Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übernommen.
********
Gaza, 2025. Der Gazastreifen ist in eine humanitäre Katastrophe biblischen Ausmaßes gestürzt. Nach den neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind bei dem Massaker, das Israel seit dem 7. Oktober 2023 angerichtet hat, mehr als 50.000 Palästinenser ums Leben gekommen und etwa 115.000 verletzt worden. 1,9 Millionen Menschen – praktisch die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – sind vertrieben worden, während ganze Teile des Gebiets dem Erdboden gleichgemacht wurden. Städte wie Rafah wurden einfach von der Landkarte getilgt.
Während Bomben und Entbehrungen Opfer fordern, bleibt die internationale Empörung gedämpft, sporadisch, fast betäubt. Wie ist das möglich? Welche kommunikativen und kognitiven Mechanismen erlauben es der Welt, dieser Tragödie meist teilnahmslos zuzusehen?
Kognitive Dissonanz ist das psychologische Unbehagen, das auftritt, wenn Überzeugungen und Realität nicht übereinstimmen. Im Falle Palästinas befinden sich diejenigen, die einerseits an die universellen Menschenrechte glauben, andererseits aber die wahllosen Militäraktionen Israels unterstützen oder rechtfertigen, in einer inneren Spannung. Um diese zu verringern, können sie unbewusst mentale Strategien anwenden: zum Beispiel sich einreden, dass «die Hamas ja Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt, also sind diese Toten nicht unsere Schuld», oder dass «es ein Krieg gegen den Terror ist, Zivilisten sind unvermeidliche Opfer». Der Schwerpunkt verlagert sich vom menschlichen Leid auf den narrativen Rahmen, der es rechtfertigt.
Auch die gruppenbezogene Empathie spielt eine Rolle. Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Menschen mehr Empathie für diejenigen empfinden, die sie als ähnlich oder zu ihrer eigenen Gruppe gehörig wahrnehmen, während die Empathie gegenüber den «Anderen» abnimmt, insbesondere wenn Ängste und Vorurteile im Spiel sind. In ethnisch-nationalen Konflikten betonen die Medien und die Propaganda die Unterschiede und schüren die Angst vor dem «Anderen» (der womöglich als Fanatiker, Barbar oder Terrorist dargestellt wird), was dazu führt, dass unsere Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, biologisch reduziert wird.
Am deutlichsten wird dies im Fall des israelischen Angriffs auf Palästina. In den westlichen Medien wird das Leiden dieses Volkes durch Rahmen gefiltert, die reduzieren oder ausblenden: Man spricht von «Konflikt», «Militäroperation», «Verteidigungsreaktion». Worte wie «Massaker», «Besatzung» und «ethnische Säuberung» werden selten verwendet. Der Wortschatz betäubt das Grauen. Israelische Opfer werden als «brutal getötet» bezeichnet; Palästinenser «sterben» einfach. Die Verantwortung verschwindet hinter dem passiven Verb: «sie wurden tot aufgefunden».
Hinter der Gleichgültigkeit eines Teils der internationalen Gemeinschaft gegenüber der palästinensischen Tragödie stehen mächtige psychologische Mechanismen. Die Philosophin Judith Butler fragt provokant: «Wer wird als Mensch betrachtet? Welche Leben zählen als Leben? Was macht ein Leben würdig, betrauert zu werden?» In ihrem Essay «Frames of War» argumentiert Butler, dass es in unseren kognitiven und kulturellen Apparaten einen Rahmen gibt, der entscheidet, welche Leben «betrauerungswürdig» sind und welche nicht. Wenn ein Leben nicht in den Rahmen dessen passt, was unsere Gesellschaft als betrauerungswürdig erachtet, schockiert oder empört uns sein Verlust nicht auf dieselbe Weise. Um die Diskrepanz zwischen unseren erklärten menschlichen Werten und unserer faktischen Gleichgültigkeit gegenüber bestimmten Opfern aufzulösen, neigen wir dazu, die Wahrnehmung anzupassen – das Leiden anderer herunterzuspielen und das Unvertretbare als «notwendig» zu rechtfertigen.
Wie Carl von Clausewitz brillant vorausgesehen hat, ist das Kommunikationsphänomen zum wahren Gravitationszentrum des Krieges geworden: Es lenkt die Wahrnehmung, verändert sie und passt sie an die Bedürfnisse derjenigen an, die über die Informationsmacht verfügen. Dies wird auch vom Politikwissenschaftler Bernard Cohen bestätigt: «Wenn eine Regierung die Kontrolle über die Medienerzählung verliert, kann sie die Macht verlieren, militärische Gewalt anzuwenden».
