Es gebe heute «große Chancen, den Krieg in der Ukraine in diesem Jahr zu beenden», stellte der frühere ungarische Diplomat György Varga am Donnerstag in Berlin fest. Er fügte hinzu:
«Diese Chancen hängen direkt mit dem Erscheinen der neuen US-amerikanischen Regierung zusammen, und leider sind sie nicht auf die Entscheidungen der EU- und NATO-Elite zurückzuführen.»
Doch die EU-Bürokraten in Brüssel würden nicht verstehen, welche Chance die EU habe, «ohne die USA einen Krieg gegen Russland zu gewinnen, wenn drei Jahre, zusammen mit den USA, genug waren, nur zu verlieren».
Varga sprach auf einer Veranstaltung der Eurasien Gesellschaft über das Thema «Chancen für Frieden in der Ukraine – der Trump-Putin-Gipfel». Mit auf dem Podium saß Harald Kujat, ehemaliger Bundeswehr-Generalinspekteur und früherer Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, der ebenfalls die fortgesetzte westliche Kriegspolitik kritisierte.
Botschafter a.D. György Varga (Foto: Tilo Gräser)
Der ungarische Diplomat erklärte, dass gegenwärtig zwei außenpolitische Modelle erkennbar seien: Nach dem US-amerikanischen Modell komme «Amerika zuerst» und nach dem Modell der EU «interessiert uns die Meinung unserer Wähler nicht» (siehe Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock). «Diese zwei Philosophien werden nie gleichberechtigt sein», stellte Varga fest.
«Europäische Politiker kämpfen auch heute für die Fortsetzung des Krieges, ohne auf die Interessen von 450 Millionen EU-Bürgern und der Ukraine Rücksicht zu nehmen.»
Das sei die Ursache, warum die EU «heute keine wichtige Rolle am Verhandlungstisch bekommen kann». Der Krieg in der Ukraine sei mit zwei Problemen verbunden: Dem Status des Landes als neutral oder als NATO-Mitglied sowie den Rechten von Millionen ethnischer Russen und zehn Millionen russischsprachiger Minderheiten in der Ukraine.
Heute führe die Ukraine mit der Unterstützung von mehr als 40 westlichen Ländern einen bewaffneten Kampf, um Gebiete zurückzuerobern. Dabei habe Kiew deren friedliche Wiedereingliederung in das politische und wirtschaftliche System seit 2015 trotz der ukrainischen Verpflichtungen nach den Minsker Vereinbarungen verweigert.
Offensichtliches Scheitern
Das Scheitern der Ukraine-Politik des kollektiven Westens sei für die meisten offensichtlich, so Varga.
«Die EU finanziert den Krieg eines Landes, das nicht Mitglied der Union ist. Die Mitgliedstaaten der NATO sind de facto Teilnehmer in einem Krieg, in dem kein NATO-Mitglied verteidigt werden muss.»
Zu den Folgen gehöre, dass die Weltwirtschaft in den Bereichen Energie, Transport, Finanzmarkt und Handel effektiv zerstört und die Ukraine zerschlagen sei. Varga widersprach den westlichen Behauptungen, dass der Krieg mit dem russischen Einmarsch ab dem 24. Februar 2022 begonnen habe.
Es habe zwei Meilensteine auf dem Weg zum Krieg in der Ukraine gegeben: Die Zusage an die Ukraine und Georgien für eine NATO-Mitgliedschaft auf dem NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest sowie der US-unterstützte Staatsstreich in Kiew im Februar 2014.
Mit dem Angebot von 2008 habe die NATO die Souveränität der Ukraine missachtet, die sich seit ihrer Unabhängigkeit in ihren grundlegenden Dokumenten als «ständig neutrales und blockfreies» Land definiert habe. Zum zweiten Punkt sagte Varga:
«Am 22. Februar 2014 fand ein verfassungswidriger Machtwechsel in der Ukraine statt, der vom Westen unterstützt und niemals sanktioniert wurde. Der Westen koordinierte und erkannte die politischen Kräfte als legitim an, die die Macht illegitim übernommen hatten, was zu einem Bürgerkrieg mit nachhaltigen Folgen führte.»
Beide Ereignisse seien ein Verstoß gegen das Budapester Memorandum von 1994, das sowohl die Grenzen als auch die Souveränität der Ukraine garantierte. Varga war damals selbst an der Verabschiedung des Dokuments in der ungarischen Hauptstadt beteiligt.
