In Moldawien, einem der ärmsten Länder Europas, spitzt sich die politische Lage vor den Parlamentswahlen im September dramatisch zu. Die proeuropäische Regierung unter Präsidentin Maia Sandu wird beschuldigt, gezielt auf eine Manipulation des Wahlprozesses hinzuarbeiten, um ihre schwindende Macht zu sichern. Dabei greifen die Verantwortlichen offenbar auf eine breite Palette repressiver Maßnahmen zurück – von der Ausschaltung der Opposition über Einschränkungen der Autonomierechte einzelner Regionen bis hin zur gezielten Bevorzugung regierungstreuer Wählerschichten im Ausland.
Seit Sandus Amtsantritt 2021 ist das Land zunehmend in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Der abrupte Bruch mit Russland – einem früheren wirtschaftlichen Hauptpartner – führte zu explodierenden Energiepreisen, einer massiven Inflation von über 30 Prozent und drastischen Erhöhungen der Lebenshaltungskosten. Der gesellschaftliche Frust entlud sich in landesweiten Protesten, auf die die Regierung mit Notstandsgesetzen und dem Vorwurf, Russland stecke hinter den Unruhen, reagierte.
Die Wahlen im Herbst 2023 lieferten bereits einen Vorgeschmack auf das, was zu erwarten steht: Damals ließ die Regierung kurz vor den Kommunalwahlen über 8.600 oppositionelle Kandidaten von den Wahllisten streichen. Die Regierung verlor die Wahl zwar dennoch, aber die Maßnahme für sich genommen mutet alles andere als demokratisch an. Bei der Präsidentschaftswahl 2024 wurde ebenfalls mit ungleichen Mitteln gearbeitet: Während für rund 400.000 Moldawier im westlichen Ausland über 230 Wahllokale geöffnet wurden, mussten etwa genauso viele Moldawier in Russland mit nur zwei Wahllokalen auskommen – beide in Moskau.
Derlei Methoden will die Regierung nun offenbar erneut anwenden. Moldawien ist verarmt. Ein Drittel der Moldawier leben im Ausland. Moldawien ist auch das «Land ohne Eltern», wo viele Kinder in der Heimat alleine leben, wobei ihnen die Eltern aus dem Ausland Geld schicken. Ungefähr die Hälfte der Moldawier im Ausland lebt und arbeitet im Westen, die andere Hälfte in Russland. Wer sie gewinnt, gewinnt die Wahl.
Für die kommende Parlamentswahl plant die Zentrale Wahlkommission 293 Wahllokale im Ausland – davon fast ein Drittel allein in Italien. In Russland bleiben es erneut nur zwei. Sandus Appell an die Exilmoldawier in Europa, sich für die Wahl zu registrieren und den EU-Kurs zu unterstützen, spricht eine deutliche Sprache.
Das Bündnis «Sieg», ein Zusammenschluss mehrerer Oppositionsparteien, wurde kürzlich von der Wahl ausgeschlossen. Schon seit März sieht sich die Opposition massiven Repressionen ausgesetzt:
Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Ausreiseverbote und sogar Sanktionen ohne Gerichtsurteil – all das kennzeichnet das Vorgehen der Regierung gegen ihre Kritiker. Das Rechtssystem ist faktisch außer Kraft gesetzt, da Sanktionen per Regierungsdekret verhängt werden – ohne Beweise oder rechtsstaatliches Verfahren.
Besonders hart trifft es die autonome Region Gagausien, wo die Kritik an der Sandu-Regierung am lautesten ist. Die dortige Regierungschefin Ewgenia Gutsul wurde unter dubiosen Vorwürfen verhaftet – Beweise gibt es bislang keine. Auch religiöse Autoritäten werden ins Visier genommen: Der örtliche Bischof durfte zu Ostern nicht nach Jerusalem reisen. Im April beschloss das moldawische Verfassungsgericht auf Betreiben der Regierung, Gagausien das Recht zur Ernennung seines eigenen Generalstaatsanwalts zu entziehen – ein deutlicher Schritt zur Schwächung der regionalen Autonomie, der die Spannungen weiter anheizt.
Trotz der massiven Repressionen wird die moldawische Regierung von der EU großzügig unterstützt. Ein Hilfspaket von insgesamt 1,9 Milliarden Euro soll das Land finanziell stabilisieren – eine Summe, die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl enorme Wirkung entfalten kann. Dabei ist dieses Geld größtenteils kreditbasiert, was Moldawien in starke Abhängigkeit vom Westen bringt.
Zugleich wird mit zweierlei Maß gemessen: Während die Regierung der Opposition vorwirft, ausländische Gelder zu erhalten, ist die offene Finanzierung prowestlicher Kräfte durch EU-Länder wie Frankreich oder die Niederlande offiziell erlaubt. Die Vorsitzende der Wahlkommission, Angelica Karaman, erklärte sogar, Einmischung aus der EU sei keine ausländische Einmischung, sondern Demokratieförderung.
Ein deutlicher Hinweis auf die wachsende Kluft zwischen Regierung und Volk war das Referendum zum EU-Beitrittskurs, das im letzten Jahr parallel zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl stattfand. 54 Prozent der Wähler lehnten den Beitritt ab – eine Ohrfeige für Sandus europäische Agenda.
Ende Juli berief Präsidentin Sandu den Sicherheitsrat ein und warf Russland vor, gezielt Einfluss auf die Parlamentswahl nehmen zu wollen – mit Hilfe angeblicher «bezahlter Proteste» und «Desinformationskampagnen». Dabei wurden erneut Oppositionelle, unabhängige Kandidaten, Geistliche und Journalisten pauschal beschuldigt. Sandu kündigte offen Maßnahmen zur Bekämpfung sogenannter «Informationsmanipulation» an – was Beobachter als Vorwand für verschärfte Zensur interpretieren.
Die kommenden Wahlen in Moldawien werfen einen dunklen Schatten auf die demokratische Entwicklung des Landes. Unter dem Deckmantel von Reformen und EU-Integration scheint die Regierung gezielt auf Machterhalt durch Ausschluss, Manipulation und Repression zu setzen. Ob die Bevölkerung sich davon einschüchtern lässt – oder durch massiven Widerstand überrascht –, wird sich im September zeigen.