Wer sich in der Schweiz (und wohl auch anderswo) um eine wichtige Stelle bewirbt, muss einen Betreibungsregisterauszug und einen Strafregisterauszug vorweisen. Das ist ein Standardverfahren und nicht weiter aufwändig.
Ist jemand für ein Vergehen verurteilt worden und hat er seine Strafe abgesessen, dann hat er, so die gängige Meinung, eine zweite Chance verdient. Das ist grundsätzlich richtig, es gibt aber Einschränkungen. Wer zum Beispiel Kinder sexuell belästigt hat, kommt in der Regel in ein Register und darf nie mehr mit Kindern arbeiten. Und wer vorbestraft ist, hat Mühe, Kaderjobs zu ergattern, wo er ein blankes Vorstrafenregister benötigt.
Das ist alles gängige Praxis und akzeptiert. Nicht so bei den Olympischen Spielen. Obwohl er vorbestraft war, hat das Nationale Olympische Komitee der Niederlande den Beachvolleyballer Steven van de Velde für die Spiele in Paris nominiert.
Van de Velde war vor acht Jahren in England wegen Vergewaltigung einer 12-Jährigen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Zum Tatzeitpunkt war er 19 Jahre alt.
Insgesamt saß er aber nur etwas mehr als ein Jahr ab. Danach sprach er in einem TV-Interview vom «größten Fehler meines Lebens». Er könne das Geschehen nicht rückgängig machen und müsse dafür die Konsequenzen tragen. Welche Konsequenzen?
Vor den diesjährigen Olympischen Spielen hatte eine Petition gefordert, den Sportler auszuschließen. Auch das IOC (Internationale Olympische Komitee) ist nach Angaben von Sprecher Mark Adam nicht «glücklich und zufrieden» mit der Situation. Allerdings habe van de Velde das Recht auf Rehabilitation. Aber wo bleibt hier die Vorbildfunktion des Spitzesportlers?
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat das Nationale Olympische Komitee in dem Fall nicht übersteuert wie es das im Fall der beiden Boxerinnen mit dem Welt-Boxverband getan hat, die in Tat und Wahrheit biologische Männer sind. Die Tatsache, dass das IOC nicht für den tadellosen Ruf und für die Vorbildfunktion der Sportlerinnen und Sportler sorgt, ist ein weiterer Tiefpunkt in der an Skandalen reichen Geschichte der modernen Olympischen Spiele.
Jemand, der vorbestraft ist und seine Strafe abgesessen hat, hat eine zweite Chance verdient. Aber gleichzeitig muss er sich gewisse Einschränkungen gefallen lassen, indem er für Jobs oder Tätigkeiten, die eines blanken Vorstrafenregisters bedürfen oder eine Vorbildfunktion darstellen, nicht in Frage kommt.
Das nationale Komitee der Niederlande hat wohl die Tatsache, dass eventuell eine Medaille winkt, höher gewichtet als die fehlende Vorbildfunktion des (äußerst milde) vorbestraften van de Velde. Gerade Sport ist für die Jugend wichtig und es würde selbstverständlich erscheinen, dass wer ein Kind vergewaltigt hat, für Olympische Spiele nicht mehr in Frage kommt.
Aber es geht auch anders. Der bisherige Höhepunkt der Spiele in Paris ist wohl der Goldmedaillengewinn des serbischen Tennisspielers Novak Đoković. Ihm wurde nichts geschenkt. Er verbrachte während den NATO-Bombardements viel Zeit im Luftschutzkeller, wuchs bei seinem Großvater auf, während die Eltern arbeiteten und während der Coronazeit wurde «Novax» Đoković übelst beschimpft, diskriminiert und wegen einer fehlenden «Impfung» zwei Jahre lang am Reisen gehindert und zu Turnieren nicht zugelassen (siehe hier).
Dabei ist der Serbe gar kein prinzipieller Impfgegner – er vertrat aber öffentlich die Meinung, dass es ein Wahlrecht geben müsse. Und dass ein Nein keine Folgen haben dürfe. Hat sich sein Widerstand gelohnt? Unbedingt. Heute ist der 37-jährige Đoković in der Form seines Lebens und ganz oben.
«Bevor ich Sportler bin, bin ich orthodoxer Christ», wurde er zitiert.
Oft trägt er auch während seiner Spiele ein Holzkreuz aus dem Kloster Hilandar als Zeichen seines Glaubens. Hilandar ist das serbische Kloster auf dem Heiligen Berg Athos im Norden Griechenlands aus dem Jahr 1191.
Geheiratet hat er nicht ein Model oder eine berühmte Popsängerin – sondern seine Schulfreundin.
Es lohnt sich, auf Youtube anzusehen, wie Đoković auf seinen Sieg reagiert. Zuerst umarmt er seinen Gegner, dann dankt er dem Richter und dann geht er auf die Knie und bekreuzigt sich. Danach begibt er sich sofort auf die Tribüne und umarmt zuallererst seine Familie. Im nachfolgenden Interview zollt er dann zuerst seinem Gegner Tribut.
Es versteht sich fast von selbst, dass der Serbe die Nationalhymne seines Landes bei der Siegerehrung aus voller Kehle mitsang – magische Momente auf dem Tennis Court von Paris!
Novak Đoković zeigte an diesen skandalträchtigen Olympischen Spielen, dass es auch anders geht als das, was zum Beispiel an der Eröffnungszeremonie, beim Boxen oder beim Beachvolley geboten wurde. Novak Đoković: Christ, Familienvater und Sportler (in dieser Reihenfolge). In einem Wort: Vorbild.
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