Missachtete Abkommen
Die durch den Staatsstreich an die Macht gekommene neue Führung in Kiew habe sich in Folge der von ihr begonnenen «Antiterror-Operation» gegen die Aufständischen in der Ostukraine 2014 und 2015 in einer sehr ungünstigen militärischen Lage befunden. Deshalb sei sie bereit gewesen, die beiden Abkommen von Minsk zu unterzeichnen und sich zur friedlichen Wiedereingliederung des separatistischen Gebiets in das soziale und wirtschaftliche Leben des Landes zu verpflichten.
Der ungarische Diplomat war von 2017 bis 2021 Leiter der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an der russischen Grenze zur Ostukraine. Er verwies in Berlin darauf, dass zwischen 2014 und 2022 nichts geschah, um die Lage zu verbessern.
Die Kiewer Regierung habe die von dem UN-Sicherheitsrat einstimmig gebilligten Minsker Abkommen nicht umgesetzt und der kollektive Westen habe sich nicht dafür eingesetzt und keine entsprechenden Sanktionen eingeleitet. Dagegen hätten Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige französische Präsident Francois Hollande im Dezember 2022 erklärt, dass die Vereinbarungen von Minsk der Ukraine nur Zeit geben sollten, sich auf einen Krieg vorzubereiten.
In der Folge habe Russlands Präsident Wladimir Putin im Dezember 2021, nach fast acht Jahren, der NATO vorgeschlagen, die Ukraine nicht in das westliche Militärbündnis aufzunehmen. Das sei abgelehnt worden mit der Erklärung, Russland habe kein Mitspracherecht dabei. Die NATO habe seit 2014 zehntausende ukrainische Soldaten ausgebildet und die CIA an der ukrainisch-russischen Grenze Spionageposten eingerichtet, erinnerte Varga.
«Die heutige europäische Krise wurde nicht nur durch die militärische Aggression Russlands verursacht, sondern auch durch die schlechten Antworten des kollektiven Westens auf die Prozesse in der gemeinsamen Nachbarschaft zwischen Europa und Russland 2008, 2014, 2021, 2022 und auch heute.»
Die negative Rolle westlicher Politiker habe sich auch gezeigt, als diese im Frühjahr 2022 das in Istanbul ausgehandelte ukrainisch-russische Abkommen zur Einstellung der Kampfhandlungen torpedierten. Damit sei nach April 2022 «nicht nur Russland für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich, sondern auch die NATO-Elite».
Putins Fehler
Mit Blick auf die Chancen für einen Friedensvertrag sagte der Ex-Botschafter, Putins «größter Fehler» sei gewesen, die EU als rationalen Akteur zu sehen, der nicht bereit sei, sich aus ideologischen Gründen selbst zu zerstören.
«Wenn sich die EU als rationaler Akteur benehmen würde, hätte der Krieg innerhalb von zwei Monaten, im April 2022, beendet werden können, als sich Moskau und Kiew dazu in Istanbul verabredeten.»
Das westliche Narrativ verschweige, dass Russland weder die EU noch die NATO angegriffen oder sanktioniert hat. Beide Organisationen hätten sich selbst entschieden, ihre Länder in den Krieg zu zwingen, anstatt den Konflikt zu isolieren und zu lösen. Der Krieg werde als Aggression gegen die EU und die «demokratische Welt» dargestellt, um die internationale Unterstützung zu maximieren.
Die neue US-Führung unter Präsident Trump versuche, einen Weltkrieg zu verhindern, und wolle Russlands Sicherheitsinteressen akzeptieren. Dagegen wolle der europäische Mainstream in der EU Russland weiter provozieren, anstatt die veränderte US-Politik für eine realpolitische Kurskorrektur zu nutzen.
«Aufrichtige Politiker, die vor einem Krieg mit Russland Angst haben, wären die ersten, eine Pufferzone zwischen der NATO und Russland zu fordern.»
Die NATO-Osterweiterung sei eine «schädliche Strategie» gewesen. Doch während die US-Haltung sich geändert habe, verharre die EU in der bisherigen. Das habe auch dazu geführt, dass die Friedensinitiative des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán im Sommer 2024 von der EU-Führung blockiert und verurteilt wurde.
«Die Voraussetzungen für eine Krise und später für einen Krieg in der Ukraine wurden hauptsächlich von den Vereinigten Staaten geschafft, und heute sind es die Vereinigten Staaten, die bereit sind, diesen Krieg zu beenden und die Hauptursache, die versprochene NATO-Mitgliedshaft für die Ukraine, zu beseitigen.»
