Im Jahr 2008 geriet die Schweizer Großbank UBS in Schieflage. Sie hatte sich mit Immobilienschuldverschreibungen verspekuliert und war praktisch insolvent. Auch wenn die meisten Fehler im Ausland passiert waren: es war der Schweizer Staat, der die Bank vor dem Untergang rettete und das weltweite Finanzsystem vor einem möglichen Kollaps bewahrte. Bern tat dies auf derart geschickte Art, dass am Schluss der Schweizer Steuerzahler nicht nur nichts bezahlte, sondern noch gut dazuverdiente.
Die Tonlage war damals: das darf niemals mehr geschehen. Und doch ist es wieder passiert. Am Freitag stellte die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ihren Bericht zum Untergang der Großbank Credit Suisse (CS) vor (wir haben hier darüber berichtet, weitere Links im Beitrag). Eine PUK ist das schärfste Instrument im Instrumentenkasten des Schweizer Parlaments. PUKs werden äußerst selten einberufen.
Der PUK-Bericht hat eine sehr gute Note verdient. Auf klare und verständliche Art beschreibt er gnadenlos, wie die Finma über Jahre hinweg nicht in der Lage war, die Eskapaden der CS-Chefs zu stoppen. Statt frühzeitig und entschieden einzugreifen, gewährte die Behörde der zweitgrößten Bank des Landes immer wieder Ausnahmeregelungen – mit fatalen Konsequenzen.
Eine Schlüsselrolle spielte der sogenannte «regulatorische Filter», eine Spezialregelung, die es der CS erlaubte, ihre tatsächliche Kapitaldecke weit zu überziehen. Laut dem Bericht hätten die wahren Kernkapitalquoten der CS in den kritischen Jahren teils unter fünf Prozent gelegen, weit entfernt von den vorgegebenen Standards. Diese Regelung, eingeführt unter der Aufsicht der Finma, wird als zentraler Faktor für den Kollaps der Bank bezeichnet. Die PUK holte dazu extra ein Gutachten des profilierten emeritierten Zürcher Bankenprofessors Urs Birchler ein.
Finma-Präsidentin Marlene Amstad weist die Verantwortung von sich und verweist auf ihre Vorgänger sowie externe Faktoren. Doch die Kritik lässt nicht nach. Bereits gestern forderte eine Vertreterin des Bank-Personalverbands öffentlich ihren Rücktritt. Tausende CS-Mitarbeiter bangen um ihre berufliche Zukunft, während Amstad weiterhin im Amt bleibt – ein Zustand, den viele als untragbar empfinden.
Die Untersuchung zeigt zudem, dass die Finma als Aufseherin zwar immer wieder Schwächen im Geschäftsmodell der CS anmahnte, jedoch entsprechende Konsequenzen nie durchsetzte. Stattdessen wurden Bonuszahlungen und Dividenden in Milliardenhöhe zugelassen, selbst als die Bank bereits tief in der Verlustzone operierte. Allein in den letzten zehn Jahren vor dem Zusammenbruch schüttete die CS 31.7 Milliarden Franken Boni aus – bei einem kumulierten Verlust von 32,3 Milliarden Franken.
Der ehemalige Bankenprofessor und früheres Mitglied der Generaldirektion der CS, Hans Geiger, verglich das mit einem Raser, der innerorts von der Polizei mit 70 km/h gestoppt wurde und sich mit der Polizei dann auf eine Busse für 55 km/h einigte. Die Polizei weiß: lässt sie sich auf solche Deals ein, dann spricht sich dies herum und dann wird dauernd zu schnell gefahren. So wie es die CS-Oberen über Jahre taten.
Während in der Schweiz Chaos herrschte, übernahmen internationale Akteure das Kommando. Die entscheidenden Impulse zur Rettung – oder vielmehr zum Notverkauf der CS an die UBS – kamen von der US-Finanzministerin Janet Yellen und britischen Regulierern. In Bern wurde unter größtem Druck agiert, oft ohne klaren Plan B. Der Bericht beschreibt, wie die Regierung in der entscheidenden Phase sogar auf verschlüsselte Chat-Dienste auswich, um Lecks zu vermeiden.
Im Zentrum des Skandals steht auch die Rolle der UBS, die die CS letztlich zu einem Spottpreis übernahm. Besonders brisant: Laut dem PUK-Bericht brachte die UBS als erste die Abschreibung der sogenannten AT1-Anleihen ins Spiel – eine Entscheidung, die Investoren weltweit 17 Milliarden Dollar kostete und der UBS einen Sondergewinn von gigantischem Ausmaß bescherte.
Diese sogenannte AT1-Abschreibung wurde später von der Finma gutgeheißen, doch die Untersuchungskommission zeigt, dass die Initiative eindeutig von der UBS ausging. Der Deal war für die UBS so lukrativ, dass sie am Ende sogar auf staatliche Garantien verzichten konnte – ein Manöver, das den Schweizer Steuerzahler entlastete, jedoch weltweit für Empörung sorgte.
Es könnte aber sein, dass sich der Schweizer Steuerzahler zu früh gefreut hat. Die Frage, ob die Abschreibung der AT-1 Wandelanleihen rechtens war, ist noch nicht abschließend geklärt. Dass sie handstreichartig erfolgte, ist aber kaum mehr strittig.
Der Fall Credit Suisse zeigt, wie verwundbar die Schweiz – ein kleines Land mit einer der weltweit größten Banken – als Finanzstandort ist, wenn ihre Regulierungsbehörden versagen. Der Bericht der PUK mahnt zu tiefgreifenden Reformen, um das Vertrauen in die Bankenaufsicht und die Stabilität des Finanzsystems wiederherzustellen.
Für Marlene Amstad könnte diese Diskussion das Ende ihrer Amtszeit bedeuten. Der Druck, der durch den Bericht auf sie ausgeübt wird, ist immens – und der Ruf nach einem Neuanfang wird lauter.
Die Schweiz steht vor der Aufgabe, aus diesem beispiellosen Debakel die richtigen Lehren zu ziehen. Denn eines ist klar: Ein weiteres Fiasko wie jenes der Credit Suisse darf es nicht geben. Das hat auch die Finanzministerin, Bundesrätin Karin Keller-Suter, im Samstaginterview von Radio SRF deutlich gemacht.
Im gleichen Interview hat sie ein Regime nach dem Vorbild des britischen «Senior Managers and Certification Regime» vorgeschlagen, das Bankmanager bis zu einem gewissen Grad für Verluste haftbar macht.
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