Abseits. – Der Parlamentarismus, das heißt die öffentliche Erlaubnis,
zwischen fünf politischen Grundmeinungen wählen zu dürfen,
schmeichelt sich bei jenen vielen ein, welche gern selbständig
und individuell scheinen und für ihre Meinungen kämpfen möchten.
Zuletzt aber ist es gleichgültig, ob der Herde eine Meinung
befohlen oder fünf Meinungen gestattet sind. – Wer von den fünf
öffentlichen Meinungen abweicht und beiseite tritt, hat immer
die ganze Herde gegen sich.
Friedrich Nietzsche
Liebe Leserinnen und Leser!
Macht es überhaupt Sinn, wählen zu gehen? Wenn man dem Eingangszitat von Nietzsche folgt, eigentlich nicht. Das sahen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger so, mit der Konsequenz, dass die Wahlbeteiligung über die Jahre immer weiter abnahm. Seit der Bundestagswahl 1983 hat sich die Nichtwählerzahl mehr als verdoppelt.
Bei dieser Bundestagswahl soll die Wahlbeteiligung dann wieder um sieben bis acht Prozentpunkte auf 83 bis 84 Prozent und damit auf die höchste seit seit der Wiedervereinigung nach oben geklettert sein. Das hängt sicherlich mit dem Zustand Deutschlands zusammen. Thorsten Jungholt von der Welt schreibt dazu heute in seinem Kommentar «Europa muss Großmacht werden, wenn es überleben will» treffend:
«Die nächste Bundesregierung sowie der Rest der EU müssen sich der Realität stellen: Europa muss ein Player in der Großmachtpolitik werden – sonst droht ihm der Untergang.»
Jungholt macht dabei auch auf folgenden zentral wichtigen Umstand aufmerksam: «US-Präsident Trump bringt die internationale Ordnung ins Wanken – und Deutschland ist entgegen allen Beteuerungen völlig unvorbereitet.»
In die gleiche Kerbe haute Andreas Rottmann am Freitag in seinem Transition News-Newsletter «Europäer, seid ihr noch zu retten?»:
«Um ‹unsere Demokratie› steht es schlecht. Dass seine Mandate immer schwächer werden, merkt natürlich auch unser ‹Führungspersonal›. Entsprechend werden die Maßnahmen zur Gängelung, Überwachung und Manipulation der Bürger ständig verzweifelter. Parallel dazu plustern sich in Paris Macron, Scholz und einige andere noch einmal mächtig in Sachen Verteidigung und ‹Kriegstüchtigkeit› auf.
Momentan gilt es auch, das Überschwappen ‹covidiotischer› und ‹verschwörungsideologischer› Auswüchse aus den USA nach Europa zu vermeiden. So ein ‹MEGA› (Make Europe Great Again) können wir hier nicht gebrauchen. Aus den Vereinigten Staaten kommen nämlich furchtbare Nachrichten. Beispielsweise wurde einer der schärfsten Kritiker der Corona-Maßnahmen[, Robert F. Kennedy Jr.,] kürzlich zum Gesundheitsminister ernannt. Dieser setzt sich jetzt für eine Neubewertung der mRNA-‹Impfstoffe› ein, was durchaus zu einem Entzug der Zulassungen führen könnte.»
Jetzt bekommt Deutschland offenkundig einen Kanzler namens Friedrich Merz. Und wenn das Endergebnis so lautet, wie es die Hochrechnungen gegen 20 Uhr anzeigen – mit CDU/CSU bei 29 Prozent, AfD 20 Prozent, SPD 16 Prozent, Grüne 12 Prozent, Linke 8,5 Prozent und der Rest unterhalb der Fünfprozenthürde –, dann wird es wohl wieder auf eine Koalition aus CDU/CSU und SPD hinauslaufen. Sollten es BSW und FDP doch noch schaffen, droht sogar ein Bündnis aus CDU/CSU, SPD und Grünen. Das wäre dann praktisch ganz schlechter alter Wein in neuen Schläuchen ...
