In den meisten europäischen NATO-Ländern sind die Friedensinitiative von US-Präsident Donald Trump und die Rede von Vizepräsident J. D. Vance auf Unverständnis, um nicht zu sagen, unverhohlene Ablehnung gestoßen. Nicht so in der Schweiz. Völlig überraschend scheint der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, einen markanten Kurswechsel in der Außenpolitik zu vollziehen, besonders in Bezug auf die Ukraine und die Unterstützung durch die USA.
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) hatte die Standpauke von US-Vizepräsident J. D. Vance gehört. Sie war an der Sicherheitskonferenz in München dabei. Anders als die meisten ihrer Kollegen war sie des Lobes voll und interpretiert diese Rede als «Plädoyer für die direkte Demokratie». Dies hat sowohl für Empörung als auch für Anerkennung gesorgt.
Die Schweiz, die sich traditionell als neutraler Staat sieht, hatte sich im vergangenen Jahr stark an die Seite der ukrainischen Regierung und der NATO gestellt und mit der Unterstützung der westlichen Staaten und der meisten Sanktionen eine klare Position eingenommen. Doch nun, acht Monate nach der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock, vollzieht der Bundesrat einen Schritt zurück.
In einer Stellungnahme des Außenministeriums wird die Friedensinitiative der USA, angeführt von Präsident Donald Trump, begrüßt – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Ukraine in diese Gespräche einbezogen wird. Diese Position stellt einen Bruch mit den Erwartungen vieler europäischer Staaten dar, die sich kritisch gegenüber Trumps Plan äußern. Vor allem die Möglichkeit, dass die Ukraine Gebietsansprüche gegenüber Russland abtreten müsse, stößt bekanntlich auf Widerstand.
Das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA, Außenministerium), das unter der Leitung von Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) agiert, betont die Notwendigkeit eines umfassenden, gerechten Friedens, der auf der UN-Charta basiert. Zugleich wird auch darauf hingewiesen, dass die Schweiz jederzeit bereit sei, als Vermittler in Friedensgesprächen zu fungieren. Die Bereitschaft zur Unterstützung des US-geführten Friedensprozesses könnte der Schweiz helfen, ihre neutrale Position wieder stärker ins Spiel zu bringen – eine Rolle, die sie in der internationalen Diplomatie als Folge ihrer einseitigen Parteinahme in den letzten Jahren zunehmend verloren hatte.
Anerkennung und Gewährleistung der immerwährenden Neutralität der Schweiz und der Unverletzbarkeit ihres Gebiets. Paris, 20. November 1815 (Faksimile aus dem Abschied der schweizerischen Tagsatzung von 1815).
Der Kurswechsel wird unterschiedlich bewertet, insbesondere im innerpolitischen Kontext. In rechtsbürgerlichen Kreisen, vor allem in der FDP und der SVP, wird der neue Ansatz von Keller-Sutter und dem Bundesrat begrüßt. Hans-Peter Portmann von der FDP spricht von einer längst überfälligen Kehrtwende, da der Bundesrat zu Beginn des Krieges zu sehr unter dem Einfluss der EU und der USA gehandelt habe. Für ihn ist klar, dass der Konflikt nur durch Diplomatie und Zugeständnisse beider Seiten, auch auf Kosten ukrainischer Gebietsansprüche, gelöst werden kann.
SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel weist darauf hin, dass die Schweiz nun versuchen sollte, ihre neutrale Position zurückzugewinnen. Auch wenn er noch skeptisch gegenüber den Details des Friedensplans ist, sieht er eine Chance, dass dieser das Kriegsende herbeiführen könnte.
Auf der anderen Seite gibt es auch scharfe Kritik, insbesondere aus der linken Ecke der Politik. Franziska Roth, SP-Ständerätin, bezeichnet die Friedensinitiative der USA als einen Versuch, Europa zu marginalisieren und einen «Diktatfrieden» zu erzwingen.
Vance hatte in seiner Rede die Meinungsfreiheit in Europa als bedroht bezeichnet und die westlichen Demokratien vor einer Erosion der Werte gewarnt. Diese Aussagen stießen in Deutschland auf scharfe Kritik, besonders vom deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die Bemerkungen als «inakzeptabel» ablehnte. In der Schweiz jedoch hat Keller-Sutter eine mutige politische Haltung eingenommen, die nicht nur von ihrer eigenen Partei, sondern auch von einigen rechtsstehenden Medien als erfrischend und unabhängig gefeiert wird. Kritiker werfen ihr jedoch vor, zu sehr in die US-amerikanische Rhetorik zu verfallen.
Insbesondere Leitmedien wie die Tamedia-Zeitungen spien aber Gift und Galle gegen die Bundespräsidentin. «Not my Bundesrat», geiferte zum Beispiel Philipp Loser (nomen est omen) und wirft ihr vor, den internationalen Konsens zu gefährden – als ob es den je gegeben hätte.
Der Elefant im Raum, die Neutralitätsinitiative, wird dabei nur am Rande erwähnt. In der Schweiz ist es möglich, eine Volksinitiative zu lancieren. Kommen für einen bestimmten Verfassungszusatz 100.000 Unterschriften zusammen, dann muss darüber abgestimmt werden. Obsiegt die Initiative bei einer Mehrheit der Stimmenden und der Kantone, dann erlangt der Verfassungszusatz Rechtskraft.
Angesichts der Tatsache, dass die Schweizer Außenpolitik immer stärker in Richtung NATO abgedriftet ist, lancierten breite, der Neutralität zugeneigte Kreise eine Initiative, die den politischen Spielraum des Bundesrates erheblich einschränken und den außenpolitischen Kompass neu justieren würde. Diese Initiative kommt am Ende des Jahres oder im nächsten Jahr zur Abstimmung.
In den Medien wird die Neutralitätsinitiative meist als «von Blocher lanciert» dargestellt. Es ist richtig, dass die größte Schweizer Partei, die SVP, in der Christoph Blocher immer noch eine starke Rolle spielt, im Sinne der Initiative mobilisiert hat und prominent im Unterstützungskomitee vertreten ist. Aber in Tat und Wahrheit ist diese breit abgestützt und es gibt auch sehr aktive linke Unterstützer oder Förderer, die der SVP überhaupt nicht nahestehen.
Es kann nun durchaus sein, dass der Bundesrat die Gunst der Stunde nutzt, um durch eine Kehrtwende diesem Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen. Würde nämlich die Initiative angenommen, dann wäre zum Beispiel die 1:1-Übernahme von wirtschaftlichen Sanktionen, die nicht durch die UNO bewilligt wurden, nicht mehr möglich.
Der Versailler Vertrag von 1919 bestätigte letztmals die Schweizer Neutralitätserklärung von 1815 international. Seither hat der Bundesrat sie nicht immer gleich konsequent gehandhabt. In der Bundesverfassung wird sie nur am Rande erwähnt. Eine Annahme würde ihn nun auf eine konsequente Friedenspolitik verpflichten und auf die traditionellen guten Dienste setzen, die durch die Parteinahme für die NATO in den letzten drei Jahren kompromittiert wurden. Wäre das nicht geschehen, würden die Treffen USA-Russland womöglich nicht in Saudi-Arabien stattfinden, sondern in Genf.
Dieser Artikel ist Teil einer losen Serie von Beiträgen zur Schweizer Neutralität. Der letzte Artikel ist hier zu finden (weitere Links in diesem Beitrag).
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