«Hau ab!» und «Lügner!» – das bekam Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu hören, als er auf der Demonstration der Bauern am Montag in Berlin sprach. Für sein geäussertes Verständnis für die Proteste bekam er ebenso massive Buh-Rufe wie für die angeblichen Massnahmen, um die Situation der Bäuerinnen und Bauern zu verbessern.
Was die Landwirte von seinen Worten halten, machten sie auch klar, als er behauptete, Deutschland müsse mehr Geld für Militär ausgeben, weil der Ukraine-Krieg zeige, wie bedroht «Frieden und Freiheit in Europa» seien. Auch an der Stelle schwollen die Buh- und «Lügner» Rufe deutlich an. Die Bauern und ihre Unterstützer aus anderen Berufszweigen wollten seine Politikerfloskeln offensichtlich nicht hören.
Das zeigte sich gleich zu Beginn von Lindners Rede, so dass Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied den Finanzminister unterbrach und die Demonstranten bat, Lindner doch zuzuhören. Der rechtfertigte die Politik der Bundesregierung und behauptete, sie würde auf die Proteste eingehen. Das grüne Nummernschild bleibe den Landwirten erhalten.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Bauerndemo am Montag in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Als er sagte, dass die Subventionen für Agrardiesel nur schrittweise abgebaut würden, wurden die Protestrufe wieder lauter. Sie machten es dem Minister schwer, gehört zu werden. Wofür zum Teil aber auch die schlechte Akustik auf dem Platz des 18. Märzes am Brandenburger Tor in Berlin sorgte. Der war übervoll mit Demonstranten. Die anschliessende Strasse des 17. Juni war voll bis zur Siegessäule mit Traktoren, LKWs, protestierenden Bauern, LKW-Fahrern und Unterstützern.
Klares Nein zur Ampel-Regierung
Mindestens zehntausend Menschen aus verschiedenen deutschen Regionen, aber auch aus anderen Ländern, waren zur Abschlussdemonstration der Aktionswoche der Bauern nach Berlin gekommen. Der Protest richtete sich vordergründig gegen den von der Regierung angekündigten Abbau von Agrarsubventionen und der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliches Gerät. Doch dass es den Bauern, den LKW-Fahrern und den anderen Berufsgruppen, die sich ihnen anschlossen, um weit mehr ging, machten sie von Beginn an klar.
Und das zeigten sie auch wieder am Montag am Brandenburger Tor. Mit Transparenten und Schildern sowie mit Sprechchören machten die Menschen klar, dass sie genug haben von der sogenannten Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP und von dieser nicht mehr regiert werden wollen.
(Foto: Éva Péli)
Finanzminister Lindner hatte den Bauern nichts Konkretes zu sagen und zu bieten, wetterte dafür gegen die selbsternannten «Klima-Retter», die «linksextremistisch unterwandert» seien. Er hetzte gegen Empfänger von Bürgergeld und anderen Sozialleistungen, «die Geld bekommen fürs Nichtstun». Er behauptete, er setzte sich für den Mittelstand und «nachhaltiges Unternehmertum» ein.
Ebenso behauptete er: «Ich bin der Verwalter des Geldes der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.» Mit dem Geld müsse die Politik auskommen. Das einzige Angebot, das er den Bauern machte, war: «Denken wir jetzt gemeinsam gross.» Die Menschen reagierten darauf immer wieder mit «Hau ab!».
Das geschah auch als er gegen Ende sagte: «Ich kann Ihnen heute nicht mehr staatliche Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt. Aber wir können gemeinsam dafür streiten, dass wir wieder mehr Freiheit und wieder mehr vertrauen für Ihre Arbeit erhalten. Und das wäre eine Chance in dieser Lage.»
Angst um Existenz und Zukunft
Doch nicht nur damit zeigte Lindner, dass er die Anliegen derjenigen, denen er fast zwanzig Minuten zuschrie, nicht versteht. So erzählte er auch, er verstehe die Landwirte, weil er auf dem Land aufgewachsen sei. Er sei ausserdem Jäger und schon fertig, wenn er seinen Pferdestall einmal ausgemistet habe – deshalb wisse er, «was das für eine Arbeit ist, es den ganzen Tag und jeden Tag zu machen.»
Die Antwort darauf waren nicht nur Buh-Rufe. Demonstranten hatten per Hand auf ein Schild geschrieben «Hör auf zu lügen!» und hielten es vor der Bühne hoch. Petra Bentkämper, Präsidentin des Landfrauenverbandes, forderte den Finanzminister auf, es müsse aufhören, «dass Menschen, die ab und zu einen Pferdestall ausmisten, meinen, sie hätten ganz viel Ahnung von Landwirtschaft».
