungsmache»
Verlag LMV 2025. 292 Seiten; ISBN 978-3-7844-3731-6; 22 Euro
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