Éva Péli: Alice Weidel reiste am 12. Februar – nur wenige Tage vor der Bundestagswahl – nach Budapest, um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu treffen. Was war der konkrete Anlass für dieses Treffen? Könnte es als reine Wahlkampfunterstützung für die AfD interpretiert werden?
Gábor Stier: Dass die ungarische Regierungspartei, der rechtskonservative Fidesz, die bewusst errichtete Brandmauer zwischen ihm und der AfD durchbrochen hat, ist vor allem auf die Wirkung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump zurückzuführen. Nachdem sich Elon Musk öffentlich für die deutsche Partei ausgesprochen hatte, dachte Viktor Orbán, er könne es sich leisten, dasselbe zu tun. Ganz zu schweigen davon, dass die Distanzierung trotz der Nähe der Ansichten auf die Bitte, ja Forderung der CDU zurückzuführen war, um die ungarischen Interessen zu schützen. Aber die deutschen Christdemokraten haben bereits kürzlich zusammen mit der AfD gestimmt. Dies könnte ein Anhaltspunkt sein. Außerdem haben sich die ungarisch-deutschen Beziehungen in letzter Zeit so sehr abgekühlt, dass Orbán zu Recht davon ausging, dass ein solches Treffen die Lage auch nicht mehr verschlechtern würde. Zu dieser Annäherung wäre es also nicht gekommen, wenn das Eis um Weidel nicht bereits gebrochen gewesen wäre.
Als die «Brandmauer» gefallen war, machte Orbán wie üblich großen Umstand um dieses Treffen und versuchte, das Beste aus der Situation zu machen, sogar mehr. Dazu gehörte, dass die ungarische Regierung den Besuch Weidels in Budapest in den Medien als Erneuerung der ungarisch-deutschen Beziehungen kommunizierte. So ist es kein Zufall, dass Roger Köppel, Chefredakteur der Schweizer Zeitung Die Weltwoche, der den ungarischen Ministerpräsidenten seit einiger Zeit in den westlichen Medien «kuratiert», Alice Weidel in Budapest in Anwesenheit von Orbán interviewte. Dies zeigt auch, dass die aufstrebenden «Souveränisten» viel von der Kommunikation des westlichen Mainstreams gelernt haben und sich dessen Instrumente zu eigen machen.
Der Zeitpunkt des Treffens deutet unter diesen Umständen eindeutig darauf hin, dass Orbán diese Einladung nutzte, um die AfD im Wahlkampf zu unterstützen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für Orbán war jedoch die Stärkung der europäischen Einheit des sogenannten souveränistischen Lagers. Auch wenn es nicht erwähnt wurde, ob die AfD zur Parteienfamilie der Patrioten für Europa beitreten würde, demonstrierte das Treffen die Einheit und Stärkung des Lagers, das sich gegen den europäischen Mainstream stellt. Dies steht im Einklang mit den persönlichen europäischen Ambitionen des ungarischen Premierministers, aber auch mit denen von Trump und seiner Mannschaft in Europa.
Was war das Wesentliche an diesem Treffen und welche Bedeutung hatte es? Welche waren die wichtigsten Punkte, die besprochen wurden?
Wie ich schon sagte, ging es vor allem darum, diese besagte «Brandmauer» zu durchbrechen, das Eis um die AfD zu schmelzen und die Macht der Souveränisten zu demonstrieren. Dies wird auch durch die im Rahmen des Treffens gemachten Aussagen unterstrichen, dass das ganze «Brüsseler UFO» demontiert, die Europäische Union reformiert werden muss, dass all die Bürokraten rausgeschmissen und die Kompetenzen wieder in die Hände der Nationalstaaten gelegt werden müssen. Orbán bezeichnete Weidel als «Deutschlands Zukunft», die ihrerseits von Ungarn als Vorbild sprach und vom ungarischen Weg, dem man folgen müsse.