Auch die Bäuerinnen machten klar, worum es geht (Foto: Éva Péli)
Die Sorgen um die eigene Existenz und die Zukunft brachte unter anderem Gerhard aus dem bayrischen Burghausen gemeinsam mit anderen Landwirten aus der Region nach Berlin. Es gebe für die Bauern nicht mehr die von Lindner versprochene Freiheit. Seine Eltern und Vorfahren hätten noch trotz schwieriger Bedingungen auch durch die Kriegsfolgen schwer, aber noch mit Freude gearbeitet.
«Die waren zufriedener und glücklicher als wir heute trotz der Maschinen und allen Erleichterungen. Den meisten Landwirten geht es nicht mehr gut.»
Die Wertschätzung fehle auch inzwischen, beklagte er im Gespräch am Rand der Demonstration. Er frage sich immer öfter, warum er seine Arbeit macht, wenn diese nicht mehr honoriert und unterstützt wird. Auch weil es immer öfter heisse, was die deutschen Bauern liefern, sei nicht mehr nötig, weil auch Insekten gegessen werden können und Lebensmittel aus anderen Weltgegenden importiert werden.
Umdenken in der Politik eingefordert
«Das macht Dich psychisch kaputt, das ist das Schlimme», verwies Landwirt Gerhard auf einen kaum beachteten Aspekt. Das Geld allein helfe nicht. «Wir brauchen Wertschätzung für diesen Berufsstand und ein Umdenken der Politik, über Parteigrenzen hinweg», ergänzte Andreas aus Mittelfranken. Das sei nicht erst in fünf Jahren, sondern jetzt notwendig. Ein anderer Landwirt aus der Gruppe forderte mehr Zeit für den Stall statt für’s Büro.
«Neuwahlen bringen uns auch nicht weiter», ist für Andreas klar, für den der von vielen geforderte Abtritt der Ampel-Regierung nicht reicht, um die Probleme zu lösen. Er erwartet von der CDU genauso wenig wie von einer möglichen Regierung unter AfD-Beteiligung. «Das bringt nichts mit der AfD», sagte einer der Landwirte.
(Foto: Tilo Gräser)
Sie berichteten von ihren Protestfahrten durch das Land, wo sie viel Zustimmung von der Bevölkerung bekommen hätten. Das habe ihnen emotional geholfen und sie hätten gemerkt, dass viele Menschen unzufrieden sind. Das gelte nicht nur für die Landwirte, sondern auch viele andere Berufsstände.
«Der Mittelstand muss aufstehen, dass die Politik merkt: Es geht so nicht weiter! Die Politik muss für ihr eigenes Volk da sein.»
Zu den Vorschlägen der Landwirte für Lösungen gehört, Entwicklungshilfe für Indien und China zu streichen, die keine Entwicklungsländer mehr seien. Auf Schildern von Demonstranten wurden die Beträge genannt, um die es dabei geht, zum Beispiel mehr als 210 Millionen Euro für «klimafreundliche Mobilität» in Indien.
Die Sorgen der Bauern
Die Landwirte aus Bayern beklagten ebenfalls die Bürokratie, wenn sie Fördermittel beantragen, während Milliarden-Subventionen wie für Tesla in Brandenburg ganz schnell flössen. Sie forderten ausserdem höhere Mindestlöhne für alle, damit sich Arbeiten auch lohnt.
Landwirt Andreas verwies auch auf die Debatte um das Tierwohl:
«Kein Bauer wird sein Tier vernachlässigen. Wenn nämlich ein Tier schlecht behandelt wird, bringt es wenig Leistung, und dann wird es für den Landwirt unrentabel. Das haben die meisten Leute noch nicht registriert. Das ist ein Riesenproblem.»
Er wolle nicht in einen Stall gehen, wo es den Tieren schlecht geht, stellte er klar.
«Wenn es meinen Tieren gut geht, fühle ich mich selber wohl. Und wenn es ihnen nicht gut geht, geht es mir auch nicht gut.»
Auch Landwirt Gerhard bestätigte das und berichtete von seiner 14-jährigen Tochter, die in der Landwirtschaft arbeiten wolle. Ganz in der Nähe der Gruppe hielt eine junge Frau ein Schild hoch, auf dem handgeschrieben stand: «Ich will auch noch Bäuerin werden!»
(Foto: Éva Péli)
Breite Unterstützung für die Landwirte
Dass die Landwirte mit ihrem Protest und ihren Forderungen nicht allein sind, zeigten nicht nur Tausende LKW-Fahrer, die ebenfalls mit ihren Fahrzeugen nach Berlin gekommen waren. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., erklärte, dass ohne das Transportwesen nichts funktioniert. Er kündigte auf der Kundgebung am Brandenburger Tor an, dass auch die LKW-Fahrer und Spediteure den Protest fortsetzen, wenn die Politik nicht geändert wird.
Claus Hochrein von der Bewegung «Landwirtschaft verbindet Deutschland» (LSV-Deutschland) sagte, dass nicht nur der Wind an dem Tag sehr kalt war, sondern auch eisig von der Politik her den Landwirten entgegenkomme. Es seien nicht nur Bauern auf die Strasse gegangen, sondern ebenso die Gastronomen, die Bäcker, die Metzger und die Spediteure, so Hochrein.
