Die Leiterin der Europäischen Staatsanwaltschaft, Laura Kövesi, äusserte gegenüber dem griechischen Fernsehsender Star am Mittwoch ihre Besorgnis über die Behinderung bei der Aufklärung des Zugunglücks von Tempi. Dies ereignete sich am 28. Februar vergangenen Jahres und forderted 57 Todesopfer.
«Sie blockieren uns, die Wahrheit herauszufinden», sagte sie. Die rumänische Juristin betonte die Notwendigkeit, die Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern zu hinterfragen und forderte eine Änderung des entsprechenden Artikels der griechischen Verfassung.
Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) betrachtet die griechische verfassungsmässige Eigenart, dass nur das Parlament Massnahmen gegen Minister und ehemalige Minister ergreifen kann, als EU-rechtswidrig und hat die Pattsituation der Europäischen Kommission vorgelegt.
Die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass das Zugunglück vermeidbar gewesen wäre, wenn die entsprechenden Verträge umgesetzt worden wären, und sprach von Hinweisen auf kriminelle Verantwortung im Zusammenhang mit der unsachgemässen Realisierung von Verträgen. Diese Verträge betrafen die Installierung von Signaltechnik auf der Hauptlinie von Athen nach Thessaloniki. Die EU hat dieses Projekt bezahlt, aber die Züge fuhren ohne dieses Zugbeeinflussungssystem. Deshalb konnte es aufgrund einer falsch gestellten Weiche zu einer Frontalkollision kommen.
Eine parlamentarische Untersuchungskommission kam zum Schluss, dass das Zugunglück allein durch menschliches Versagen verursacht wurde und keine politische Verantwortung besteht. Dieser Bericht, verfasst von Abgeordneten der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia, stiess auf Widerspruch seitens der Opposition und wird nun dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Die Opposition fordert insbesondere, dass das Parlament eine Klage gegen den damals verantwortlichen Transportminister Kostas Achilles Karamanlis zulässt. Familienmitglieder der Opfer haben eine zusätzliche Klage wegen Mordes eingereicht, vertreten von der ehemaligen Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou.
Die Regierung hat im griechischen Parlament die absolute Mehrheit. Damit ist klar, dass der Bericht der Regierung genehmigt wird – und dass die Regierung dann die Angelegenheit als abgeschlossen betrachtet. Ministerpräsident Mitsotakis kann nicht anders handeln. Lässt er zu, dass sein Parteifreund Karamanlis zur Verantwortung gezogen wird, dann dürfte sich seine Partei durch den Abgang des Karamanlis-Lagers am nächsten Tag spalten.
Die Frage ist, wie eifrig nun die EU-Kommission versucht, Griechenland in Sachen Rechtsstaatlichkeit an die Kandare zu nehmen. Während Mitsotakis sich immer wieder als bis zur Selbstverleugnung treuer NATO- und EU-Partner gibt, könnte er die Interessen seines Landes höher gewichten, falls sich die EU-Kommission dazu entschliesst, ihn in Sachen Rechtsstaatlichkeit in die Zange zu nehmen. Was gewinnt: Die Rechtsstaatlichkeit oder die Realpolitik?
Codruța Kövesi bleibt jedenfalls dran. Und die Hinterbliebenen haben sich organisiert und werden auch nicht so schnell Ruhe geben.
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