Auf der Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen erläuterte Orbán die Umstände des Besuchs und reagierte damit auf den Aufschrei des europäischen Mainstreams. Er sagte, es sei die AfD-Politikerin gewesen, die ihn angerufen und um ein Treffen gebeten habe, aber er würde Olaf Scholz ebenso begrüßen, wenn er dasselbe tun würde. «Aber das ist nicht zu befürchten», fügte er ironisch hinzu. Es habe in letzter Zeit eine Wende gegeben, die zeige, dass das politische Lager der AfD erheblich gewachsen sei, und dass eine Partei dieser Größe in der Dimension der internationalen Beziehungen nicht benachteiligt werden dürfe. Er sah daher den Moment gekommen, die Kanzlerkandidatin der AfD einzuladen. Auf die Frage, warum er Weidel unmittelbar vor den Wahlen empfangen habe, antwortete Orbán: «Die Gratulierenden stehen noch keine Schlange, es ist ‹cool›, die AfD jetzt zu empfangen.»
Unter Hinweis auf die Migrations- und Energiepolitik sagte der ungarische Ministerpräsident, dass all das, wofür die AfD stehe, gut für Ungarn sei. Die beiden Politiker sprachen auch über ihre ernsten Probleme mit dem Inhalt und der Form der EU-Politik. Sie sahen die Wirtschaftspolitik in Brüssel als zum Scheitern verurteilt an. Konkret sagten sie, der «Green Deal» sei tot, er könne nicht reformiert werden. Der grüne Ansatz sei wichtig, aber der «Green Deal» ruiniere Europa. Deswegen zahlen wir viel höhere Strom- und Gaspreise als unsere US-Konkurrenten, wie Orbán betonte. Er warnte auch, dass das «dicke Ende» der verfehlten Politik erst jetzt kommen werde. Weidel sagte unter anderem, dass Deutschland schwach geworden sei, mit schwacher Führung, schwacher Wirtschaftspolitik und einer gescheiterten grünen Politik. «Angela Merkel hat unser Land ruiniert», sagte die AfD-Kanzlerkandidatin und fügte hinzu, dass nicht nur Deutschland unter der gescheiterten Migrationspolitik leide, sondern auch andere Länder, darunter Ungarn, in eine schwierige Lage geraten seien.
EU kein Partner mehr für die USA
Natürlich durfte die internationale Lage, die durch die stürmische Rückkehr Trumps an die Macht in Aufruhr geraten ist, und insbesondere das Verhältnis zwischen Europa und den USA nicht außer Acht gelassen werden. Die Europäische Union sei kein ausreichend starker Verhandlungspartner für die Vereinigten Staaten, hieß es. In Bezug auf Trump sagte Orbán, dass «der amerikanische Stiefel endlich von der ungarischen Brust weg ist», was bedeutet, dass der Druck auf Ungarn nur aus Brüssel kommt. Er fügte hinzu, dass der US-Präsident die Denkweise der Welt ändern werde, darunter zu den Themen Krieg, Migration, Familien und Christentum. Zu den von Trump verhängten Zöllen sagte der ungarische Ministerpräsident, dass man mit den Vereinigten Staaten verhandeln müsse, dass aber die EU-Institutionen dazu nicht in der Lage seien, so dass zwei Länder im Namen Europas verhandeln müssten, nämlich die Franzosen und die Deutschen. Weidel wies unter anderem darauf hin, dass das, was in Brüssel geschehe, Planwirtschaft, also «Kommunismus» sei.
Die AfD-Kanzlerkandidatin sprach auch ausführlich über die Notwendigkeit, Deutschland wieder zu führen, da die Regierung stets Politik gegen das Volk gemacht habe. Deutschland muss wieder geführt werden, mit guten Beziehungen zu seinen Nachbarn, und die Marktwirtschaft und der freie Wettbewerb müssen wiederhergestellt werden. Auf eine Frage hin sagte sie, sie wolle Vorurteilen entgegentreten, die sie und die AfD als «rechtsextrem» abstempeln. Weidel wies auf das Grundgesetz hin, wonach alle Parteien gleich behandelt werden sollten, was in Deutschland jedoch nicht der Fall sei. Sie fügte hinzu, dass die AfD die zweitstärkste Kraft in Deutschland sei. Wenn Brüssel die AfD daran hindere, eine Regierungskoalition zu bilden, wäre für Friedrich Merz (CDU) nur eine schwarz-grüne Koalition möglich. Das werde seine Wähler enttäuschen, die sich dann der AfD zuwenden würden.
