Die Schweiz hat im Zollkonflikt mit den USA eine herbe Niederlage erlitten. Ausgerechnet in der Nacht zum Schweizer Nationalfeiertag, dem 1. August, kündigte US-Präsident Donald Trump neue Zölle von 39% auf Schweizer Exporte an – deutlich höher als die 15%, auf die sich die EU und auch Liechtenstein mit den USA einigen konnten. Eine zuvor ausgehandelte Einigung zwischen der Schweiz und den USA scheiterte in letzter Minute an Trumps persönlicher Zustimmung.
Trotz intensiver Verhandlungen, unter anderem durch Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, kam es zu keinem Durchbruch. Zwar hatte man sich auf technischer Ebene auf einen reduzierten Zollsatz von 10% verständigt, doch Trump blieb bei seiner harten Linie – mit Verweis auf das Handelsdefizit der USA gegenüber der Schweiz.
Der Entscheid gilt als empfindliche Niederlage für den Bundesrat. Die Schweiz hatte den USA milliardenschwere Investitionen und eigene Zollsenkungen angeboten, konnte den US-Präsidenten aber nicht umstimmen. Die neuen Zölle treten in einer Woche in Kraft.
Mir war seit einiger Zeit klar, dass das ständige Beschwören einer Einigung mit dem unberechenbaren Präsidenten eher einem Gesundbeten gleichkommt. Ich habe hier in einer Analyse dargestellt, dass es sich dabei um eine «lose-lose» Situation handelt, etwas, bei dem alle verlieren.
Die USA haben die Schweiz vor einiger Zeit auf eine Liste mit Ländern «unfairer Handelspraxis» gesetzt – eine symbolisch Herabstufung, die aber durchaus als Warnung hätte verstanden werden können. Die USA tut etwas Derartiges nicht zufällig.
In den letzten Jahrzehnten haben wir in der Schweiz leidvolle Erfahrungen mit «Uncle Sam» gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir uns schleichend in große Abhängigkeit von den USA gebracht – politisch, wirtschaftlich und technologisch.
Die Sache läuft immer ähnlich ab: die USA fordern und die Schweiz knickt ein. Die USA kriegt, was sie will, hält aber nicht Gegenrecht, oder nur, wenn es ihr beliebt. Bei der großen strukturellen Abhängigkeit ist es allerdings kaum möglich, nicht nachzugeben.
Trotz weitreichender Zugeständnisse gegenüber den USA ist das bilaterale Verhältnis für die Schweiz zunehmend ernüchternd. Mehrfach zeigte sich, dass Bern bereit war, weit zu gehen – ohne dass Washington Gegenschritte gemacht hätte:
- 2009 fiel das Bankgeheimnis für ausländische Kunden unter US-Druck, ohne Gegenleistung.
- 2014 akzeptierte die Schweiz das FATCA-Abkommen, das der US-Steuerbehörde umfassende Datenzugriffe erlaubt – ebenfalls ohne Gegenseitigkeit.
- 2021 stimmte sie der von den USA initiierten globalen Mindeststeuer zu, obwohl die USA selbst sie nicht ratifizierten.
- Seit 2022 übernimmt die Schweiz nahezu vollständig die US-Sanktionspolitik gegenüber Russland, inklusive informeller Übernahme amerikanischer Sanktionslisten durch die Finanzbranche.
- Die Schweiz hat gegenüber einem sehr guten Angebot der Franzosen dem F35-Kampfjet der USA den Vorzug gegeben und sitzt jetzt auf Mehrkosten.
- Die USA liefern die Patriot-Raketen nicht zum vereinbarten Termin an die Schweiz – die Waffen gehen in die Ukraine.
Trotz dieser Linie, die von Wohlverhalten und Konzilianz geprägt ist, blieb Anerkennung aus. Im Gegenteil: Die Schweiz wurde etwa ohne Erklärung vom US-Markt für unbegrenzte KI-Chip-Importe ausgeschlossen. Auch diplomatische Bemühungen blieben folgenlos.
Ich stelle mir ernsthaft die Frage, warum die Schweiz weiterhin eine derart masochistische Außenwirtschaftspolitik gegenüber den USA verfolgt. Angesichts struktureller Probleme der USA – wie demografischem Rückgang und wachsender protektionistischer Rhetorik – stellt sich die Frage, ob eine so starke Abhängigkeit vom US-Markt noch sinnvoll ist. Die Probleme, denen sich «Uncle Sam» gegenübersteht, werden nicht von heute auf Morgen verschwinden. Und eine andere, partnerschaftliche Haltung wird er nicht einnehmen, auch wenn man sich unterwürfig und hörig zeigt.
Diese Haltung zeigt, welches Denkschema in den Schweizer Eliten vorherrscht. Die USA sind für maßgebliche Politiker und Wirtschaftsgrößen immer noch das Maß aller Dinge. Die immensen strukturellen Probleme scheinen sie nicht zu sehen. Sie scheinen auch nicht zu verstehen, dass selbst eine Großmacht nicht ewig auf Pump leben kann. Das habe ich deutlich beobachtet bei meiner Tätigkeit für verschiedene multinationale Schweizer Firmen mit Exposure in den USA. Hier täte eine Neuorientierung not, eine Neuorientierung, zuerst im Kopf der Eliten in Politik und Wirtschaft. Der heutige Nationalfeiertag wäre eine sehr gute Gelegenheit dazu.
Statt sich weiter in asymmetrische Beziehungen zu verstricken, sollte die Schweiz ihr außenwirtschaftliches Gewicht strategischer einsetzen und stärker auf wachstumsstarke Regionen wie Asien, Afrika und die BRICS-Staaten setzen – und auf geregelte und abgesicherte Beziehungen innerhalb Europas (siehe hier, weitere Links im Beitrag). So könnte sie sich aus der fatalen Abhängigkeit von den USA lösen. Als erster Kontrapunkt zu Trumps Zoll-Hammer sollten die Investitionszusagen, die die Schweiz im Rahmen der Einigung auf technischer Ebene gemacht hat, umgehend zurückgenommen werden. No deal? Dann gibt es auch keine Investitionen.
Die Bilanz der letzten Jahre zeigt: Loyalität wurde nicht belohnt – im Gegenteil, sie führte zu Abhängigkeit, Souveränitätsverlust und wachsendem außenpolitischem Einfluss der USA auf die Schweiz. Eine Neuausrichtung ist überfällig.
Kommentare