Zum Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart wurde schon viel gesagt. Das wohl bekannteste Bonmot stammt von Karl Marx: «Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce». Diese Bemerkung impliziert, dass es zwischen Vergangenheit und Gegenwart gewisse Verbindungslinien gibt, aber auch Brüche.
Wer das Zeitgeschehen beobachtet, findet Parallelen zu vergangenen Epochen. Allerdings werden bisweilen Unterschiede sichtbar, die durch den jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Kontext bedingt sind. Solche historischen Zusammenhänge und Verbindungslinien stehen im Zentrum der Theatergruppe Triple A aus Potsdam.
Das Kollektiv bringt Stücke auf die Bühne, die zum Nachdenken darüber anregen sollen, was sich aus der Geschichte lernen lässt und welche Handlungsalternativen sich ergeben, vor allem in gesellschaftspolitisch stürmischen Zeiten wie diesen.
Aus diesem Impetus heraus hat das mehrköpfige Frauenkollektiv ein neues Genre entwickelt – das «Histopical». Es sei gekennzeichnet durch geschichtliche Genauigkeit, die in einem dramatisch-fiktionalen Geschehen historische Ereignisse und Persönlichkeiten mit der Gegenwart in Beziehung setze, heißt es auf der Webseite.
Parallelen zum gegenwärtigen Kriegskurs
Dieses Vorhaben setzt Triple A unter anderem in dem Stück «Clara Z» um. Anhand der historischen Person Clara Zetkin werden Parallelen zum gegenwärtigen Kriegskurs gezogen, wobei zugleich auch das kapitalistische Fundament der Aufrüstung kritisiert wird. «Wenn man historische Persönlichkeiten nimmt, lassen sich verschiedene Facetten der Gegenwart beleuchten», erklärt Triple-A-Mitgründerin Anja Panse den Ansatz.
Tatsächlich wirkt Clara Zetkin so aktuell wie kaum eine andere historische Persönlichkeit. Vor knapp 100 Jahren erlebte auch sie eine ungeheure Kriegseuphorie und hielt unermüdlich dagegen. Mit Entschlossenheit setzte sie sich für Frieden und Freiheit der Völker ein und sah schon damals, dass die Wurzeln des Übels im kapitalistischen System liegen. «Ihre damaligen Analysen sind so exakt, als wären sie heute geschrieben», sagt Panse.
Die Mitglieder von Triple A sind auf der Bühne in unterschiedlicher Konstellation zu erleben. Panse übernimmt in dem Theaterkollektiv auch Regie und Text. Weitere Mitglieder kümmern sich um Bühnenbild, Kostümgestaltung oder Musik. Die Bezeichnung Triple A steht für «Authentisch, Alternativ, Angstfrei».
Gegründet hat sich das Kollektiv 2021, mitten in der Corona-Krise, als viele Kultureinrichtungen geschlossen und Künstler als nicht systemrelevant erachtet wurden. In dieser Situation hatten Panse und ihre Kolleginnen das Gefühl, dass sie etwas tun mussten, um sich künstlerisch auszudrücken. Also schlossen sie sich zusammen und entwickelten gemeinsame Projekte.
Kultivierung eines künstlerischen Bewusstseins
Heute ist Triple A ein gemeinnütziger Verein mit neun Mitgliedern. Der gemeinsame Zweck besteht in der Kultivierung eines künstlerischen Bewusstseins. «Wir wollen dem politischen und medialen Druck etwas entgegensetzen», sagt Panse. Vor allem gehe es darum, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Triple A möchte die Menschen wieder zusammenbringen, sie zur Diskussion anregen, sie intellektuell stimulieren und auf Missstände hinweisen.
Das Theaterkollektiv macht das nicht mit dem Holzschlaghammer, sondern sehr subtil. Die Stücke sind so differenziert gestaltet, dass viel Interpretationsspielraum entsteht. Dadurch ergäben sich für die Zuschauer verschiedene Anknüpfungspunkte, erklärt Panse. «Sie werden jeweils dort abgeholt, wo sie sich im Aufklärungsprozess gerade befinden». Wo einige nur eine Szene von Molière sehen, erkennen andere Kritik an den gegenwärtigen Zuständen. Beide sitzen aber nebeneinander und kommen vielleicht ins Gespräch.
In den letzten vier Jahren hat Triple A vier Theaterstücke und ein Hörspiel entwickelt. Eine weitere Produktion kommt in den nächsten Monaten auf die Bühne. Den Anfang machte «Dante.RELOADED» im September 2021, ein Podcast, in dem der italienische Dichter der «Göttlichen Komödie» erneut auf eine Reise durch die Höllenkreise geschickt wird, allerdings durch diejenigen der Neuzeit und Gegenwart. Auf diesem Weg begegnet er Personen wie Pablo Escobar, Leni Riefenstahl oder Edward Bernays und Walter Lippmann, die ihm erläutern, wie man Massen manipuliert. Wer das Stück verstehen will, muss wissen, dass die Höllenkreise bei Dante jeweils für eine Straftat stehen. Von da aus müssen die Zuschauer die Brücke zur Gegenwart selbst schlagen.
Moral – Produkt des Zeitgeistes
Auf die gleiche Weise sind sie in dem Stück «Moralinsüß» gefordert. Triple A setzt sich hier mit dem heute übersteigert zur Schau gestellten Moralismus und mit den Geboten nach Political Correctness auseinander. Moral, lautet die Botschaft, ist eine relative Kategorie. Ihr Inhalt variiert je nach Kontext und ändert sich ständig. «Was heute moralisch korrekt ist, war es früher nicht», sagt Panse. «Moral ist immer ein Produkt des Zeitgeistes».
Diese Einsicht vermittelt das Theaterkollektiv mit Gesang, Puppenspiel und Szenen aus bekannten Theaterstücken, beispielsweise aus Büchners «Dantons Tod», in dem es ganz explizit um Moral während der Französischen Revolution geht. Goethes Faust findet ebenfalls Erwähnung sowie die Doppelmoral der heutigen Politiker. Teile des Stücks sind kabarettistisch angelegt. Triple A setzt gerne auf Humor, weil sich Botschaften so besser transportieren lassen, wie Panse erklärt: «Was mit Witz und leichter Hand daherkommt, wird eher angenommen».
Triple A führt seine Stücke an den unterschiedlichsten Orten auf – in Kirchen, Kneipen und Kinos. Die Gruppe spielte sogar schon in einer Tischlerei. Damit demonstriert die Gruppe, dass sie zu den Wurzeln des Theaters zurückkehrt – und somit auch zurück zu den Menschen. Ein festes Element jeder Aufführung ist die Diskussion mit dem Publikum.
Besonders kreativ wird sie in dem Stück «PEACE FOOD oder Die letzte Suppe» arrangiert. Während der Darbietung kocht eine Köchin eine Suppe, in die Weisheiten bekannter Pazifisten fließen. Aus diesen Zutaten entsteht ein friedliches Mahl, das die Künstlerinnen nach Ende der Aufführung gemeinsam mit dem Publikum zu sich nehmen. In kriegseuphorischen Zeiten wie diesen könnte man von diesem «Peace Food» nicht genug essen.
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