Wie wird in Ungarn die Alternative für Deutschland (AfD) gesehen? Was ist über diese Partei bekannt?
Wie bei jedem anderen Thema ist Ungarn auch in dieser Frage gespalten. Orbáns Opposition ist auf einer Linie mit dem europäischen Mainstream, der die AfD als rechtsextreme Partei darstellt, während die konservative Seite dazu neigt, sie als rechte, radikale Anti-Establishment-Partei zu bezeichnen und ihre Position zur Migration hervorzuheben.
Auf der Gegendemonstration der Opposition während der Verhandlungen, die nur für Journalisten von Interesse war, waren Schilder mit der Aufschrift «Wir kennen euch, wir wissen, was ihr tut», «Populisten sind die Faschisten der Demokratie» und «Rettet Europa, stoppt die Nazis» zu sehen. In Ungarn ist die AfD also nicht unbekannt, sie wird natürlich in der eigenen Erzählung jeder Seite vorgestellt, die im Wesentlichen auf der Innenpolitik basiert.
Die AfD widerspricht in einer Reihe von Politikfeldern dem Regierungskurs, so in der Außenpolitik, in der Frage der Zuwanderung, auch in der Corona- und Gesundheitspolitik. Gleichzeitig tritt sie ebenso wie die Regierungsparteien für Aufrüstung und mehr Geld für Waffen – als einzige Partei will sie fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Militär, fast die Hälfte des bisherigen Bundeshaushaltes –, eine neoliberale Wirtschaftspolitik sowie Sozialabbau ein. In ihrem Wahlprogramm will sie vor allem die Reichen weiter «entlasten». Wie werden diese Widersprüche gesehen?
Das Programm der AfD ist in der Tat widersprüchlich und in vielerlei Hinsicht inkonsequent, aber wir dürfen zum Beispiel nicht vergessen, dass in anderen Ländern elitäre Politik den Populismus nicht ausschließt. Die AfD ist von Grund auf systemfeindlich, voll von wilden Trieben, die abgeschnitten werden müssen. Das scheint man auch innerhalb der Partei zu sehen, und ein Zeichen dafür ist, dass die oft wirklich rechtsextremen, neonazistischen Äußerungen innerhalb der politischen Kraft zurückgegangen sind. Ich glaube, dass die Partei, um regierungsfähig zu sein, ihr charakteristisches Auftreten nicht verlieren darf, aber es muss in vielerlei Hinsicht bereinigt werden. So würde beispielsweise eine neoliberale Wirtschaftspolitik die Bildung einer Koalition ermöglichen, aber das widerspricht dem Willen der Wähler der Partei.
Welche Verbindung zwischen AfD und Fidesz gibt es?
Wie ich bereits erwähnt habe, hat der Fidesz in Anlehnung an die CDU (oder sich der CDU beugend) die AfD lange Zeit nicht einmal erwähnt, aber die Welt hat sich sehr verändert und die beiden Parteien können sich annähern.
In der Außenpolitik tritt die AfD für ein anderes Verhältnis zu Russland ein. Während aber innerhalb der Partei einige zur Kooperation mit Moskau zurückkehren wollen, gibt es starke Kräfte, die mit geschichtlichen Argumenten Russland als Feind sehen. Welche Rolle spielte dieses Thema bei Weidel und Orbán?
Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, suchten die beiden Politiker nach Gemeinsamkeiten. Dazu gehörte neben der Migrationsthematik auch die Frage nach der Haltung zum Krieg in der Ukraine und zu Russland. Es ist jedoch auch klar, dass dieses Thema, das die Gemüter spaltet, nicht im Mittelpunkt ihrer Kommunikation stand. Allein schon die Tatsache, dass das Treffen zustande kam, bot eine ziemlich große Angriffsfläche.