Heute hat die EU aus Sicht von Varga zwei Optionen: Entweder sie identifiziert sich mit der neuen US-Position, um den Krieg schnell zu beenden, oder sie ruiniert die Ukraine und ihre Staatlichkeit weiter und nimmt die ganze Last des Scheiterns auf sich.
«Eine kluge EU-Elite würde nicht um Sitz am US-amerikanischen Verhandlungstisch bitten. Sie würde selbst ihren eigenen Verhandlungstisch für die Ukraine und Russland vorschlagen.»
Neue Phase
Ähnlich kritisch äußerte sich nach dem ungarischen Diplomaten der ehemalige oberste Bundeswehr- und NATO-Soldat Harald Kujat. Mit Blick auf die katastrophale Lage der Ukraine sagte er:
«Wenn man die sich immer mehr abzeichnende militärische Niederlage abwenden will, dann muss es rechtzeitig vorher zu einem Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen kommen.»
Er schätzte die Chancen für ein Ende des Krieges und einen Friedensschluss ebenfalls als hoch ein. Mit dem Telefonat von Trump und Putin am 12. Februar sei eine «neue Phase der Weltpolitik» eingeläutet worden.
Der Ex-NATO-General wandte sich gegen mögliche «Friedenstruppen» aus EU- und anderen westlichen Staaten, die von Russland nicht akzeptiert würden. Zudem könnte die EU gar nicht so viele Soldaten stellen, um eine mehr als tausend Kilometer lange Trennlinie zu überwachen.
General a.D. Harald Kujat (Foto: Tilo Gräser)
Kujat sprach sich für eine UN-Friedensmission nach Artikel 7 der UNO-Charta aus, die die besten Sicherheitsgarantien für die Ukraine böte. Er erwartet, dass es nach Abschluss der geplanten Verhandlungen eine internationale Friedenskonferenz gibt, an der zahlreiche Staaten teilnehmen.
Einen Tag vor dem mit einem Eklat im Weißen Haus beendeten Treffen zwischen Trump und dem Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wies der Ex-General auf die grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Seiten hin. Die US-Führung erwarte von der Ukraine Verhandlungsbereitschaft sowie Dankbarkeit dafür, dass der US-Präsident das Töten und die Zerstörung des Landes beenden wolle.
Selenskyj halte die Forderungen der USA für übertrieben und sehe auch das geplante Rohstoffabkommen skeptisch, weil es keine Sicherheitsgarantien biete. Zudem sei er durch Trumps Aussagen über eine ukrainische Mitschuld am Krieg ebenso verärgert wie über den Vorwurf, er sei ein nichtgewählter «Diktator».
Zwei Züge
Kujat sieht eine «ganz entscheidende geopolitische Wende» aufgrund der Bereitschaft Washingtons und Moskaus, über einen Neubeginn ihrer Beziehungen und eine mögliche künftige Partnerschaft zu sprechen. Dagegen setze die EU den Konfrontationskurs fort und habe einen Tag nach dem Trump-Putin-Telefonat Beschlüsse wie neue Sanktionen gefasst, um den Krieg fortzusetzen.
«Deutlicher kann nicht bewiesen werden, dass der US-amerikanische und der russische Zug in eine Richtung fahren und der europäische Zug in eine andere Richtung. Der amerikanisch-russische Zug fährt in Richtung Frieden und der europäische Zug fährt in Richtung Fortsetzung des Krieges.»
Der frühere Bundeswehr-General widersprach deutschen «sogenannten Militärexperten», wonach nach alldem das Risiko eines weiteren Krieges in Europa gestiegen sei. Demnach wolle Russland die Ukraine «vernichten» und müssten sich die Europäer auf einen großen Krieg vorbereiten.
Russland werde keinen Krieg gegen die NATO führen, ist sich Kujat sicher und sagte, ihm sei nicht bekannt, worauf die deutschen «Experten» ihre Aussage stützen. Zur Debatte um eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine erklärte er, die Position der USA dazu sei nicht neu, da Trump-Vorgänger Joseph Biden im Juni 2024 in einem Interview erklärte, die Ukraine werde kein NATO-Mitglied sein.
Die EU habe es selbst zu verantworten, dass sie bei den Verhandlungen für ein Kriegsende nicht gefragt sei, so der Ex-General, der betonte:
«Seit Ausbruch des Krieges gab es weder von der Europäischen Kommission noch von einem der großen europäischen Staaten eine Initiative zur Beendigung des Krieges.»
