Während die Europäische Union weiterhin versucht, ein geschlossenes Auftreten gegenüber der Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump zu wahren, schlägt Deutschland einen eigenen Weg ein – und sorgt damit für erhebliches Unbehagen in Brüssel.
Am Dienstag traf der deutsche Finanzminister Lars Klingbeil in Washington seinen US-amerikanischen Amtskollegen Scott Bessent. Es ist Klingbeils erster offizieller Besuch in den Vereinigten Staaten – doch von Höflichkeitsfloskeln kann in diesem Kontext kaum die Rede sein. Auf der Tagesordnung standen zentrale wirtschaftspolitische Fragen: die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft, multilaterale Kooperation und – besonders heikel – die US-Zölle auf europäische Waren.
Offiziell spricht das Bundesfinanzministerium von einem «Austausch zur Vertiefung der transatlantischen Zusammenarbeit». Doch hinter den Kulissen geht es vor allem um eines: bessere Bedingungen für die deutsche Exportwirtschaft. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bringt es auf den Punkt: «Klingbeil wirbt in Washington für Deutschlands Exporte.»
Die deutsche Regierung wählt damit bewusst den bilateralen Weg – und das in einem Moment, in dem die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen und Handelskommissar Maroš Šefčovič mühsam versucht, eine einheitliche Linie gegenüber der US-Administration zu wahren. Besonders brisant: Erst vor wenigen Wochen wurde bei einem Treffen in Schottland eine vorläufige Vereinbarung zwischen Trump und von der Leyen geschlossen, die unter anderem 15 Prozent Zölle, 600 Milliarden Euro an europäischen Investitionen in den USA sowie weitere 750 Milliarden Euro für den Einkauf von US-Gas und -Öl vorsieht. Doch hinter vorgehaltener Hand herrscht in Brüssel große Skepsis – sowohl gegenüber den Inhalten als auch hinsichtlich der Umsetzbarkeit dieser Vereinbarungen.
Der Alleingang Berlins lässt in anderen EU-Hauptstädten die Alarmglocken schrillen. Noch hat kein anderes Mitgliedsland offiziell eigene Gespräche mit Washington aufgenommen – bislang liefen alle Verhandlungen zentral über Brüssel. Doch Deutschlands Schritt könnte einen Dominoeffekt auslösen. «Wenn die wirtschaftliche Lokomotive Europas alleine fährt, erreichen wir bald einen Wendepunkt», warnt ein hochrangiger EU-Diplomat.
Das erste sichtbare Ergebnis dieses Vorgehens: die Schwächung der ohnehin fragilen Verhandlungsposition der EU-Kommission. Das zweite: ein gefährliches Signal der Desintegration. «Jeder für sich» – das ist der Subtext, den der Alleingang Deutschlands sendet.
Beobachter sehen in der deutschen Einzelaktion nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen geopolitischen Vorgang. Trump, so sagen viele in Brüssel, wolle genau das: die EU spalten, um mit einzelnen Staaten individuell besser verhandeln zu können. Denn was die Mitgliedstaaten in bilateralen Deals gewinnen könnten, geht auf Kosten des kollektiven europäischen Gewichts.
Und tatsächlich: Die von Trump angestrebte Zolllogik bevorzugt Nationen, die sich schnell auf neue Bedingungen einlassen – und bestraft diejenigen, die an multilateralen Prinzipien festhalten. Für Länder, die sich bislang eng mit der früheren US-Regierung abgestimmt haben, ist Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ein politischer Schock.
Das eigentliche Problem: Die von der EU mit Trump vereinbarten Verpflichtungen sind in ihrer jetzigen Form schlicht nicht umsetzbar. Die Summe der vorgesehenen Investitionen und Importe übersteigt die finanziellen und politischen Möglichkeiten der Union. Die Folge: Immer mehr Mitgliedsstaaten könnten dazu übergehen, eigene Deals auszuhandeln – angepasst an ihre individuellen wirtschaftlichen Interessen.
Dies aber wäre das faktische Ende der gemeinsamen EU-Handelspolitik – und möglicherweise der Beginn eines grundsätzlichen Zerfallsprozesses der Union. Was wie ein nüchterner Wirtschaftskonflikt erscheint, ist in Wahrheit ein geopolitischer Testfall: Kann die EU als Einheit gegenüber einer unberechenbaren Supermacht bestehen? Oder verliert sie sich im Klein-Klein nationaler Einzelinteressen?