Ist die Kunst frei? Diese Frage stellt sich seit der Corona-Krise immer öfter. Die Leitmedien bejahen sie so vehement, wie sie behaupten, stets objektiv zu berichten. Doch es häufen sich Fälle, in denen kritische Künstler strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie in ihren Werken durchblicken lassen, dass sie auf die vermeintlich «Guten» zielen. Der Vorwurf lautet stets «Volksverhetzung», «üble Nachrede» oder «Verwendung von Zeichen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Organisationen». Wer die Entwicklung verfolgt, entdeckt gewisse Muster – und den Hang zu Doppelstandards.
Quod licet jovi, non licet bovi heißt ein berühmtes lateinisches Sprichwort. Übersetzt: Was Jupiter darf, steht einem Ochsen nicht zu. Der Jupiter, das sind die Politiker etablierter Parteien, das sind die woken Meinungswächter, das sind die Böhmermanns und Neubauers. Sie dürfen alle möglichen geschichtlichen Vergleiche ziehen, sie können beleidigen und diffamieren, sie dürfen noch so verbotene Zeichen verwenden, ohne dass ihnen Strafbefehle ins Haus flattern.
Künstler hingegen, die nicht so stromlinienförmig sind, gelten in der heutigen Zeit als Ochsen. Sie werden drangsaliert und vor Gericht zitiert, dort zerrieben und verurteilt. Von ihrem Schicksal bekommt kaum jemand etwas mit, weil die meisten Leitmedien sich nicht dafür interessieren. Zuletzt hatte es noch CJ Hopkins über den medialen Rubikon geschafft, und auch nur, weil eine Richterin in der Berliner Zeitung lautstark Kritik an der deutschen Justiz geäußert hatte.
Muster der Strafverfolgung
Der Fall Simon Rosenthal wurde nur in der Lokalpresse erwähnt. Der Künstler aus Bamberg erlebte kürzlich tatsächlich einen Freispruch, durfte sich aber nur zwei Tage freuen, bis die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegte und in Berufung ging. Hier liegt eines der vielen Muster vor, die sich auch in Bert Hochmillers Fall finden. Dieser ist bislang völlig unter dem Radar geblieben, obwohl er vom autoritären Geist der Gegenwart noch mehr zeugt als die beiden zuvor genannten.
Anders als CJ Hopkins und Simon Rosenthal ist Hochmiller Karikaturist. Sein Geschäft ist die komisch überspitzte Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen Zuständen. Wie Kabarettisten zielt er von Berufs wegen auf die Obrigkeit, auf Persönlichkeiten und Institutionen im Machtgefüge – mit polemischem und satirischem Gestus. Die Kritik wird bewusst humoristisch überspitzt, damit sie über diesen Umweg im Kopf ankommt und gerade über diese Sublimierung Denkprozesse in Gang setzt.
Hochmiller hat diese Kunstgattung nicht erfunden. Sie gibt es schon seit über 200 Jahren. Die ersten politischen Karikaturisten traten in Großbritannien hervor. William Hogarth, James Gillray oder George Cruishank arbeiteten sich im 18. und 19. Jahrhundert am britischen Königshaus ab, sie versetzten Seitenhiebe und zogen die Obrigkeit durch den Kakao. Diese Art der satirischen Kunst schwappte dann nach Frankreich über und breitete sich schließlich überall aus. Große Namen mussten es sich gefallen lassen, karikiert zu werden: Napoleon, Bismarck, Wilhelm II.
Andere Standards bei Karikaturisten jenseits des Mainstreams
In der Bundesrepublik der Nachkriegszeit hat sich die Zeitschrift Titanic einen Namen gemacht – mit regelmäßig witzigen Darstellungen der Prominenz aus Politik und Gesellschaft. Von Volksverhetzung und Beleidigung war in diesem Zusammenhang nie zu hören. Andere Standards gelten jedoch für Karikaturisten jenseits des Mainstreams, für Künstler, die seit der Corona-Krise zur unzulässigen Opposition zählen und als solche mit Kampfbegriffen wie «Schwurbler», «Putinversteher» oder «Verschwörungstheoretiker» gebrandmarkt werden.
Hochmiller hat sich diese Titel recht früh erworben. Gleich nach Ausbruch der drakonischen Maßnahmenpolitik begann er, Karikaturen zu diesem Thema zu zeichnen. Kurz darauf erstellte er einen eigenen Telegram-Kanal unter dem Namen «Pandemimimi». Das ungewöhnliche Suffix spielt gewitzt auf den larmoyanten Umgang großer Teile der Gesellschaft sowohl mit dem angeblichen Horrorvirus als auch mit den Kritikern der Corona-Politik an. Sein eigener Gerichtsfall liefert dafür den Beleg.
Seit Beginn seiner satirischen Auseinandersetzung hat Hochmiller Hunderte Karikaturen, Memes und Kurzcomics angefertigt und darin nicht nur die Verhältnisse während der Corona-Krise, sondern später auch tagesaktuelle Themen verarbeitet. Als Protagonisten tauchen dort Karl Lauterbach und Angela Merkel auf, Bill Gates und George Soros, die gesamte Führungsriege der Grünen und der «Star»-Virologe Christian Drosten – kurzum, Persönlichkeiten in hohen Positionen, die in verschiedenen Institutionen den Ton angeben und sich somit seit jeher als Protagonisten für Karikaturen anbieten.
