Im April 2021 traf der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar eine kontroverse Entscheidung: Auf Antrag einer Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern hob er die Maskenpflicht sowie andere Corona-Schutzmaßnahmen an zwei Schulen auf. In seinem Urteil, das 192 Seiten umfasste und auf mehreren Gutachten basierte, argumentierte er, dass das Tragen von Masken Kinder physisch und psychisch schädige, ohne dass ein ausreichender Nutzen erkennbar sei. Diese Entscheidung sorgte für erhebliches Aufsehen, da sie im direkten Widerspruch zu den damals geltenden staatlichen Schutzvorgaben stand.
Das Oberlandesgericht Jena hob Dettmars Beschluss schnell wieder auf und stellte klar, dass ein Familienrichter nicht befugt sei, über staatliche Corona-Maßnahmen zu urteilen – dies sei Sache der Verwaltungsgerichte. Im Juli 2023 wurde Dettmar schließlich vom Landgericht Erfurt wegen Rechtsbeugung verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, das Verfahren selbst konstruiert und von Anfang an auf ein bestimmtes Ergebnis hingearbeitet zu haben. Besonders schwer wog der Vorwurf, dass Dettmar gezielt nach Eltern gesucht habe, deren Fall er verhandeln konnte, und dass er bereits vor der offiziellen Einreichung des Falls Maßnahmen angekündigt habe. Zudem wählte er Sachverständige aus, die sich bereits zuvor öffentlich gegen die Maskenpflicht ausgesprochen hatten.
Für Dettmar steht nun viel auf dem Spiel. Sollte das Urteil gegen ihn bestehen bleiben, wird er sein Richteramt verlieren. Seit Januar 2023 ist er bereits suspendiert. Dettmars Verteidigung, vertreten durch den prominenten Strafverteidiger Gerhard Strate, argumentierte vor dem Bundesgerichtshof, dass Dettmar möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen sei, jedoch nie bewusst gegen Recht und Gesetz handeln wollte, wie die Medien dieser Tage meldeten. Laut Strate sei es nicht unüblich, dass Familienrichter im Sinne des Kinderschutzes auch gegen Dritte Anordnungen erlassen – die Unzuständigkeit für Maßnahmen gegen Behörden sei erst kürzlich endgültig geklärt worden.
Überraschend stellte sich auch die Bundesanwaltschaft auf die Seite der Verteidigung und beantragte, das Urteil aufzuheben und den Fall neu zu verhandeln. Staatsanwalt Tobias Handschell kritisierte, dass das Landgericht Erfurt nicht ausreichend geprüft habe, ob Dettmar subjektiv das Gefühl hatte, zuständig zu sein. Diese Frage sei entscheidend, um zu klären, ob eine Rechtsbeugung tatsächlich vorliegt.
Der BGH zeigte sich in der Verhandlung jedoch skeptisch. Richter Olaf Schmidt hinterfragte die Grenzen der richterlichen Befugnisse: Darf ein Familienrichter wirklich so weit gehen, dass er Maßnahmen wie eine Maskenpflicht aufhebt, wenn er dies im Sinne des Kindeswohls für notwendig hält? Und wo verläuft die Grenze, bei der richterliche Entscheidungen zur strafbaren Rechtsbeugung werden? Schmidt stellte ein hypothetisches Szenario auf und fragte, ob ein Familienrichter auch die Abschiebung eines Drogenhändlers verhindern dürfe, wenn dieser als guter Vater agiere. Von Seiten der Verteidigung kam ein klares Nein, doch die genaue Grenzziehung blieb unklar.
Dettmar selbst verteidigte sich in seinem Schlusswort: Er habe niemals versucht, jemanden unrechtmäßig zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Ob seine Argumentation ausreicht, um das Urteil zu kippen, wird sich erst am 20. November zeigen, wenn der BGH seine Entscheidung verkündet.
Dieser Fall ist mehr als nur eine juristische Streitfrage. Er verdeutlicht die Herausforderung, die Covid-«Pandemie» in den rechtlichen Rahmen zu fassen, und zeigt, wie tiefgreifend die entsprechenden Maßnahmen das Justizwesen beeinflussen. Der Fall Dettmar wirft grundlegende Fragen auf: Wie weit dürfen Richter in Krisenzeiten gehen, und wann überschreiten sie die Grenzen ihrer Befugnisse?
KRiStA, das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V., kommentiert hier ausführlich, wie die Verhandlung ablief und warum der Generalbundesanwalt die Aufhebung des Urteils des Landgerichts Erfurt beantragte.