Der Schweizer EVP-Nationalrat Nik Gugger wurde am 3. Februar bei seiner Einreise am Flughafen von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, festgehalten und des Landes verwiesen. Er war auf einer Mission als offizieller Wahlbeobachter. Die Begründung des Regimes war, dass Gugger als Schweizer Parlamentarier eingeladen worden war, aber zusätzlich ein Mandat des Europarates innehat, unter dem er am Flughafen firmierte. Jedoch zeigten gestern Recherchen, dass andere Wahlbeobachter mit einem ähnlichen Mandat problemlos einreisen konnten.
Die wahre Ursache für Guggers Einreisesperre scheint mit einer Europarat-Abstimmung vom 23. Januar 2024 zusammenzuhängen, bei der die aserbaidschanische Delegation für ein Jahr ihres Stimmrechts verlustig ging. Gugger und 75 weitere Parlamentarier hatten dafür gestimmt. Dies wird als schwerwiegender Rückschlag für Aserbaidschans Diplomatie betrachtet, und es wird vermutet, dass Aserbaidschan eine schwarze Liste erstellte, auf der Gugger und die anderen Abstimmungsteilnehmer stehen.
Die offizielle Wahl in Aserbaidschan am 7. Februar, die Präsident Ilham Alijew angeblich mit 92 Prozent der Stimmen gewonnen hat, muss als fragwürdig und als Farce bezeichnet werden.
Dieser Vorfall wirft ein Schlaglicht auf eine Region, die nach dem kurzen Angriffskrieg der Aseris gegen die armenische Enklave Bergkarabach im September 2023 aus den Schlagzeilen verschwunden ist.
In einer dreiteiligen Serie (siehe hier, hier und hier) behandelt der Friedens- und Konfliktforscher Leo Ensel die dramatischen Ereignisse in Berg-Karabach im September 2023 sowie die darauffolgenden Entwicklungen in Armenien und die Eindrücke eines Besuchs im Land. Hier sind die Hauptpunkte (wir haben hier letztmals darüber berichtet – weitere Links in diesem Artikel).
Der Autor berichtet zuerst über die erzwungene Massenflucht der Armenier vor den vorrückenden aserbaidschanischen Soldaten. Nachdem die Enklave zuerst während neun Monaten von den Aseris belagert und ausgehungert wurde, berichtet er von Frauen und Männern, die während der Flucht geliebte Menschen verloren. Sie sollen stellvertretend für viele ähnliche Schicksale stehen. Kritik übt Ensel am Versagen praktisch aller externer Akteure, insbesondere an der tatenlosen Haltung der russischen Friedenstruppe während der Blockade.
Im Teil zwei schildert der Autor die verhängnisvollen Entwicklungen, die zur Vertreibung von etwa 120’000 Armeniern geführt haben. Der Fokus liegt auf den politischen Entwicklungen, insbesondere auf dem Treffen in Prag am 6. Oktober 2022, bei dem die Staats- und Regierungschefs von Armenien und Aserbaidschan eine Erklärung unterzeichneten. Diese Erklärung wurde von EU-Ratspräsident Charles Michel, Frankreichs Präsident Macron und dem deutschen Bundeskanzler Scholz unterstützt und vermittelt.
Mit ihr wird unter anderem Bergkarabach als Teil der Republik Aserbaidschan anerkannt. Ensel zitiert den russischen Präsidenten Putin, der darauf hinweist, dass die Entscheidung Armeniens, Bergkarabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen, zu den jüngsten Ereignissen, einschliesslich der Sperrung des Latschin-Korridors, geführt habe, der einzigen verbliebenen Landverbindung der Enklave zum armenischen Mutterland. Es sei dahingestellt, inwiefern diese Prager Erklärung völkerrechtlichen Charakter hat. Aber der Autor vermutet, dass sie Putin die Möglichkeit gegeben habe, auf ein Eingreifen zugunsten Armeniens zu verzichten.
Allerdings scheint auch der Westen ein gerütteltes Mass an Verantwortung zu tragen. Natürlich war in der Erklärung auch ein Passus enthalten, der den Verbleib der Armenier in Bergkarabach und der Schutz von deren Sprache und Kultur regelte, aber ohne Sicherheitsmechanismus und Verbindlichkeit. Das gab dann Aserbaidschan die Möglichkeit, nur einen Teil der Erklärung zu nehmen – die Bestätigung der Zugehörigkeit der Region zu Aserbaidschan – und ansonsten vollendete Tatsachen zu schaffen.
Im dritten Teil widmet sich Leo Ensel der aktuellen Lage in Armenien nach dem Konflikt. Eindrucksvoll zeigt er, wie Armenien versucht hat, den über 120’000 Flüchtlingen aus Bergkarabach Unterkunft und Unterstützung zu bieten. Er zeigt auch – was im Westen kaum bekannt ist – dass etwa 30’000 russische Staatsbürger in den letzten zwei Jahren nach Armenien migriert sind. Armenien ist eines der Länder, in das sie noch ohne Visum einreisen können. Diese doppelte Einwanderung entpuppt sich als Herausforderung für den armenischen Immobilienmarkt, scheinen aber das Wirtschaftswachstum zu stimulieren.
Der Autor äussert aber auch Besorgnis über mögliche aserische Ansprüche auf armenisches Kern-Hoheitsgebiet und über die Frage, wie der Westen und Russland reagieren würden, wenn Aserbaidschan mit Gewalt eine Landverbindung zwischen dem aserischen Kernland und der Enklave Nachitschewan erzwingen würde.
Die Serie endet mit der Betonung der Unsicherheiten, die die Zukunft Armeniens prägen, sowohl auf wirtschaftlicher als auch geopolitischer Ebene, und der Gefahren durch Aserbaidschans Ansprüche auf armenisches Territorium.
Der Eriwaner Germanist und Dolmetscher Hrachya Stepanyan verbreitet aber etwas Hoffnung: «Armenien ist nicht ein Land. Armenien ist dort, wo die Armenier sind! Wenn die Armenier wirklich so kreativ sind, können sie neue Kulturgüter überall schaffen.»
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