Medienberichten zufolge hat die Ukraine am Sonntag mit Hilfe von nach Russland eingeschleusten Drohnen russische Flugplätze der strategischen Luftflotte angegriffen. Das bestätigte auch das russische Verteidigungsministerium, wie unter anderem das russische Onlineportal RT DE meldete. Demnach wurden durch den Angriff mehrere strategische Langstrecken-Bomber der Typen Tu-95 und Tu-22 beschädigt beziehungsweise zerstört.
Laut den Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurden Flugplätze in der Region Murmansk im Norden des Landes, in den Regionen Iwanowo und Rjasan in Zentralrussland sowie in den Regionen Irkutsk in Sibirien und Amur im Fernen Osten attackiert. Bei allen Angriffen seien Kamikaze-Drohnen beziehungsweise PFV-Drohnen eingesetzt worden, wobei einige von Gebieten in unmittelbarer Nähe der Flugplätze aus gestartet worden seien.
Kiew behauptet laut der ukrainischen Nachrichtenagentur UNIAN, bei der Operation «Pautina» (deutsch: Spinnennetz) seien 41 russische Bomber zerstört worden. Die Operation sei vom Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj persönlich geleitet und von ukrainischen Geheimdiensten anderthalb Jahre lang vorbereitet worden.
Den vorliegenden Informationen zufolge gelang der Ukraine damit ein überraschender Schlag gegen das russische Nuklearschutzschild, rund 4300 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Die angegriffenen Flugplätze und Flugzeuge sind Teil der strategischen sogenannten nuklearen Triade Russlands aus Raketen, atomar bewaffneten U-Booten und Bombern. Neben der Frage, wie das möglich war, wird gegenwärtig von Beobachtern diskutiert, wie Moskau auf diesen Angriff reagieren wird.
Deutsche Medien bezeichnen den Angriff als Antwort auf zunehmende russische Raketen- und Drohnen-Angriffe auf Ziele in der Ukraine. Dagegen spricht, dass den Berichten zufolge die Attacke auf die Flugplätze von Kiew langfristig vorbereitet worden ist.
Selenskyj erklärte, dass bei der Operation der ukrainischen Sicherheitsdienste (SBU) 117 Drohnen eingesetzt worden seien, die 34 Prozent der russischen strategischen Bomber, die Raketen und Marschflugkörper tragen, getroffen hätten. Quellen des SBU sagten gegenüber dem britischen Sender BBC, dass «die Organisation dieser Angriffe anderthalb Jahre gedauert habe». Die Angriffe hatten vier Luftwaffenstützpunkte zum Ziel, darunter Olenia in der russischen Arktis, fast 1900 Kilometer von der Ukraine entfernt, und Belaja in Ostsibirien, etwa 4500 Kilometer von Kiew entfernt.
«Monatelang hat der SBU kleine FPV-Drohnen auf russisches Gebiet gebracht, die dann in Holzkisten versteckt und auf einfachen Lastwagen installiert wurden», berichtet unter anderem die französische Zeitung Le Soir. «Diese unauffälligen Fahrzeuge näherten sich strategischen Flugplätzen», und am Sonntag, «am helllichten Tag, öffnete sich das ferngesteuerte Dach der Anhänger» und habe die Drohnen freigegeben.
Inzwischen heißt es in Meldungen auf Telegram-Kanälen, dass maximal etwa zehn der russischen Langstreckenbomber beschädigt beziehungsweise zerstört worden seien. Dabei wird auch auf inzwischen aufgetauchte westliche Satellitenbilder von den angegriffenen russischen Flugplätzen hingewiesen.
Der russische Telegram-Kanal Rybar meldete am Sonntagabend, das russische Verteidigungsministerium habe den Verlust von Technik in Olenjaja und Belaja eingeräumt. Es habe aber keine Verluste unter dem Personal und der Zivilbevölkerung gegeben. Kritisch wurde in dem Kanal festgestellt:
«Der Schlag war jedoch sehr empfindlich, und gegenteilige Behauptungen sind Selbstbetrug an der Grenze zur Sabotage. Lediglich die Verluste hätten noch größer sein können, wenn nicht mehrere Lastwagen unterwegs explodiert wären.»
Die Verluste an Flugzeugen seien nicht wieder gutzumachen, hieß es, und zugleich wurde geschrieben, «man muss denen ‹dankbar sein›, die sich nicht um den Schutz der Flugplätze durch Luftabwehrmittel, den Bau von Schutzanlagen und andere notwendige Maßnahmen der Geheimdienste gekümmert haben». Ein anderer Kommentator wies auf Telegram darauf hin, dass die Bomber so offen auf den Flugplätzen platziert waren, weil das im New-START-Abkommen über Atomwaffenbegrenzung von 2010 zwischen den USA und Russland zur besseren Kontrolle der vereinbarten Obergrenzen so vereinbart gewesen sei.
