«In Ländern, in denen die Medien sich im Privatbesitz befinden und in denen es keine formelle Zensur gibt, ist die Tatsache, dass auch dort ein Propagandasystem am Werk ist, deutlich schwieriger zu erkennen. Das gilt ganz besonders dort, wo die Medien in aktiver Konkurrenz zueinander stehen, periodisch die Fehler und Missbräuche von Unternehmen und Regierung entlarven und so ein Bild von sich selbst als aggressive Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und die Interessen aller zeichnen.»
Das haben der Ökonom und Medienanalytiker Edward S. Herman und der Kommunikationswissenschaftler Noam Chomsky 1988 in ihrem gemeinsamen Buch «Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media» geschrieben. Sie haben darin ein «Propagandamodell» entwickelt, das zeigt, welche Strukturen im Kapitalismus die Medienproduktion bestimmen und wie dadurch die direkte und indirekte Einflussnahme von gesellschaftlichen Akteuren auf die Berichterstattung ermöglicht wird.
Die beiden Autoren griffen damit die etablierten Medien scharf an – wenig überraschend wurde ihr Propagandamodell in der Folge von der etablierten Kommunikations- und Medienwissenschaft noch mehr ignoriert als kritisiert. Interessanterweise, aber wenig überraschend gab es bis vor kurzem keine deutsche Ausgabe des Buches. Die hat nun dankenswerter Weise der Westend Verlag gemeinsam mit dem Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft in diesem Jahr herausgegeben: «Die Konsensfabrik – Die politische Ökonomie der Massenmedien».
Herman und Chomsky haben fünf Nachrichtenfilter als Grundelemente ihres Modells beschrieben:
- Grösse, Eigentumsverhältnisse und Profitorientierung der Massenmedien
- Ohne Werbung kein Geschäft
- Die Nachrichtenquellen der Massenmedien
- «Flak» und die Einpeitscher als Instrument zur Disziplinierung
- Antikommunismus als Kontrollmechanismus
Ihr Modell spiegele «unsere auf dem langen Studium dieser Medien beruhende Meinung wider, dass sie dazu dienen, Unterstützung für die Sonderinteressen zu mobilisieren, die den Staat und die Privatwirtschaft dominieren». Dafür bringen sie in ihrem Buch, das 2002 aktualisiert herausgegeben wurde, zahlreiche Fallbeispiele. Sie widersprechen damit der offiziellen Selbstdarstellung der etablierten Medien wie auch der demokratietheoretischen Sicht auf diese, es sei ihre Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden und darüber zu berichten.
Was Herman und Chomsky vor nunmehr 35 Jahren beschrieben und analysierten, das klingt heute weiterhin hochaktuell. Und auch wenn sie sich mit dem Mediensystem der USA auseinandersetzten, treffen ihre Erkenntnisse und ihr Modell auch auf die bundesdeutsche Medienwirklichkeit mit ihrer Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu. Sie zeigen mit zahlreichen Beispielen, wie die öffentliche Meinung durch regelmässige Propagandakampagnen beeinflusst und gesteuert wird – mit Hilfe der Medien und trotz deren wohlklingenden Ansprüchen.
2002 schrieben sie im Vorwort zur neuen Ausgabe:
«Unserer Auffassung nach dienen die Medien neben ihren weiteren Funktionen den mächtigen sozialen Interessen, die sie kontrollieren und finanzieren, und betreiben Propaganda für sie.»
Sie gehen darin auch auf die Rolle des Internets ein und zeigen dessen Grenzen als Mittel für demokratische Kommunikation auf. Ebenso beschreiben sie die Funktion der ausgeweiteten Unterhaltungsangebote in den Medien. Unterhaltung stelle «in einem System mit grosser und wachsender Ungleichheit das moderne Äquivalent der Zirkusspiele im alten Rom dar und dienst so dazu, die Bevölkerung von politischen Fragen abzulenken und eine für den Erhalt des Status quo sehr nützliche politische Apathie zu erzeugen».
Wer verstehen möchte, warum die Medien so sind wie sie sind, und warum sie arbeiten, wie sie es tun, und wie sie wirken, dem ist das Buch dringend empfohlen – auch 35 Jahre nach seinem ersten Erscheinen.
Buchtipp: Edward S. Herman, Noam Chomsky: «Die Konsensfabrik – Die politische Ökonomie der Massenmedien» (herausgegeben vom Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft)
Westend Verlag 2023. 704 Seiten; ISBN 978-3-86489-391-9; 44 Euro
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