Am 13. März 2025, inmitten der jahrzehntelangen Feindseligkeiten zwischen Armenien und Aserbaidschan, wurde ein Meilenstein verkündet: Ein Friedensabkommen zwischen den beiden Nationen stehe zur Unterzeichnung bereit. Das schrieb zum Beispiel die Kaukasuskennerin Amalia van Gent auf dem Infosperber. Die Leitmedien berichteten kaum darüber. Unter dem vielversprechenden Titel «Abkommen über Frieden und zwischenstaatliche Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Armenien» wurde bekanntgegeben, dass die Verhandlungen nun abgeschlossen seien.
Doch bevor das endgültige Dokument unterschrieben werden kann, stellt Aserbaidschan noch zwei Forderungen: Eine Änderung der armenischen Verfassung sowie die formelle Auflösung der Minsker Gruppe der OSZE. In einem überraschend siegessicheren Ton fügte der aserbaidschanische Außenminister Jeyhum Bayramow hinzu, dass diese Bedingungen erfüllt sein müssten, um den Friedensprozess fortzusetzen.
Auch Armenien bestätigte wenig später, dass es bereit sei, den Forderungen zuzustimmen. In einer Presseerklärung des armenischen Außenministeriums wurde die Bereitschaft erklärt, über den Ort und Zeitpunkt der Unterzeichnung zu beraten.
Die internationalen Reaktionen auf diese Entwicklungen waren überwältigend positiv. Der US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete den Friedensdurchbruch als «Chance, eine neue Seite der Geschichte aufzuschlagen», und auch aus Teheran kam ein ähnliches Signal, dass der Friedensprozess als «notwendig und wichtig» für die Region des Südkaukasus betrachtet werde. Zwischen Armenien und dem Iran gibt es ein wichtiges, historisches Beziehungsgeflecht. Der französische Präsident Emmanuel Macron schloss sich der Euphorie an und erklärte, dass nun «keine Hindernisse mehr für die Unterzeichnung eines Friedensvertrags» bestünden.
Für Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan bietet das Abkommen eine historische Möglichkeit: Er erhofft sich, dass der Frieden mit Aserbaidschan nicht nur das 34-jährige Drama um Bergkarabach beenden würde, sondern auch zu einer Normalisierung der Beziehungen mit der Türkei führen könnte. Der Konflikt um Bergkarabach hatte die Region jahrzehntelang geprägt, mit einem blutigen Krieg 1991 und einem brüchigen Waffenstillstand, der 1994 nach dem Verlust von mehr als 30.000 Menschenleben erreicht wurde.
Bergkarabach, ein seit alters her von Armeniern bewohntes Gebiet, das zu Sowjetzeiten der aserbaidschanischen Sowjetrepublik zugeschlagen wurde, kam zusammen mit einer Pufferzone, die diese Enklave mit dem armenischen Kernland verband, unter armenische Kontrolle. Doch Aserbaidschan erkannte diesen Status nie an, was zu jahrelangen Spannungen führte, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führten. Die Türkei, die Armenien seit 1993 aufgrund ihrer Solidarität mit Aserbaidschan diplomatisch isoliert hatte, verstärkte die Blockade der Grenze zwischen beiden Ländern. Diese jahrzehntelange Blockade lähmte die armenische Wirtschaft und führte zu einem tiefen geografischen und wirtschaftlichen Rückstand.
Die dramatische Wendung im Konflikt kam im Jahr 2023, als Aserbaidschan im Zuge eines Blitzkriegs die Kontrolle nicht nur über die Pufferzone zurückerlangte, sondern auch das Kernland von Bergkarabach eroberte. Rund 120.000 Armenier, die dort lebten, wurden innerhalb weniger Tage komplett vertrieben. Dieser Akt komplett völkerrechtswidriger ethnischer Säuberung, der von der internationalen Gemeinschaft praktisch kommentarlos hingenommen wurde, hat die geopolitische Landkarte des Südkaukasus nachhaltig verändert (wir berichteten letztmals hier darüber, weitere Links im Beitrag). Die Frage, die nun in der Luft hängt, ist, ob das neue Friedensabkommen tatsächlich der Beginn einer stabileren Ära im Südkaukasus sein kann.
Ein entscheidender Moment auf dem Weg zu einer möglichen Stabilisierung könnte die Öffnung eines Grenzübergangs zur Türkei sein, die Armenien und die Türkei in einem Abkommen von 2022 vereinbart hatten. Trotz der Vereinbarung hat die Türkei den Grenzübergang bislang nicht geöffnet. Für Armenien würde dies einen symbolischen wie praktischen Wendepunkt darstellen: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten könnte das Land aus seiner geografischen Isolation befreit werden.
Paschinjan verfolgt zudem ein weiteres langfristiges Projekt, das als «Kreuzungen des Friedens» bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die Wiederbelebung von Land- und Eisenbahnverbindungen zwischen Armenien, Aserbaidschan, Georgien und der Türkei, um so die Bewegungsfreiheit von Menschen und Waren in der Region zu sichern. Doch bleibt die Frage offen, ob Aserbaidschan und die Türkei tatsächlich bereit sind, diese Projekte mit Leben zu füllen.
Trotz der positiven internationalen Reaktionen stößt das Friedensabkommen in Armenien auf erheblichen Widerstand. Schließlich wird damit ein grausamer Angriffskrieg und einmal mehr die Vertreibung eines ganzen Bevölkerungsteils mit dem Gütesiegel eines internationalen Vertrages versehen.