Denn dass eine solche Koalition den berühmten «Ruck» zur Folge hat, um mal ein Terminus des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1997 zu bemühen, erscheint extrem unwahrscheinlich. Das zeigt sich vor allem auch an besagten Reaktionen, insbesondere auch der deutschen Politprominenz, auf das, was aus den USA kommt. Denken wir nur daran, dass US-Vizepräsident J.D. Vance Zweifel an der Meinungsfreiheit in Deutschland äußerte. Hier brachte es Welt-Autorin Anna Schneider vor einigen Tagen mit ihrem Meinungsbeitrag «Friedrich Merz und sein spezielles Verständnis von Meinungsfreiheit» wie folgt auf den Punkt:
«Um zu verstehen, dass der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz in Sachen Meinungsfreiheit ziemlich ins Schwarze getroffen hat, muss man sich eigentlich nur die ein oder andere Reaktion auf seine Rede zu Gemüte führen ...
Von spärlichsten Ausnahmen wie FDP-Freiheitshaudegen Wolfgang Kubicki und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger abgesehen, gab es keine nennenswerten Kommentare führender deutscher Politiker zu Vances Rede, die Selbstkritik oder versuchtes Verständnis beinhaltet hätten ...<br
Besonders bitter ist allerdings, dass dazu ein Mann gehört, der bald der nächste Bundeskanzler sein könnte – und durchaus als Transatlantiker bekannt ist. Die Rede ist freilich von CDU-Chef Friedrich Merz, der sich einmal mehr ohne Not der bisweilen überbordenden Aufregung anschloss, indem er Vances Rede als ‹fast schon übergriffig› bezeichnete.»
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz habe Merz sogar gesagt, «Meinungsfreiheit bleibt Meinungsfreiheit, aber Fake News, Hassrede und Straftaten unterliegen rechtlichen Beschränkungen und unabhängigen Gerichten». Das, so Schneider, «hätte Robert Habeck tatsächlich auch nicht schöner formulieren können». Und weiter:
«Fragt sich eigentlich nur, weshalb ein Jurist sich eines Vokabulars bedient, das man ansonsten eher aus grün-linken NGO-Kreisen kennt und das im Strafgesetzbuch eben nicht vorgesehen ist. Dass das Gesetz weder ‹Hassrede› noch ‹Fake News› kennt, hat gute Gründe, denn: Wer könnte diese Begriffe jemals legitimerweise definieren?»
Während in den USA in der Regierung endlich mal Kräfte am Werk sind, die dem militärisch-industriellen Komplex die Stirn bieten und für einen erfrischenden «Wind of Change» sorgen, wird es in Deutschland mit Merz auch «mehr Aufrüstung statt ‹Friedenskanzler› nach der Wahl» geben, wie es mein Redaktionskollege Tilo Gräser vorgestern ausdrückte. Das wird auch dadurch wahrscheinlicher, dass Deutschland mit einem Kanzler Merz der erste Staat wäre, in dem ein ehemaliger BlackRock-Funktionär Regierungschef ist.
Wohlgemerkt, Friedrich Merz war nicht etwa «Lobbyist» für den weltweit größten Kapitalorganisator mit Hauptsitz in New York City, wie meist gesagt wird, so der Hinweis der Nachdenkseiten. Und auch wurde er nicht einfach nur bezahlt, sondern er hatte eine Leitungsfunktion innerhalb des Konzerns inne. Der 69-Jährige war nämlich von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Tochterfirma BlackRock Asset Management Deutschland AG und hatte die Aufgabe, die Expansion von BlackRock in Deutschland weiter voranzutreiben. Und BlackRock hat erst kürzlich seine Anteile an Rüstungskonzernen wie Rheinmetall und Leonardo aufgestockt.
Um mit einer weiteren Lichtgestalt der deutschen Literatur, Heinrich Heine, zu schließen:
«Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.
Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen Tränen fließen.»
Auswandern in die USA, sicherlich ein reizvoller Gedanke ...
Alles Gute – trotz allem!
Torsten Engelbrecht