Mediales Framing: «Würdige» Opfer oder unsichtbare Opfer
In seinem Buch «The Press and Foreign Policy» (1963) formulierte Cohen eine Maxime, die auch heute noch aufschlussreich ist: Die Medien «sind vielleicht nicht immer in der Lage, den Menschen zu sagen, was sie denken sollen, aber sie sind erstaunlich geschickt darin, den Menschen zu sagen, worüber sie nachdenken sollen».
Diese Agenda-Setting-Funktion wird in Konflikten entscheidend. Schon Edward Said prangerte an, dass den Palästinensern lange Zeit sogar die «Erlaubnis zum Erzählen» verweigert wurde, das heißt die Erlaubnis, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die vorherrschende Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts in den westlichen Mainstream-Medien ist häufig von einem unausgewogenen Rahmen geprägt: Über Angriffe auf israelische Zivilisten wird sofort, ausführlich und persönlich berichtet; das palästinensische Leid – obwohl zahlreich und kollektiv – wird dagegen eher vage und unpersönlich dargestellt und manchmal mit der aseptischen Lexik der «Vergeltungsmaßnahmen» oder «Kollateralschäden» begründet.
Mit den fortschrittlichsten Techniken im Bereich der Massenüberzeugung wählt die Kommunikation aus, was sie ins Bild nehmen und was sie zeigen will. Der Politikwissenschaftler Robert Entman erklärt: «Framing bedeutet, bestimmte Aspekte der wahrgenommenen Realität auszuwählen und sie im kommunikativen Text stärker hervorzuheben». So können die Medien entscheiden, ob sie die Trümmer eines zerbombten Krankenhauses in Gaza oder eher die Bilder des Terrors in einem israelischen Kibbuz zeigen; ob sie Worte wie «Massaker» oder «Sicherheitsoperation» verwenden und damit implizit festlegen, wer beispielsweise Mitgefühl verdient und wer ignoriert werden kann.
Die Neurowissenschaften und die kognitive Psychologie bestätigen, dass Menschen eher bereit sind zu handeln, wenn sie das Leiden einer identifizierbaren Person sehen und verstehen. Dies ist der sogenannte «identifizierbare Opfereffekt». Persönliche Geschichten aktivieren das limbische System, den Sitz der Gefühle. Anonyme Gruppen hingegen erzeugen Distanz, vor allem wenn die Bilder mit dem Etikett «sensibler Inhalt» versehen sind.
In diesem Szenario entscheiden die Medien, was zu sehen ist und was nicht. Diese Dichotomie nährt eine empathische Doppelmoral, die eine moralische Hierarchie unter den Opfern schafft. Auf dieser Grundlage wird die stille Akzeptanz des Völkermords aufgebaut – und legitimiert.
Die Kommunikationstheoretiker Edward Herman und Noam Chomsky analysierten dieses Phänomen bereits in den 1980er Jahren mit dem Konzept der würdigen und unwürdigen Opfer. Nach dem Modell von Herman und Chomsky neigen die Medien in den westlichen Gesellschaften dazu, den Opfern feindlicher Regime oder Ursachen, die für ihre eigene Agenda «nützlich» sind, große Aufmerksamkeit und Menschlichkeit zu verleihen, während sie die Opfer verbündeter oder «befreundeter» Regime herunterspielen. Auf diese Weise monopolisieren würdige Opfer die öffentliche Empathie und werden zu «Menschen wie wir»; «unwürdige Opfer» hingegen bleiben namenlose Nummern.
Kognitive Dissonanz und empathische Verzerrung
Dies hat zwei Folgen. Einerseits wird die westliche Öffentlichkeit ermutigt, sich in die Ängste und den Schmerz der einen Seite einzufühlen (typischerweise «Israelis, die von Terroranschlägen betroffen sind»), wobei ihr Status als unschuldige menschliche Opfer voll anerkannt wird. Die Opfer der anderen Seite (die Palästinenser unter den Bomben, die dezimierten Familien in Gaza) werden dagegen entpersonalisiert. Dieses erzählerische Missverhältnis fördert eine empathische Voreingenommenheit: Kollektive Empathie wird selektiv aktiviert, nicht so sehr durch das objektive Ausmaß des Leidens, sondern durch den medialen und politischen Rahmen, in dem dieses Leiden dargestellt wird. Diejenigen, die «auf der falschen Seite» sterben, laufen Gefahr, nicht einmal in den Kreis unseres Mitgefühls aufgenommen zu werden.