Dagegen sei Ungarns Regierungschef Orbán für seine Gespräche mit Kiew, Moskau, Peking und Washington für eine Friedenslösung «maßlos kritisiert» worden. Ihn habe überrascht, so Kujat, dass den EU-Politikern nicht bekannt zu sein schien, dass die US-Führung die Ukraine nie in die NATO aufnehmen wollte und will.
Neue Chancen
Der ehemalige oberste NATO-General sprach sich unter anderem für eine eigenständigere EU-Politik und dafür aus, China in die Suche nach Frieden für die Ukraine einzubeziehen. Er sieht in der neuen US-Geopolitik Chancen für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur.
Trump könnte «beispielsweise mit Russland vereinbaren, dass Russland seine Streitkräfte aus Weißrussland abzieht. Im Gegenzug dazu könnten die US-amerikanischen Verbände aus den östlichen Teilen Europas abgezogen werden, insbesondere die Kampftruppen, die seit Beginn des Ukrainekrieges zusätzlich nach Europa verlegt wurden.» Ähnlich könne es einen Abzug von Mittelstreckenraketen und Raketensystemen auf beiden Seiten geben.
«Bereits diese wenigen Maßnahmen, würden eine Phase der Entspannung zwischen den beiden Großmächten mit dem Abschluss weiterer Rüstungskontrollverträge und vertrauensbildenden Maßnahmen einleiten und dazu beitragen, den Weg zu einer europäischen Sicherheits- und Friedensordnung zu ebnen.»
In der folgenden Podiumsdiskussion bezeichnete Kujat die aktuelle Aufrüstungsdebatte in Deutschland und der EU wegen eines angeblich drohenden russischen Angriffs als «völlig überzogen». Die Bundeswehr müsse zur Landes- und Bündnisverteidigung in der Lage sein. Aber dazu reiche es «völlig aus, wenn unsere Politiker sagen: Wir wollen jetzt tun, was in der Verfassung steht.»
Das sei aber seit 2011 nicht mehr gewährleistet, so der Ex-General. Dem Grundgesetz nach dienten die Streitkräfte zur Verteidigung, es sage nicht: «Der Bund stellt Streitkräfte auf, um Krieg zu führen.» Selbst die deutsche NATO-Mitgliedschaft versehe das Grundgesetz in Artikel 24, Absatz zwei mit einem Vorbehalt:
«Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.»
Klare Forderung
Das Ziel der Wahrung des Friedens werde in der aktuellen Diskussion über eine Kriegsfähigkeit unterschlagen, kritisierte der ehemalige Bundeswehr-General. Und fügte hinzu:
«Ich erwarte von unseren Politikern, dass sie sich gefälligst an die Verfassung halten und nicht selbst irgendetwas definieren, was zu wahren ist, was dann aber nicht im Einklang mit der Verfassung steht.»
Im weiteren Verlauf des Abends widersprach Kujat Behauptungen, Russland wolle die ganze Ukraine besetzen, ebenso wie Vorstellungen, dass der NATO-Bündnisfall bei einem Angriff automatisch einsetze. Er findet zwar die NATO-Osterweiterung, die er mitgestaltete, weiterhin richtig, stimmte aber Botschafter Varga zu, dass die Einladung an die Ukraine 2008 zu weit ging.
Von links: General a.D. H. Kujat, Dr. A. Rahr, Botschafter a.D. G. Varga (Foto: Éva Péli)
Leider versäumte es Moderator Alexander Rahr von der Eurasien Gesellschaft nach der Rolle der OSZE zu fragen, der Organisation, die eigentlich geschaffen wurde, um den Frieden in Europa zu sichern. Ebenso nutzte er nicht die Gelegenheit, Varga nach seinen Erfahrungen als Leiter der OSZE-Beobachtermission auf der russischen Seite zu befragen.
Inzwischen wurde bekannt, dass die OSZE ihre Beobachtungsdaten in der Ostukraine an die Kiewer Truppen übermittelt hat. Das hatte der ehemalige griechische Botschafter in Kiew, Vasilios Bornovas, am Dienstag in einem Interview öffentlich gemacht.
Bornovas bestätigte dabei unter anderem die Aussagen von Varga und Kujat, wonach das größte Problem für Russland die Möglichkeit eines Beitritts der Ukraine zur NATO gewesen sei. Im Jahr 2021 sei «mehr als offensichtlich» geworden, «dass die Dinge trotz der wiederholten Warnungen Russlands in diese Richtung gingen».