Wir akzeptieren das Urteil, auch wenn wir verloren haben.
Romina Loliva Schaffhauser SP-Co-Präsidentin
Liebe Leserinnen und Leser
Das Bundesgericht, die höchste richterliche Instanz in der Schweiz, hat diese Woche die Wahl des Schaffhauser Ständerates Simon Stocker gekippt. Ich habe hier darüber berichtet.
In der Schweiz gibt es in vielen Wahlgesetzen Wohnsitzbestimmungen. Es wird in der Regel vorgeschrieben, dass Kandidaten für ein öffentliches Amt dort wohnen, wo sie kandidieren. Stocker wurde in Schaffhausen gewählt, wohnt aber als Wochenaufenthalter in Zürich. Das widerspricht dem Gesetz.
Die Medien wäffelten gestern praktisch einhellig über das Verdikt in Lausanne, weil es angeblich die modernen Lebensrealitäten nicht mehr widerspiegelt. Gesetz ist Gesetz, auch wenn es veraltet ist, so urteilten die Richter.
Was auffällt ist, dass sich niemand die Mühe genommen hat zu fragen, warum es diese Bestimmungen gibt. Und da wird es spannend.
In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung in dieser Sache, aber in den meisten Fällen kann ein Kandidat auch außerhalb des Wahlgebiets wohnen, solange er die allgemeinen wahlrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. In Frankreich konnte mit Gabriel Attal mit einem Federstrich einer der Young Global Leaders des World Economic Forums (WEF) zum Premierminister ernannt werden, obwohl seine bisherige Karriere ihn dafür kaum qualifiziert hätte.
Die Schweiz hingegen ist nicht eine rein repräsentative und indirekte Demokratie, bei der Köpfe beliebig hin und her geschoben werden können.
Schweizer Politiker mögen nicht die Mutigsten sein und sie werden auch ständigem Lobbying ausgesetzt, dem sie oft erliegen. Aber es gibt drei Regeln, die bisher so gut es geht verhindert haben, dass Marionetten von außen in eine wichtige Position gesetzt werden.
Das eine sind diese Wohnsitzvorschriften, die jetzt Stocker ein Bein gestellt haben. Die Idee dahinter ist, dass die Parteien Menschen vor Ort wählen müssen, die dann auch den entsprechenden Ort vertreten.
Es gibt auch eine innerparteiliche Demokratie, bei der Parteiversammlungen und nicht die Parteileitungen Kandidaten für Wahlen nominieren. In der Schweiz kann eine Parteileitung nicht oder nur sehr beschränkt beeinflussen, wen eine lokale Parteisektion aufstellt. Dieses Muster gilt nicht nur bei Lokalwahlen und kantonalen Wahlen. Es gilt auch bei der Nationalratswahl, wo kantonale Sektionen die Wahllisten zusammenstellen. Und diese entscheiden sich nicht für den lokal nicht bekannten Außenseiter, den die Parteileitung in Bern vielleicht gerne gehabt hätte.
Das dritte sind die Regeln bei den Wahlen. Majorzwahlen, wie sei bei kleineren Gremien und in kleineren Kantonen vorkommen, sind Persönlichkeitswahlen. Sieger wird sein, wer lokal, bei den Wählern einen guten Namen hat. Bei Proporzwahlen sind die Gesetze so ausgestaltet, dass zuerst die Sitze auf die Parteien aufgeteilt werden («Listenstimmen») und dann innerhalb der den Parteien zugeteilten Sitze gemäß ihren individuellen Stimmen («Kandidatenstimmen») diese Sitze auf die Kandidaten verteilt werden.
Es gibt also eigentlich keine sicheren Sitze. Selbst wenn man einer Partei die Stimme gibt, kann man Präferenzen innerhalb der Kandidaten ausdrücken. Theoretisch spielt es keine Rolle, wo auf der Liste ein Kandidat steht. Es kommt so regelmäßig zur Abwahl von Politikern, die von den Parteileitungen gefördert werden.
Auch in die Regierungen wird jede Person einzeln gewählt, in den Kantonen vom Volk, beim Bund vom Parlament. Die Politkarrieren einiger Schweizer Young Global Leaders sind wohl deshalb schon vorbei oder ins Stocken geraten.
Diese drei Regeln werden in der Schweiz als derart selbstverständlich angenommen, dass über deren immense Vorteile gar nicht geredet und nachgedacht wird. Natürlich hassen die Parteileitungen diese Vorschriften. Das hat man am gestrigen Gekeife auf der Pressekonferenz der betroffenen Sozialdemokraten gesehen.
Die Medien hätten die Chance gehabt, in die Tiefe zu gehen und zu zeigen, warum Wohnsitzvorschriften gut sind. An ihrer Stelle habe ich es getan.
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Daniel Funk
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