Dieser Mechanismus passt perfekt in das von Noam Chomsky und Edward Herman entwickelte «Manufacturing Consent»-Modell: Informationen durchlaufen Filter, die sie mit den herrschenden Interessen kompatibel machen. Das palästinensische Leiden wird verschleiert, seine Legitimität wird geleugnet, und aus diesem Grund werden alternative Erzählungen diskreditiert oder als «antisemitisch» gebrandmarkt.
Ein in Psychological Science zitiertes Experiment ergab, dass es ausreicht, Menschen erschreckenden Bildern (von der anderen Gruppe) auszusetzen, um die empathische Reaktion zu unterdrücken, wenn sie Mitglieder dieser Gruppe leiden sehen. Angst und Propaganda sind sehr effektiv: Sie aktivieren die Amygdala und andere Gehirnstrukturen, die mit Alarm und Aggression zu tun haben, und deaktivieren empathische Verbindungen. Mit anderen Worten: Wenn wir mit Nachrichten bombardiert werden, die ein ganzes Volk als bedrohlich, rückständig oder anders darstellen, «fühlen» wir den Schmerz dieses Volkes weniger. Dies führt zu dem, was einige Psychologen den «Tod der Empathie» gegenüber der Außenwelt nennen.
Parallel dazu kann das Übermaß an Gewaltbildern eine doppelte Wirkung haben: die Mobilisierung des Bewusstseins oder, im Gegenteil, die Betäubung der Gefühle. Die Schriftstellerin Susan Sontag hat in «Regarding the Pain of Others» darüber nachgedacht, wie das ständige Betrachten von Gräueltaten in Fotos und Videos dazu dienen kann, «uns gegen Schwäche zu stärken, uns gefühlloser zu machen».
Wenn wir Bilder nur passiv konsumieren, riskieren wir, uns einen emotionalen Panzer zuzulegen, um das Grauen zu überleben, vor allem, wenn wir das Gefühl haben, nichts dagegen tun zu können. Sontag fügte jedoch hinzu, dass es nicht die Menge der Bilder an sich ist, die uns desensibilisiert, sondern die Passivität, mit der wir sie aufnehmen.
Das Mitgefühl ist eine instabile Emotion: ohne Aktion, ohne ethische Reaktion verkümmert es schließlich. So läuft die öffentliche Meinung, die einem ständigen Strom von Gewalt im Nahen Osten ausgesetzt ist, Gefahr, in eine Art Realitätsschock zu verfallen: Entweder sie wendet den Blick ab, um dem Leiden der anderen nicht zu erliegen, oder sie beobachtet es wie durch ein Glas und reagiert nicht mehr. In beiden Fällen ist die Folge tödlich: Das Leid eines Volkes verliert seine Fähigkeit, an das Gewissen zu appellieren, es wird zum Hintergrundrauschen.
Medienkommunikation ist nicht nur ein Vehikel für Nachrichten: Sie ist ein Instrument der Macht. Kognitive Fehler – wie die Voreingenommenheit der Bestätigung, Auslassungen und Symmetrieillusionen – wirken auf einer unbewussten Ebene und bestimmen die Art und Weise, wie wir die Realität wahrnehmen. Kognitive Dissonanz entsteht gerade durch den Konflikt zwischen unseren erklärten Werten, zum Beispiel Gerechtigkeit, Menschenrechte, und der Akzeptanz unmenschlicher Praktiken: Hunger, Töten von Kindern und unschuldigen Opfern, Bombardierung von Schulen.
Wie Susan Sontag schrieb, kann angesichts des Leids der anderen kein «wir» als selbstverständlich angesehen werden. Und wie Edward Saids Vermächtnis uns lehrt, muss unterdrückten Völkern das Recht zurückgegeben werden, ihre Geschichten zu erzählen: Den palästinensischen Stimmen zuzuhören, ihren täglichen Geschichten von Widerstandskraft und Leid, ist der erste Schritt, um ihre Würde wiederherzustellen und unseren eigenen Sinn für Gerechtigkeit neu zu justieren. Angesichts der palästinensischen Tragödie sind wir in zweifacher Hinsicht gefordert: Wir müssen handeln, um das Gemetzel zu beenden, und die Wahrheit über das Geschehen sagen. Auf dem Spiel steht unsere ganze Menschlichkeit.
***
Maylyn López, Venezolanerin, ist Spezialistin für strategische und institutionelle Kommunikation, Journalistin und internationale Mediatorin. Sie ist zertifiziert im neurolinguistischen Programmieren und hat 20 Jahre Erfahrung in Diplomatie und Multilateralismus.
Kommentare