Die deutsche Bild-Zeitung berichtete Ende letzter Woche, dass Indien angeblich wegen Ankaras Beziehungen zu Pakistan ein Veto gegen den Antrag der Türkei auf Mitgliedschaft in den BRICS-Staaten eingelegt habe. Daraufhin reagierte das türkische «Zentrum für die Bekämpfung von Desinformation» und stellte klar, dass der Beitrittsprozess nicht einmal auf der Tagesordnung des Gipfels von Kasan (wir berichteten) gestanden habe. Hierüber schreibt der in Russland lebende US-Journalist Andrew Korybko.
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Der türkische Außenpolitikexperte Sinan Ulgen, der in dem Bild-Artikel zitiert wurde, wies den Bericht des Blattes ebenfalls zurück. Er fügte hinzu, dass die Nuancen seiner Ansichten, die er in einem Interview mit der Bild-Zeitung geteilt habe, nicht berücksichtigt worden seien. Indien habe kein Veto einlegen brauchen, denn über das Beitrittsthema sei nicht abgestimmt worden.
Zuvor hatte der indische Journalist Sidhant Sibal berichtet, dass die BRICS-Staaten sich darauf geeinigt hätten, der Türkei zusammen mit einem Dutzend anderer Länder den Partnerschaftsstatus zu gewähren. Derweil sei die Mitgliedschaft oder das Fehlen einer solchen eigentlich keine große Sache, sagt Korybko. Der Grund dafür sei, dass jedes Land seine Finanzpolitik freiwillig mit der Gruppe koordinieren könne.
Durch die Mitgliedschaft erhielten die Länder lediglich das Recht, an den Gesprächen zu diesem Thema teilzunehmen, so der Journalist. Der Partnerschaftsstatus ermögliche es ihnen indes, diese Gespräche in Echtzeit zu verfolgen. Beides sei mit einem gewissen Prestige verbunden, deshalb wollten so viele Länder solche Beziehungen zum BRICS-Club formalisieren.
Die Türkei betrachte sich selbst als aufstrebende Macht. Sie sei daher der Ansicht, so Korybko, dass sie das Recht habe, zumindest die Diskussionen über die finanzielle Multipolarität zu beobachten. Russland, das den diesjährigen Gipfel ausrichtete, stimme dem zu.
Präsident Erdogan sei daher zur Teilnahme an dem Treffen eingeladen worden, fährt Korybko fort. Der Türkei komme aufgrund ihrer transkontinentalen Lage und ihres wirtschaftlichen Einflusses im eurasischen Kernland eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung der finanziellen Multipolaritätsprozesse zu. In welcher Form und in welchem Maße dies mit den BRICS-Staaten koordiniert werde, bleibe abzuwarten.
Auch Indien schätze die Rolle der Türkei im globalen Systemwandel, so der Journalist. Das gelte trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern über den ungelösten Kaschmirkonflikt. Indiens große Strategie ziele darauf ab, sich sorgfältig zwischen konkurrierenden Macht- und Einflusszentren auszurichten, um aus jedem den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Das Land ergreife nur in Fragen, die seine Interessen (insbesondere die nationale Sicherheit) direkt betreffen, entschieden Partei, da es diesen Balanceakt auf Dauer aufrechterhalten wolle.
Das Ersuchen der Türkei, ihre Beziehungen zu den BRICS-Staaten zu formalisieren, wird gemäß Korybko nicht als etwas angesehen, das Indiens Interessen direkt betrifft. Daher sei es immer zweifelhaft gewesen, dass Indien sein Veto einlegte. Es habe nie einen Grund gegeben, den Bericht der Bild überhaupt ernst zu nehmen.
Indien respektiere außerdem auch Russland als Staat, und Modi und Putin seien eng befreundet, so Korybko. Es wäre also ein Skandal gewesen, wenn Delhi Ankaras Pläne durchkreuzt hätte, nachdem Putin Erdogan eingeladen hatte, sich für das Beitrittsvorhaben einzusetzen.
Es gebe keine glaubwürdigen Hinweise darauf, dass Russland und Indien während des Gipfels in der vergangenen Woche irgendeine Art von Meinungsverschiedenheit über die BRICS-Erweiterung gehabt hätten, fasst der Journalist zusammen. Der Bericht der Bild sei also eine echte Fake News. Warum sie veröffentlicht wurde, könnten nur die Redakteure des Blattes erklären, wenn sie der Öffentlichkeit gegenüber ehrlich wären.