«Der Mittelstand ist auf der Strasse. Wir sind nicht mehr allein.»
«Wir sind das Volk!» – dieser Ruf erscholl immer lauter und unüberhörbarer von den Tausenden gegenüber der Bühne, auf der zu dem Zeitpunkt noch Finanzminister Lindner auf seinen Auftritt wartete. Und gleich danach war zu hören: «Ampel weg!»
Hochrein betonte: «Wir gehen keine Kompromisse mehr ein!» Von der Vorsitzenden des Bundes der Deutschen Landjugend (BDL) Theresa Schmidt erhielt der Bundesfinanzminister und Fussballfan Lindner eine gelbe Karte als «letzte Warnung». Die Ampel-Koalition müsse in der zweiten Hälfte ihrer Amtszeit die angekündigten Kürzungen ersatzlos zurücknehmen, forderte Schmidt.
Wut im Bauch der Gesellschaft
Lindner müsse sich für die Zukunft der Landjugend, die mehr als 100’000 jungen Menschen im ländlichen Raum, stark machen, verlangte Schmidt. Wenn er das nicht umsetze, folge die Rote Karte, kündigte sie an. Zuvor hatte sie beklagt, dass die Landwirtschaft schon in den letzten Jahren «immer mehr Prügel, Auflagen, Verschärfungen und Einschränkungen» erlebt habe.
Die Stimmung unter den Demonstranten war schärfer als die Reden auf der Bühne, von der aus immer wieder auch eine «demokratische Diskussion» eingefordert wurde. Davor machte sich die Wut im Bauch der Gesellschaft deutlich Luft und zeigte der Politik, aber auch den Verbandsfunktionären, dass die Zeit der Reden vorbei scheint.
(Foto: Tilo Gräser)
Zu Lindners «Versprechen» von mehr Freiheit und Vertrauen sagte Robert aus Leipzig, einer der Demonstranten, dass das doch schon verspielt sei. «Ich persönlich hätte ihn nicht gebraucht», sagte er zum Auftritt des Bundesfinanzministers.
«Wir wünschen uns einfach nur die Ampel weg, weil das wird nichts mehr», redete die Betreiberin von «Hollis Imbiss-Saloon» aus dem brandenburgischen Lehnin Klartext. Es werde immer schwieriger gemacht, zu arbeiten und davon zu existieren, begründete sie das und verwies auf die Preis- und Kostensteigerungen. Lindners Rede, die sie als «mies» bezeichnete, habe das wieder gezeigt: «Er versteht uns nicht, definitiv nicht.»
Es sei ihr und ihren Kindern wichtig, gute regionale Lebensmittel zu haben und nicht importierte Billigware aus anderen Ländern. Das erklärte Ulrike Wagner aus Süddeutschland zu den Motiven für die Fahrt nach Berlin. Die Politik, aber auch die städtische Bevölkerung verstünde die Landwirtschaft nicht, sagte sie zu den Äusserungen von Lindner.
Von den noch für Montag angekündigten Gesprächen zwischen Vertretern der Ampel-Regierung und den Bauernverbänden erwartete sie nicht viel. «Ich denke, dass wir weitermachen müssen», sagte sie, da sie nicht mit der Einsicht der Regierenden rechnet. «Wenn alle zusammenhalten, hoffe ich, dass wir es schaffen.»
Die Angst der Regierenden
«Kein Bauer aber auch sauer» stand auf dem Schild, das eine Berlinerin trug. Auf die Frage nach den Gründen dafür verwies sie auf die Sparpolitik, die alle treffe. Zugleich würden Milliarden für Rüstungen für Waffen und Krieg ausgegeben. Dass sie damit nicht allein war hatte sich schon an dem lautstarken Protest auf Lindners Begründung für die Rüstungsmilliarden gezeigt.
Nach der Demonstration am Brandenburger Tor fuhren die vielen Traktoren und LKW unter Beifallsbekundungen und mit einem Hupkonzert wieder ab. Es waren so viele, dass sie gar nicht alle auf die Strasse des 17. Juni gelassen worden waren und in den umliegenden Strassen standen. Immer wieder bekundeten Menschen den Landwirten und Fahrern ihre Sympathie.
(Foto: Tilo Gräser)
Finanzminister Lindner hatte zu Beginn seiner Rede den friedlichen Protest der Bauern gelobt und eingestanden, «schreckliche Bilder» befürchtet zu haben. Aber davon sei nichts eingetreten, stellte er fest und bedankte sich dafür.
Womit die Regierenden rechneten, zeigte der hohe Polizeiaufwand am Brandenburger Tor und um das nahe Reichstagsgebäude, einschliesslich Räumpanzer und Wasserwerfer in einer Seitenstrasse. «Da haben sie wohl ziemlich viel Angst gehabt», sagte einer der protestierenden LKW-Fahrer lächelnd dazu.
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