Professor Pietro Vernazza, bis 2021 Chefarzt der Klinik für Infektiologie am Unispital St. Gallen, fordert schon länger, dass die Corona-Massnahmen evidenzbasiert aufgearbeitet werden (hier und hier). Er ist auch Mitherausgeber des Buches «Der Corona Elefant», das kritische Beiträge zum Thema Covid aus verschiedenen Blickwinkeln enthält - unter anderem betreffend Übersterblichkeit.
Sein neuster Artikel stammt vom 19. Januar. Bisher wurde die Arbeit aber kaum besprochen und rezipiert. Vernazza warf darin einen kritischen Blick auf die Wirksamkeit der Corona-Massnahmen und forderte eine eingehende Analyse vergangener Entscheidungen.
Die Erinnerung an die verschiedenen sozialen Distanzierungsmassnahmen, Desinfektionsvorgaben und Geschäftsschliessungen beschrieb der Infektiologe als prägend für diese Jahre. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der weitreichenden Eingriffe in den Alltag und der Einführung von Covid-Zertifikaten warf er die berechtigte Frage auf, ob diese Massnahmen tatsächlich effektiv waren.
Für seinen Artikel konnte er eine neue retrospektive europäische Studie auswerten, die von Experten aus verschiedenen Ländern durchgeführt wurde. Sie kommt unter dem sperrigen Titel «Influence of Seasonality and Public-Health Interventions on the Covid-19 Pandemic in Northern Europe» daher. Der Inhalt hat es aber in sich:
Die Studie untersuchte den Verlauf der Fallzahlen in einigen europäischen Ländern und analysierte die Auswirkungen von sozialen Distanzierungsmassnahmen, Impfstrategien und der Saisonalität von Coronaviren.
Die Schlussfolgerung der Studie legt nahe, dass die saisonale Natur der Coronaviren die Haupterklärung für die Pandemiewellen ist, während die getroffenen Massnahmen und Impfstrategien keinen eindeutigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankungszahlen hatten.
Vernazza betonte in seiner Auswertung, dass ähnliche Beobachtungen bereits während der Pandemie gemacht wurden. Die beiden benachbarten US-Bundesstaaten North Dakota und South Dakota trafen unterschiedliche Massnahmen. Im einen Staat waren sie sehr einschränkend, der andere tat praktisch nichts, aber der epidemische Verlauf war ähnlich.
Vernazza argumentierte deshalb, dass eine gründliche Analyse der in der Schweiz ergriffenen Massnahmen unerlässlich sei, um aus den Erfahrungen zu lernen und mögliche Fehler zu korrigieren.
Zudem stellte er die von Politik und Medien weitestgehend gemiedene Diskussion über die Wirksamkeit von Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie als bedeutend und notwendig dar und wies darauf hin, dass die vorliegende europäische Studie eine gute Datenbasis dafür bieten würde.
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