Der Totalitarismus ist mehr als ein politisches System. Er ist – so argumentieren zahlreiche Kritiker – eine Geisteshaltung mit religiösen Zügen. Diese Geisteshaltung hat sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Erscheinungsformen gegeben.
Nach Faschismus und Kommunismus scheint der moderne Totalitarismus nun unter dem Deckmantel der Wokeness zu agieren. Ihr liegt ein tiefgreifendes, kulturell verankertes Glaubenssystem zugrunde, das die westliche Gesellschaft zunehmend formt. Die libertäre Webseite Freiheitsfunken publizierte kürzlich zu diesem Thema einen sehr anregenden Bericht. Die Argumentation geht etwa so:
Der Ursprung dieser Entwicklung lässt sich unter anderem auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurückführen. In den 1930er Jahren erkannte Gramsci, dass der katholische Glaube in Italien eine zentrale kulturelle Bastion war, die den Vormarsch des Kommunismus blockierte.
Seine Lösung: Der Kampf um die «kulturelle Hegemonie» müsse gewonnen werden, bevor politische Machtübernahme überhaupt möglich sei. Die Überzeugungen der Menschen müssten sich ändern, ihr Weltbild müsse «umerzogen» werden – nicht durch Gewalt, sondern durch ideologischen Einfluss auf Institutionen.
Diese Strategie griff die «Frankfurter Schule» auf und entwickelte sie weiter. Ihre «kritische Theorie» zielte darauf, bestehende gesellschaftliche Strukturen grundsätzlich infrage zu stellen – insbesondere die traditionellen Werte von Religion, Familie und Geschlecht. Über Jahrzehnte hinweg fand diese Theorie Eingang in Universitäten, Medien und Bildungseinrichtungen. Der sogenannte «Marsch durch die Institutionen» war nicht nur erfolgreich, sondern hat langfristig die kulturelle Deutungshoheit verändert.
Doch jede Ideologie, die Bestand haben will, benötigt ein festes Fundament – vergleichbar mit dem einer Religion. Der amerikanische Theologe Gary DeMar hat fünf Elemente identifiziert, die jede Ideologie strukturieren: Souveränität (wer herrscht?), Autorität (wem schulde ich Gehorsam?), Regeln (was ist erlaubt?), Sanktionen (was geschieht bei Regelbruch?) und Vererbung (wie wird das System weitergegeben?).
Diese Fragen werden heute, so der Vorwurf mancher Kritiker, zunehmend nicht mehr mit «Gott», «Vernunft» oder «Demokratie» beantwortet, sondern mit einem neuen Souverän: der «Natur».
Natur ist nicht länger nur ein schützenswertes Gut, sondern avanciert zum höchsten moralischen Maßstab – eine quasi-göttliche Instanz. Daraus resultieren Forderungen wie radikaler Umweltschutz, Abtreibung als «Selbstbestimmung», Sterbehilfe als «Würde», oder Einschränkungen individueller Freiheit im Namen des Klimas. In dieser Logik steht das Wohl der «Natur» über dem des Menschen. Der Mensch wird zur Bedrohung – und muss reguliert, eingehegt, reduziert werden.
Die Parallelen zu totalitären Systemen der Vergangenheit sind dabei nicht zufällig. Auch frühere Ideologien boten eine übergeordnete Ordnung an, die individuelle Freiheit dem kollektiven Wohl opferte. Die neue Form des Totalitarismus – «Wokeismus», wie sie teils genannt wird – ersetzt die traditionelle Religion durch einen moralischen Absolutismus, der von einer intellektuellen Elite getragen wird und zunehmend Kontrolle über Bildung, Sprache und Gesellschaft beansprucht.
Die Legitimation für diese Kontrolle lieferte unter anderem der «Erdgipfel» von Rio 1992, organisiert vom kanadischen Unternehmer und UN-Funktionär Maurice Strong. In seiner Vision ging es nicht mehr um nationale Souveränität, sondern um die «transzendierende Souveränität der Natur».
Strobe Talbott, US-Vizeaußenminister unter Präsident Clinton, schrieb damals sinngemäß: Nur eine Autorität, die über nationale Grenzen hinausgeht, könne die Folgen der industriellen Zivilisation eindämmen. Was wie Umweltpolitik klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Blaupause für globale Steuerung – ohne demokratische Legitimation.
Doch auch dieses System zeigt Risse. Die zunehmende Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung, der Aufstieg populistischer und nationalistischer Parteien in Europa, wachsende Zweifel an der Sinnhaftigkeit politischer Narrative – all das deutet darauf hin, dass der aktuelle ideologische Kurs an Legitimität verliert. Wo einst mit «der Natur» oder «der Wissenschaft» argumentiert wurde, treten nun wieder Fragen nach Wahrheit, Verantwortung und Sinn in den Vordergrund.
Die westliche Zivilisation verdankt ihre Entwicklung in vielen Punkten der christlichen Kulturtradition – vom Ende der Sklaverei über den technischen Fortschritt bis hin zur Menschenwürde. Damit ist das Christentum eine sehr menschenfreundliche Religion. Die meisten Christen weisen nicht auf diesen Punkt hin. Entweder weil sie es nicht wissen oder weil sie selbst in Wirklichkeit woke oder vom Wokeismus eingeschüchtert sind.
Diese Grundlagen drohen im Schatten des neuen Totalitarismus vergessen zu werden. Doch es regt sich Widerstand. Und vielleicht ist genau dieser Widerstand der erste Schritt zurück zu einer Kultur, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellt – ohne ihn über andere Lebewesen zu erheben, aber auch ohne ihn unter eine mythisch überhöhte Natur zu erniedrigen.
Wokeness ist nicht nur ein modisches Schlagwort, sondern Ausdruck einer neuen ideologischen Machtstruktur – einer Religion ohne Transzendenz, aber mit totalitärem Anspruch. Ihre Wurzeln reichen tief in die Ideenwelt des 20. Jahrhunderts zurück, doch ihre Auswirkungen prägen die Gegenwart. Die entscheidende Frage bleibt: Wer hat das letzte Wort – der Mensch, die Natur, der Staat? Oder doch etwas Höheres?
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