Die armenische Opposition sieht das Abkommen nicht zu Unrecht als ein «Werk der Selbsterniedrigung», das Armenien durch Zwang und ein strategisches Ungleichgewicht auferlegt werde. Kritiker wie der ehemalige Außenminister Vartan Oskanian bezeichnen das Abkommen als «Zwangsfrieden» und warnen vor den langfristigen Konsequenzen für Armenien, wenn das Land wie im Vertrag vereinbart auf zukünftige Klagen gegen Aserbaidschan verzichten müsse.
Aber es gibt in Armenien Stimmen, die dafür plädieren. Der Schriftsteller Grig Shashikyan fordert ein Friedensabkommen mit Aserbaidschan, da er den einzigen Ausweg für Armenien in einer dauerhaften Friedenslösung sieht. Die Generationen nach dem Zerfall der Sowjetunion wünschen sich ein Leben in Frieden und Sicherheit, was nur durch eine stabile politische und militärische Lage möglich wäre.
Besonders brisant ist, dass der Vertrag nach wie vor nicht alle zentralen Fragen des Konflikts, insbesondere das Schicksal der vertriebenen Armenier aus Bergkarabach, anspricht. Diese Lücke hat das Vertrauen der armenischen Bevölkerung in die Regierung und den Friedensprozess erschüttert. Demonstrationen und Proteste gegen die Regierung, wie vor der Schweizer Botschaft in Jerewan, verdeutlichen die tiefen Spannungen im Land. Warum die Schweiz?
In dieser angespannten Situation könnte die Schweiz eine entscheidende Rolle spielen. Bekannt für ihre neutrale Haltung, hat sie sich als Vermittlerin im Südkaukasus bereits einen Namen gemacht. Könnte eine von der Schweiz initiierte internationale Friedenskonferenz den Weg für einen Dialog zwischen Aserbaidschan und den Vertretern der Bergkarabach-Armenier ebnen und zu einer sicheren Rückkehr der Vertriebenen führen? Das fragt Amalia van Gent, diesmal auf der neuen Plattform Die Schweiz Online.
Im März 2025 verabschiedete der Schweizer Nationalrat eine Motion, die einen internationalen Dialog zur Rückkehr der Vertriebenen von Bergkarabach fordert. Sollte die Schweiz als neutrale Plattform für Gespräche dienen, könnte dies nicht nur zu einer Lösung für den Konflikt führen, sondern auch zu einer dauerhaften Stabilisierung der Region beitragen. Deshalb die Demonstration ausgerechnet vor der Schweizer Botschaft.
Die Bevölkerung in Armenien lebt in einem Zustand ständiger Angst vor weiteren militärischen Eskalationen. Dies führt zu einem dramatischen Anstieg von Gesundheitsproblemen wie Herzinfarkten und Bluthochdruck, was die psychische Belastung in der Bevölkerung widerspiegelt. Viele Armenier träumen von Auswanderung, da sie fürchten, dass Armenien weiter unter Aserbaidschans Druck stehen könnte.
Der Südkaukasus ist ein geopolitisches Schachbrett, auf dem auch Russland und die Türkei eine bedeutende Rolle spielen. Armenien war einst ein enger Verbündeter Russlands, doch insbesondere nach den militärischen Niederlagen Armeniens 2020 und 2023, bei denen Russland Armenien schmählich im Stich ließ, verlor Armenien zunehmend das Vertrauen in das Land. Aserbaidschan, gestützt durch die Türkei, hat Russland in dieser Region zunehmend isoliert und verdrängt. Gleichzeitig zeigt sich Armenien enttäuscht von der EU, die als Friedensvermittler versagt hat und nicht in der Lage war, den Konflikt zu entschärfen.
Armenien liegt strategisch wichtig wie ein Sperriegel zwischen Aserbaidschan und seinem Verbündeten, der Türkei. Und es versperrt dieser den gewünschten Zugang weiter nach Osten in Richtung der zentralasiatischen Turkvölker und China. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew stellte wohl deshalb nicht nur Ansprüche auf den sogenannten Sangesur-Korridor (der Landstreifen an der engsten Stelle zwischen Aserbaidschan und seiner Enklave Nachitschewan), sondern bezeichnete zuletzt auch einen Großteil des armenischen Territoriums als «historisches Land der Aserbaidschaner».
Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, ob Alijew mit einer tatsächlichen Kriegsdrohung spielt oder die Ängste der Bevölkerung als politische Strategie nutzt – und stellt in Frage, ob er es ernst meint mit dem Frieden.
Die armenische Gesellschaft leidet unter den psychischen und physischen Folgen des langanhaltenden Konflikts, während die politische Führung versucht, einen Weg zu finden, das Land vor weiteren Eskalationen zu bewahren. Ob das angekündigte Friedensabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan tatsächlich den ersehnten Frieden in den Südkaukasus bringt oder lediglich eine weitere diplomatische Episode in einer langen Reihe von gescheiterten Friedensversuchen ist, bleibt abzuwarten. Es gibt zu viele ungelöste Fragen und zu viel Misstrauen auf beiden Seiten. Könnte die Schweiz als Vermittlerin einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Region auf den schwierigen Weg des Friedens zu führen?