Vorladung wegen zweier Karikaturen
Doch dieses Wissen scheint verloren gegangen zu sein. Heute laufen solche bildlichen Darstellungen nicht unter Kunst, sondern «Volksverhetzung» – zumindest in Fällen unliebsamer Dissidenten. Hochmiller jedenfalls erhielt im November 2022 von der Polizei eine Vorladung als Beschuldigter. Das Schreiben enthielt eine stattliche Liste von Vergehen: neben Volksverhetzung auch üble Nachrede, Verleumdung, Beleidigung und natürlich die Verwendung von Zeichen verfassungsfeindlicher und terroristischer Organisationen.
Ein Dorn im Auge der Ermittler waren vor allem zwei Bilder, an denen sich ihre Doppelstandards besonders gut demonstrieren lassen. Auf einer Karikatur sind mehrere Politiker der Ampel-Koalition im Stil eines RAF-Steckbriefs dargestellt. In Anspielung auf die Zwangspolitik während der Corona-Krise trägt sie den Titel «Dringend gesuchte Impfterroristen».
Diese Bezeichnung wurde Hochmiller zum Verhängnis, obwohl er im Prinzip nichts anderes getan hatte als der Mainstream-Satiriker Jan Böhmermann. In seiner ZDF-Sendung präsentierte dieser ebenfalls einen RAF-Steckbrief von Politikern, mit dem Unterschied, dass nur die FDP-Riege zu sehen war.
Wo kein Kläger, dort kein Richter
In der stilistischen Darstellung unterscheidet sich Böhmermanns Satire von derjenigen Hochmillers, das Grundprinzip ist jedoch gleich. Aber wo kein Kläger, da keine Richter. Dieser fehlt auch häufig, wenn Mainstreamperiodika Politiker mit einem kleinen quadratischen Schnauzbart abbilden, der auf Hitler anspielt.
Diesen heftete beispielsweise Titanic der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel an, und die Bildzeitung dem AfD-Politiker Björn Höcke. Doch diese Darstellungen bringen die Ermittler nicht so in Rage wie die Karikaturen Hochmillers, der in einem seiner Bilder das unschöne Schnauzbärtchen Karl Lauterbauch aufklebte.
Am Ende wurde der Karikaturist aus Berlin zu 60 Tagessätzen verurteilt. Doch der Weg bis dorthin war so schauderhaft wie die Vorwürfe selbst. Aufmerksam geworden auf Hochmiller war die Polizei in Bayern, wo jemand dessen Bilder in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgehängt hatte. Nach kurzer Recherche fand man den Urheber und übergab den Fall an die Berliner Behörde. Dort scheint es mittlerweile eine eigens für unliebsame Künstler eingerichtete Abteilung zu geben, wie Hochmiller vermutet.
Als er der Vorladung vom November 2022 folgte, wurde ihm ein ganzer Ordner mit seinen eigenen Arbeiten vorgelegt. Und ginge es nach den Ermittlern, wären viel mehr Karikaturen zum Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung geworden. Doch am Ende scheiterte der überschäumende Verfolgungseifer am schlichten Common Sense. Nicht nur das: Selbst jene zwei Bilder enthielten nicht genug Material für eine Verurteilung. So sah es jedenfalls der Richter.
Zermürben und Zersetzen
Doch die Staatsanwaltschaft, und hier zeigen sich Parallelen zu Simon Rosenthals Fall, legte Berufung ein. Zermürben und Zersetzen, so die Taktik. Und die hat Erfolg. In der zweiten Instanz entschied der Richter dann gegen Hochmiller, allerdings nur im Falle des «Lauterbach»-Bildes – und einer ganz anderen Karikatur.
Hochmiller staunte nicht schlecht, als diese im Verfahren plötzlich einbezogen wurde. Sie verweist auf zahlreiche Aussagen des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der in der Hochphase der Corona-Krise ständig davon sprach, dass die Impfung Freiheit verschaffe. Dass die Ermittler dieses Bild Hochmillers eigenwillig interpretiert haben, bedarf keiner Erklärung. Nach dem gleichen Schema ging man im Fall von Simon Rosenthal vor.
Hochmiller hat seine unschöne Erfahrung mit der Justiz in seinem Telegram-Kanal ausführlich erläutert und betont, dass diese dritte Karikatur als Warnung gemeint war. «Aber anscheinend haben die Ermittler nicht gelernt, wie man Comics liest», sagt er in dem Video. Sie haben es sicherlich gelernt, aber dieses Wissen orientiert sich mittlerweile an der politischen Gesinnung. Für die Kunstfreiheit ist das kein gutes Zeichen. Denn die wirkte sich in Hochmillers Rechtsstreit überhaupt nicht zu seinen Gunsten aus, obwohl die Richter beider Instanzen seine Werke als «Kunst» anerkannten.
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