Die AfD will die nationalen Interessen Deutschlands wieder mehr beachtet sehen. Ähnlich wie für die Fidesz und Orbán geht es der Partei um mehr Souveränität. Zugleich gibt es Beobachtern zufolge eine starke Annäherung in Richtung USA, wovon auch der enge Kontakt zu Elon Musk kündet. Wie wird das in Ungarn gesehen?
Das ist eine sehr interessante Frage, denn ich stimme mit der Aussage überein, dass es aus US-amerikanischer Sicht nichts Neues unter der Sonne gibt. Trump und seine Mannschaft versuchen nur, eine neue Klientel und neue Abhängigkeiten zu schaffen, um die globalistische, neoliberale europäische Mainstream-Elite zu ersetzen, sie in Schach zu halten und gleichzeitig den Einfluss der USA zu bewahren. Europa wird dadurch jedoch auch nicht souverän, sondern nur anders in ideologischer Hinsicht, im Denken. Im Gegenzug für bestimmte Zugeständnisse und Privilegien würden Viktor Orbán, Herbert Kickl, Marine Le Pen, Alice Weidel, Robert Fico oder, falls der Rumäne Călin Georgescu gewinnt, einerseits benutzt und andererseits in einen Loyalitätswettbewerb gezwungen werden.
Das Gleiche gilt für die souveränistischen Parteifamilien des Europäischen Parlaments. In der Zwischenzeit, während man an einem Durchbruch der Alternativen arbeitet, besteht eine gute Chance, dass der eigentliche Deal mit den Mainstream-Eliten in den großen Ländern geschlossen wird, wobei die Souveränisten sie eher nur unter Druck halten.
Die Lage ist also bei weitem nicht so rosig, wie sie von den Medien der europäischen Trump-Anhänger dargestellt wird, denn in den USA vollzieht sich ein Paradigmenwechsel vom ideologischen zum geopolitischen Denken. Dieser geschieht teilweise als Reaktion auf die Realitäten. Wenn er gelingt, wird er Auswirkungen – vergleichbar mit der sowjetischen Perestroika der 1980er Jahre – auf die gesamte westliche Welt haben. Aber vergessen wir nicht, dass dieser Paradigmenwechsel auch imperial begründet ist. Das Ziel Trumps für die westliche Welt ist es, alle auf Linie zu bringen, oder, wenn das nicht gelingt, sie unter Druck zu halten, aber auf eine andere Art und Weise als bisher.
Gábor Stier im August 2023 (Foto: Tilo Gräser)
Gábor Stier (1961) ist Journalist in Ungarn für Außenpolitik, Analytiker und Publizist. Er ist Gründungschefredakteur von #moszkvater, einem Portal über die slawische Welt und den postsowjetischen Raum. Zuvor war er 28 Jahre lang bei der konservativen ungarischen Tageszeitung Magyar Nemzet (Deutsch: Ungarische Nation) tätig, für die er auch als Moskau-Korrespondent gearbeitet hat. Er schreibt regelmäßig für außenpolitische Fachzeitschriften und ist Autor von «The Putin Mystery» (2000).
Das Interview wurde auf Ungarisch geführt und von Éva Péli übersetzt.
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Éva Péli ist mehrsprachige Journalistin und Übersetzerin ungarischer Herkunft mit Schwerpunkt auf Mittel- und Osteuropa. Sie lebt seit 2010 in Berlin. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin, die in Moskau und in mehreren europäischen Ländern gelebt hat, übersetzt und schreibt für verschiedene Online- und Print-Medien über politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Ungarn, Russland und dem postsowjetischen Raum. Als Sprachmittlerin zwischen Ost und West setzt sie sich für gegenseitige Verständigung und Austausch ein. Sie betreibt den Blog «Europa-Brücke»