Für mich ist das eine Kehrtwende. (…)
Jetzt hat der Bundesrat gemerkt, dass man
sich als neutraler Staat anders verhalten muss.»
Hans-Peter Portmann, Schweizer FDP-Nationalrat
Liebe Leserinnen und Leser
Über das Wochenende vollzog sich in der Schweiz eine außenpolitische Kehrtwende wie es sie nicht aller Tage gibt. Unser Land stimmte nicht in den Chor der Trump-Kritiker und der Vance-Basher ein. Ich habe gestern darüber geschrieben.
Am Rande der Sicherheitskonferenz in München lobte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP, St. Gallen; Abkürzung: KKS) die Rede von Vizepräsident J. D. Vance als «Plädoyer für die direkte Demokratie». Nach einem kurzen Luftholen melden sich nun auch die NATO-Freunde wieder, wie zum Beispiel die grünliberale Nationalrätin Corina Gredig.
Die Äußerungen von Keller-Sutter können nicht eine isolierte Meinungsäußerung sein, denn die Bundespräsidentin wurde sofort aus dem EDA (Außenministerium) und von bürgerlichen Politikern sekundiert.
Der eingangs zitierte FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sagte sogar, der Bundesrat habe nach Kriegsbeginn zu hastig reagiert und sich vor der EU und der damaligen US-Regierung unter Joe Biden geduckt (und die Sanktionen fast 1:1 übernommen).
Portmann sogar: «er (der Kurswechsel) kommt aber zu spät». Er sei immer davon ausgegangen, dass der Krieg «nicht mit Sanktionen und Waffen beendet werden kann». Die Ukraine müsse Territorien an Russland abtreten. Wenn das so ist: warum hat er das denn nicht früher gesagt? frage ich mich unwillkürlich.
SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel kritisierte, es sei «ein Fehler, zu glauben, dass man ohne die Russen etwas erreichen könne.» Und er fügte hinzu: «Die USA sind nicht ganz unschuldig am Krieg in der Ukraine. Wenn sie nun den Lead übernehmen, um ihn zu beenden, so ist das zu begrüßen.» Das hätte man natürlich gerne früher gehört.
Für Büchel ist klar, dass das Außenministerium nun versuche, eine neutrale Position zurückzuerlangen. «Nur so kann sich die Schweiz wieder als Vermittlerin oder Standort von Friedensgesprächen ins Spiel bringen.»
Das Außenministerium schreibt in der Stellungnahme denn auch, dass die Schweiz «jederzeit bereit ist, konkrete Gespräche für eine friedliche Lösung zu unterstützen» – falls sie von den involvierten Parteien darum gebeten würde.
Nur: für dieses Mal ist es wohl zu spät. Um neutral zu sein, reicht es nicht, wenn ein Land sich an die entsprechenden Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung hält, die die Rechte und Pflichten neutraler Staaten völkerrechtlich verbindlich festlegen, ihnen aber einen großen Spielraum in der Umsetzung gewähren, man muss auch als neutral wahrgenommen werden.
Das war bei der Schweiz der Fall – bis zum fatalen Entscheid, die Sanktionen gegen Russland praktisch 1:1 zu übernehmen. Dass das nicht klug war, scheint jetzt in Bern den Außenpolitikern zu dämmern. Anders als die Reaktion der meisten EU-Politiker, deren Ärger wohl ein Psychiater als Verleugnung der Realität und als kognitive Dissonanz bezeichnen würde, versuchen sie nun, das Steuer herumzureißen.
Solche abrupte Wechsel hat es schon gegeben. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1920 der demokratische US-Präsident Wilson abgewählt. Während den nächsten 12 Jahren wechselten sich Republikaner im Weißen Haus ab – und zogen sich politisch, aber nicht wirtschaftlich, aus Europa zurück. Die Schweiz trat dann dem Völkerbund bei, beteiligte sich aber zum Beispiel 1936 nur partiell an den Sanktionen gegen Italien als Folge des Abessinienkrieges. Dieser Positionswechsel kam rechtzeitig.
Unser Land nahm aber nie diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion auf. Bis 1944, als sich abzeichnete, dass diese zu den Siegermächten gehören würde. Abgesehen davon, dass dies den Außenminister, Bundesrat Marcel Pilet-Golaz (FDP, Waadt) das Amt kostete («me mues de Pilet goh la» war 1944 die politische Forderung), kam der Dreh nicht rechtzeitig und die Schweiz spielte bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung keine Rolle.
Dass man mich hier richtig versteht: Wenn man als neutral wahrgenommen werden will, dann ist das kein Votum für eine Gesinnungsneutralität. Selbstverständlich darf man eine Meinung haben und diese sagen. Aber zu einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik gehört, Beziehungen zu allen Seiten zu pflegen und der Versuch, alle Seiten zu verstehen. Aber auch hier: eine Position verstehen, heißt nicht, sich diese zu eigen zu machen.
Trotz der willkommenen Kehrtwende tut eine Verstetigung der Schweizer Neutralitätspolitik not. Dies bietet die Neutralitätsinitiative, die am Jahresende oder im nächsten Jahr zur Abstimmung kommt. Ich empfehle sie wärmstens zur Annahme (weitere Informationen hier (weitere Links im Beitrag).
Bleiben Sie uns, geneigte Leserin, geneigter Leser, gewogen!
Daniel Funk