In einer Analyse von 2024 des inzwischen von beiden Seiten ausgesetzten Abkommens hieß es unter anderem:
«Mit sogenannten ‹nationalen technischen Mitteln› wie zum Beispiel Spionagesatelliten sollte jede Seite kontrollieren können, ob die Gegenseite sich zuverlässig oder einigermaßen zuverlässig an diese beiden Obergrenzen hält.»
Demnach dürfte die Ukraine eine Regelung ausgenutzt haben, die eigentlich helfen sollte, einen Atomkrieg zu verhindern.
Zahlreiche Analytiker und Beobachter schreiben inzwischen davon, dass die ukrainischen Geheimdienste die Operation nicht ohne westliche Hilfe hätten planen und durchführen können. Bekanntermaßen stellen die westlichen Verbündeten Kiews diesem Satellitenbilder und Daten für die Zielerfassung zur Verfügung.
Kurz nach dem Bekanntwerden wurde auf den Plattformen spekuliert, in welcher Weise Russland reagieren müsste und werde. So forderte unter anderem der russische Politologe Alexej Pilko:
«Ihr wolltet einen Atomkrieg? Hier habt ihr ihn. Nach einem Angriff auf Flugplätze, auf denen Teile der russischen nuklearen Triade – strategische Bomber – stationiert sind, müssen alle Verhandlungen mit der Ukraine endgültig abgebrochen werden. Ein Angriff auf die nukleare Triade ist (gemäß der russischen Nukleardoktrin) ein legitimer Vorwand für einen Atomschlag gegen Ziele in der Ukraine. Es ist unklar, ob es dazu kommen wird, aber Russland muss hart reagieren.»
Thomas Röper teilte auf seinem Telegram-Kanal einen Kommentar eines anderen, in dem es heißt:
«Das heute war das Pearl Harbor für Putin. Schlägt er nicht adäquat zurück, gilt er als schwach und animiert den Feind zum Weitermachen. Schlägt er hart zurück, sind die Istanbul-Gespräche zu Ende und Trump wechselt die Seite. Beunruhigend vor allem, dass Trump vorab über die Operation informiert worden sein soll (was das Weiße Haus allerdings dementiert). Die Zeichen stehen auf Eskalation, die Russland-Hasser sind im Rausch.»
Medienberichten zufolge erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin noch am Sonntag:
«Heute hat die Ukraine die Flugplätze angegriffen, auf denen die strategische russische Luftfahrt untergebracht ist. Damit hat sie deutlich gemacht, dass eine friedliche Lösung nicht möglich ist.»
Demnach soll es aus Sicht von Putin nun «keine roten Linien mehr geben». «Das werden sie bereuen», habe der Präsident erklärt.
Ein ehemaliger ukrainischer Offizier erklärte gegenüber der britischen Zeitung Financial Times, dass «die Schäden zwar wahrscheinlich keinen direkten Einfluss auf die Position Russlands auf dem Schlachtfeld haben werden, aber dennoch erheblich sind», insbesondere in Bezug auf das Image. «Das schmälert die strategischen Fähigkeiten Russlands, also seine Fähigkeit, seine Macht weltweit zu projizieren.» Der ukrainische Angriff untergrabe das «geopolitische Vertrauen» Moskaus, so der ehemalige Offizier.
Eine interessante erste Analyse, die sich von den ersten zahlreichen hysterischen Reaktionen unterscheidet, wurde am Sonntag auf dem Telegram-Kanal World Pravda veröffentlicht. Darin wurde gewarnt, dass die ukrainische Seite im Informationskrieg auch in diesem Fall versucht, «ihre Wunschvorstellungen als Realität darzustellen».
So habe nach allen vorliegenden Informationen auch aus der Ukraine der Angriff nicht einmal zehn Prozent der strategischen Bomberflotte Russlands getroffen. Damit seien die Fähigkeiten Russlands, die ukrainischen Truppen und ihre Einrichtungen mit Marschflugkörpern und Raketen von Langstreckbombern aus anzugreifen, nicht entscheidend beeinträchtigt.
«Russland benötigt nur sechs einsatzbereite Tu-95-Flugzeuge, um Angriffe mit der gleichen Intensität wie zuvor durchzuführen. Und davon gibt es noch viele mehr.»
Wahrscheinlich wird Russland nicht «massiv» antworten, erst recht nicht mit Atomwaffen, wie es manche befürchten und manche mit Verweis auf die russische Nukleardoktrin fordern. Die Antwort auf den ukrainischen Drohnenangriff wird «konkret» und verhältnismäßig, aber klar ausfallen, möglicherweise auch überraschend – Russland hat die Serienproduktion der «Oreschnik»-Rakete aufgenommen.
Moskau wird sich weiterhin nicht auf die von Kiew und seinen westlichen Herren gewollte massive Eskalation einlassen, sondern asymmetrisch antworten. Unterdessen haben den Berichten zufolge die russisch-ukrainischen Gespräche in Istanbul trotz der Angriffe auf die Bomber und der gleichzeitigen, mutmaßlich ukrainischen Terroranschläge auf russische Brücken und Züge mit Toten und Verletzten begonnen.
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